Hühner im Freien und weidende Kühe auf einem Bio-Bauernhof: Nostalgie? Für eine bessere Agrarpolitik wäre an vielem anzuknüpfen, was bäuerliche Tradition blieb – ergänzt mit neuen Erkenntnissen. (Bild: Urs Keller/Ex-Press)

Für bessere Agrarpolitik

Selten wurde mir ein Buch so oft empfohlen. Jetzt war der richtige Moment zur Lektüre, denn wieder tobt ein unergiebiger Ja-Nein-Streit. Stadt gegen Land, da wie dort nur uneinsichtige Leute? Blaise Hofmann möchte allen helfen, sich «eine differenziertere, etwas weniger falsche Meinung zu bilden» – als Voraussetzung für bessere Agrarpolitik.

Begonnen hat der Autor mit seinem Buchprojekt bereits 2021, in den Monaten vor der Abstimmung über die Trinkwasser- und Pestizidinitiative. Ihn beelendeten die verhärteten Fronten. Dass ausgerechnet jene, «die selbst ja die ersten Opfer der Agrochemie sind», wild entschlossen «ihre» Produkte verteidigten, war trist. Von der Gegenseite, «arroganten Idealisten», die trotz ihrem Hang zum Verbieten weiterhin Anti-Aging-Creme ins Gesicht schmieren, wurden sie dafür als Giftmischer, Gewässerverschmutzer und Bienenmörder beschimpft. Er habe die Auseinandersetzung genau verfolgt, den einen wie den andern widersprochen, selbst keine eindeutige Meinung gefunden und sich am Ende für ein Ja zur einen und Nein zur andern Initiative entschieden. «Wie die Abstimmung ausgehen würde, schien mir sowieso nebensächlich.» Aber geblieben sei sein Gefühl, dass die Menschen auf dem Land und in der Stadt inzwischen nicht mehr dieselbe Sprache sprechen.

Nachhaltigkeit wiederbeleben

Dem spürte er in der Folge als Schriftsteller, der im Kanton Waadt in einer Bauernfamilie geboren wurde, am Literaturinstitut in Biel arbeitet und einen Weinberg am Genfersee bewirtschaftet, intensiv nach. Er suchte Ansätze zur Verständigung. 2023 erschien sein «Fair paysan» im Original, fand viel Echo. Auch die Übersetzung konnte schon kurz nach Erscheinen in diesem Frühjahr 24 in zweiter Auflage ausgeliefert werden. Hier wird im Untertitel «die Herausforderungen einer nachhaltigen Landwirtschaft in der Schweiz» als eigentliches Thema deklariert. Was einst als Harmonie zwischen Mensch, Tier und Natur vorhanden war, hiess zwar noch nicht Nachhaltigkeit oder ökologische Verantwortung, sondern «man tat, was zu tun war». Ohne genau zu wissen, wie viel Kalium, Stickstoff und Phosphorsäure ein Kubikmeter enthielt, wurde Mist als «Hefe des Bodens» und die Jauche als «das schwarze Gold der Ställe» verstanden. Nostalgie? Jedenfalls wäre an vielem anzuknüpfen, was bäuerliche Tradition blieb. Ergänzt mit neuen Erkenntnissen.

Aber die Abhängigkeit von Agrochemie, Agroindustrie und Grossverteilern, «also den treibenden Kräften der modernen Landwirtschaft», die gleichzeitig Totengräber wurden, steht einer eigentlich von allen Seiten irgendwie gewünschten Neuorientierung im Weg. Angesichts dieser komplexen Gemengelage lässt der Staat die Dinge einfach laufen, «verhält sich den Bauern gegenüber wie ein unwürdiger Vater», oft abwesend, dafür ein bisschen Taschengeld verteilend. Und der Bauernverband? Der schafft es noch, seine Errungenschaften zu verteidigen, das Landwirtschaftsbudget halbwegs stabil zu halten und «sogenannt extreme Initiativen zu bekämpfen». Mit dem Entwickeln von Perspektiven für Kleinproduzenten oder dem Sichern einer vielfältigen Landwirtschaft jedoch tut er sich schwer. Die aktuelle Biodiversitäts-Kontroverse wird in der Analyse nicht erfasst, doch sie bestätigt den Befund. Wieder war es Bauernpräsident Ritter, der die sich abzeichnenden parlamentarischen Kompromisse politisch perfid blockierte. Tatsächlich bestimmen in Bern «agroindustrielle Interessengruppen den Lauf der Dinge». Nicht das Gespräch wird gesucht, sondern mit Millionenbeträgen gegen bösgrüne Landvögte mobilisiert.

