Für die «Kraft der besseren Idee»

Vor einem Jahr wurde die Wohnbaugenossenschaft Grubenacker gegründet. Ihre Mitglieder möchten verhindern, dass ihr Quartier zum Spekulationsobjekt wird.

 

Schon seit 2016 besteht die IG Grubenacker, in der sich viele BewohnerInnen der kleinen Einfamilienhäuser an der Grubenackerstrasse in Zürich-Seebach engagieren. Bekannt geworden ist sie wegen ihres Widerstands gegen den öffentlichen Gestaltungsplan Thurgauerstrasse. Auf dem rund 6,5 Hektaren grossen Areal soll ein neues Quartier samt Schule und Quartierpark entstehen. Vorgesehen sind unter anderem fünf Hochhäuser (P.S. berichtete).

 

Seit einem Jahr gibt es nun eine weitere engagierte Gruppe im Quartier, die Wohnbaugenossenschaft Grubenacker. Einige ihrer Mitglieder sind bereits in der IG dabei. Die Vermutung liegt nahe, dass die Neo-GenossenschafterInnen vor allem daran Anstoss nehmen, dass ihnen Wohntürme von 30 bis 60 Metern Höhe vor die Nase gestellt werden sollen. Der Präsident der IG Grubenacker, Christian Häberli, und der Präsident der Wohnbaugenossenschaft Grubenacker, Sebastian Schmitt, erklären auf Anfrage jedoch einhellig, es sei den Menschen im Quartier nie um einen Protest à la «nicht in meinem Gärtchen» gegangen. «Die Familiengärten zwischen Grubenacker- und Thurgauerstrasse sind seit 1970 in der Bauzone, und wir stehen auch voll hinter dem Ziel eines Drittels gemeinnütziger Wohnungen bis 2050», betont Christian Häberli. Doch im Quartier sei der Eindruck entstanden, die Stadtplaner hätten «eine urbane Insel verplant» und «nicht beachtet, dass dort Menschen leben». Das habe «einen Abwehrreflex ausgelöst».

 

Gegen Spekulation

 

Soweit, so verständlich. Doch wie entsteht aus einer solchen Situation heraus die Idee, sich zu einer Wohnbaugenossenschaft zusammenzuschliessen? Christian Häberli erläutert, wie sich der Gestaltungsplan schon lange vor seiner Festsetzung aufs Quartier auswirkt: «Im Frühling 2018 stand ein Haus in unserem Quartier zum Verkauf. Die Stadt konnte das Grundstück zur Arrondierung brauchen und zahlte statt 2500 Franken/m2 stolze 4000 Franken/m2.» Dann habe kürzlich ein älteres Ehepaar sein Haus verkauft und ebenfalls eine vergleichbar hohe Summe erhalten. Der Spekulation sei damit Tür und Tor geöffnet: «Alle, die sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren hier im Quartier ein Haus gekauft haben, könnten es sich heute nicht mehr leisten», ist Häberli überzeugt. Vor allem aber weist er darauf hin, dass dieses Ehepaar sein Haus eigentlich gerne einer Genossenschaft verkauft hätte – «aber was soll eine bestehende Genossenschaft mit einem einzelnen Einfamilienhaus?»

 

Hier kommt die Wohnbaugenossenschaft Grubenacker ins Spiel. «Wir wollen unsere Häuser nutzen und sie dann, wenn wir sie nicht mehr selber bewohnen können oder wollen, an die Genossenschaft weitergeben», erklärt Schmitt. Vielen QuartierbewohnerInnen gehe es schlicht darum, dass sie gern im Quartier alt werden möchten – warum nicht in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, das die Genossenschaft gebaut hat? «Hier leben wir wie in einem Dorf. Man kennt sich, man tauscht sich aus. Wir möchten gern, dass das so bleibt.» Grundsätzlich gehe es darum, «wie sich ein Einfamilienhaus-Quartier zu einer urbanen Wohnlandschaft entwickeln kann», fügt Häberli an. Damit befasse sich etwa das Nationalfondsprojekt 65. Anregungen fänden sich auch in den Büchern von Hans Widmer alias P.M., zum Beispiel in ‹Die andere Stadt›.

