Fussstapfen

In meinem Treppenhaus steht seit einiger Zeit eine Occasions-Nähmaschine, festgezurrt auf einem Rolli und bereit zum Abtransport. Meine Nachbarinnen (der einzige Nachbar ist wahrscheinlich mitgemeint) fragen sich sicher, was das soll und wann das wieder wegkommt. Bald, bald! – sage ich mir schon seit Dezember. Ich bin ja leider manchmal etwas träge, und ignoriere gerne Dinge, die an mein Pflichtbewusstsein appellieren. Deshalb teile ich mein Vorhaben nun öffentlich mit Ihnen, damit es eher in die Tat umgesetzt wird: Die Nähmaschine ist nämlich dem Feministischen Streikhaus versprochen, und die brauchen sie sicher bald, um auf den 8. März hin Transparente zu nähen. Zu diesem Zweck war nämlich damals auf einer einschlägigen Social-Media-Seite ein Aufruf ergangen, ob jemand nicht eine Nähmaschine zu verschenken habe. Hatte ich nicht, aber ich bin gerne in die Berner Agglo gereist, um eben diese billig zu erstehen. Ganz besonders auch, weil der Aufruf von einer ehemaligen Schülerin von mir kam! 

 

Diese Tatsache hat bei mir fast euphorische Gefühle ausgelöst, so ähnlich wohl, wie wenn einst der Patron die Firma seinem Sohn oder Zögling weitergeben konnte: Eine neue Generation tritt in unsere Fussstapfen! Das tut sie natürlich nur bedingt – sie findet ihren eigenen Weg, und das ist auch gut so; selbst wenn ich logischerweise nicht mit allen neuen Ideen einverstanden bin. Zum Beispiel sehe ich es nicht als feministischen Akt, wenn Frauen angeblich selbstbestimmt sexistische Stereotypen reproduzieren, indem sie ihre Lippen aufspritzen und Silikonbrüste zu Markte tragen, um Pornostar zu werden. Meine Tochter hingegen belehrt mich, dass jede Manifestation weiblichen Willens als Ausdruck ihrer persönlichen Entscheidungsfreiheit von einem starken Frausein zeugt und von mir gutgeheissen werden muss, will ich mich nicht des Frauenbashings schuldig machen. (Nun kommt mir Martullo-Blocher in den Sinn, das müssen wir mal noch ausdiskutieren). 

 

Andererseits hege ich auch Skepsis gegenüber einigen Ideen gleichaltriger Feministinnen. Ein von mir lange Zeit geschätzter feministischer Zirkel etwa hat sich kürzlich in einen Corona-affirmativen und einen Corona-skeptischen Flügel aufgespalten; dieser Bruch scheint mir  irreparabel, was mich traurig und fassungslos macht. Andere subsumieren ein Burkaverbot unter Feminismus. Das heisst aber auch: Feministinnen, einst abschätzig Emanzen genannt oder als Männerhasserinnen abgestempelt, brauchen sich nicht mehr zu verstecken. Feminismus ist keine Marginalie mehr, sondern eine Bewegung, der sich Leute mit unterschiedlichen Motiven gerne anschliessen wollen. Nun gibts #MeToo und Greta Thunberg, Body-Positivity und ein Streikhaus, die feministische Fakultät und vieles mehr. (Die jungen Frauen tragen jetzt übrigens ‹Mom›-Jeans. Rüeblihosen waren ja auch schon mal Mode und müssen nach deren ewigem Gesetz wiederkehren. Aber dieser Name wäre in den achtziger Jahren undenkbar gewesen – nachgerade ein Verkaufskiller.) 

 

Ja, im Jahre 50 nach Einführung des Frauenstimmrechts empfinde ich es so, als sei der Backlash, der mich gut drei Jahrzehnte lang bekümmert hat, gebrochen. Selbstverständlich gilt es weiterhin, Übergriffe auf Erreichtes abzuwehren und bestehende Ungerechtigkeiten zu beheben (aktuell etwa bei der Altersvorsorge). Aber: Wir sind viele! Feminismus findet statt! 

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