Verzweiflung, Wut, Schweigen

Wie geht es in diesem Umfeld den Bäuerinnen und Bauern? «Landwirtschaft bedeutet Mehrarbeit für weniger Lohn, um Menschen zu versorgen, die glauben, dass wir sie vergiften», zitiert Hofmann eine junge Berufseinsteigerin. Ein eindrücklicher Abschnitt befasst sich mit der überdurchschnittlichen Zahl der Suizide, dem Verschwinden von immer mehr Betrieben. Das inoffiziell geltende Gesetz vom Wachsen oder Weichen bedroht viele. Das spitzt den Konflikt zu, und «die Antwort des Bauern, dessen Situation sich stetig verschlechtert, ist von Wut und Trotz durchsetztes Schweigen». Die vorab in den Städten verorteten Medienschaffenden, Roten und Grünen werden pauschal zu Feinden. Der von Widersprüchen zerrissene Beobachter, selber zuweilen heiklen Blut-und-Boden-Bildern zuneigend, dann in Ironie flüchtend, glossiert aber auch – da wäre «Wolf» ein Stichwort – verquer urbane Naturliebe bissig. So entsteht ein stimmiges Stimmungsbild.

Doch wie weiter? Noch ist alte ländliche Kultur nicht völlig verschwunden, neue Ansätze sind da, aber umstritten und sie bleiben marginal. Die bestehende Vielfalt alternativer landwirtschaftlicher Projekte kann zudem das globale Grundproblem nicht lösen – «sie ersetzt keine Agrarpolitik». Deren offensichtliches Versagen in der akuten Krisenlage müsste Anlass sein, die vorhandenen Energien zu bündeln, doch «man schwärzt sich gegenseitig an, bricht den Dialog ab». Die zu klärende Kernfrage ist ja auch keineswegs leicht: «Inwieweit lässt sich in einer weiterhin nach indu­striellen Kriterien funktionierenden Gesellschaft die Landwirtschaft ökologisieren?» Selbst zertifizierte Bio-Produkte werden meist in einem neoliberalen, leistungs- und konsumorientierten System vermarktet, in riesigen Monokulturen und im Winter in Gewächshäusern produziert.

Anspruchsvoller, aber möglich

Um die für immer mehr Beteiligte verheerenden Folgen «einer fünfzig Jahre andauernden Hegemonie der Agroindustrie im Ernährungssektor» zu mildern und entstandene Schäden längerfristig zu beheben, muss sich viel ändern. Dabei könnte der Staat den schrittweisen Ausstieg aus dem aktuellen System begleiten, indem er etwa den Verkauf von Pestiziden besteuert, den Import von Produkten «mit schwindelerregendem CO2-Ausstoss» – zum Beispiel ägyptische Kartoffeln – schlicht verbietet, anderes gezielt unterstützt. So liessen sich mit resistenteren Sorten oder umweltgerechten Methoden die Böden schonen. Für eine Veränderung offene Menschen wären bei diesem anspruchsvollen Umbau kreativ einzubeziehen. Modellhaft führt der Autor die ‹Ferme des Savanes› an, wo oberhalb des Lac Léman seit 2021 eine Permakultur mit Agroforst ausprobiert wird, mit Elementen wie Bakterienpflege, Wurzelökologie … 

«Ich war eher skeptisch, ob das wohlklingende Projekt zukunftsfähig sein würde.» Doch dann wird wohlwollend über Chancen und Tücken des Versuchs berichtet und es folgt eine eindrückliche Liste weiterer Beispiele dieser Art in der Westschweiz. Da werden Normen hinterfragt, eigene Wege begangen. Einiges scheitert, anderes gelingt, «und die kleinen Erfolgsgeschichten stossen bei der Bevölkerung auf Sympathie». Dies könnten Beiträge zu einem «heilsamen Bewusstseinsprozess» sein.

Blaise Hofmann: Die Kuh im Dorf lassen. Atlantis Verlag, Zürich 2024, 192 Seiten, 25 Franken.