 

Hoffen auf den Gemeinderat

 

Der Gestaltungsplan ist noch nicht festgesetzt. Der Gemeinderat, der ihn im Sommer an die Kommission zurückgewiesen hat (vgl. P.S. vom 5. Juli), müsste ihn an den Stadtrat zurückweisen, um den Weg für einen neuen Plan freizumachen. Dafür scheint es aber keine Mehrheit zu geben. Die SP-Fraktion, auf deren Linie das Projekt zumindest von aussen gesehen liegen müsste, stellt sich hinter ihren Stadtrat, Hochbauvorsteher André Odermatt. Die Genossenschaft lässt sich dennoch nicht entmutigen. Der ehemalige Berner Stadtplaner, Professor Jürg Sulzer, hat für sie individuell gestaltete Einzelhäuser im Ensemble, die sogenannten Wohnhöfe Grubenacker, skizziert. Sie böten eine ähnlich hohe bauliche Dichte wie die Testplanung der Stadt, und die bestehende Siedlung Grubenacker werde «sorgfältig integriert», heisst es im Begleittext zur Skizze.

 

Alt und Neu im Gleichklang?

 

Schmitt und Häberli hätten sich gewünscht, dass die Stadt bei der Planung «auch an jene Häuser gedacht hätte, die ihr nicht gehören». Anlässlich der Debatte vom 3. Juli im Gemeinderat erklärte André Odermatt laut Auszug aus dem substanziellen Protokoll folgendes: «Der Einbezug der kleinen Eigentümer würde bedeuten, dass man ihnen eine Gestaltungsplanpflicht auferlegt und ihr Eigentum einschränkt.»

Stellen wir uns also vor: Eine Delegation der Stadt marschiert ins Grubenacker-Quartier und erklärt den Leuten, angesichts der geplanten Grossüberbauung nebenan sei es nichts als vernünftig, ihre Parzellen für ein paar anständige Mehrfamilienhäuser zur Verfügung zu stellen… So ginge es natürlich auch nicht, entgegnet Häberli, doch man könnte stattdessen «alle Betroffenen abholen und zusammen die bestmögliche Lösung finden». Ein solcher Prozess brauche logischerweise Zeit – «aber sich diese nicht zu nehmen, kostet eventuell noch viel mehr Zeit und Geld, siehe Ringling oder Hardturm». Stadtplanung sei ein Lernprozess, und das «Grubenacker-Problem» habe man an vielen anderen Orten auch: Wie passt man grosse neue Siedlungen am besten in bestehende Quartiere ein?

 

Die Genossenschaft arbeitet also weiter darauf hin, ihrem Plan zum Durchbruch zu verhelfen: «Ich glaube an die Kraft der besseren Idee», sagt Häberli. Dass diese Idee mitten in einen Prozess hineinplatze, der seit Jahren laufe, lässt er nicht gelten: «Jetzt ist die Phase des politischen Willensbildungsprozesses, jetzt sollte man diskutieren, statt abzuwarten und dann Rekurse zu schreiben. Ich möchte die Stadtentwicklung nicht den Richtern überlassen.» Zudem gelte nach wie vor der Einzonungsstopp, den der Bund gegen den Kanton Zürich verhängt habe.

Was hat die Genossenschaft im ersten Jahr konkret erreicht? Sie sei «eher langsam gestartet», erklärt Schmitt. Bei einem Objekt laufen zurzeit Abklärungen. «Aber wer sich mit dem Gedanken trägt, sein Haus nicht einfach dem Meistbietenden zu verkaufen, hat nun einen Ort, an den er oder sie sich wenden kann», sagt Häberli. Zudem vernetze man sich mit der Genossenschaft Mehr als Wohnen, die auf dem Hunziker-Areal heimisch ist. Offen lassen die beiden, was sie unternehmen, falls der Gestaltungsplan in seiner jetzigen Form festgesetzt wird. Häberli will auf jeden Fall «alles ausschöpfen, was im Rahmen der demokratischen Mitwirkung möglich ist».

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