Klimarettung sponsored by Socar Green(washing). (Bild: Manolito Steffen)

Frust, Blockaden und leise Hoffnungsschimmer in Baku

Geld wird in fossile statt erneuerbare Energien investiert, die grossen Emittenten blockieren, und der globale Süden fordert Gerechtigkeit. Kann die COP29 unter diesen Bedingungen Fortschritte erzielen? P.S. hat bei Bettina Dürr, die als Beobachterin vor Ort ist, nachgefragt.

«Der Klimawandel ist da. Von überfluteten Häusern in Spanien bis zu Waldbränden in Australien. Ob Sie sie nun sehen oder nicht – die Menschen sterben in der Dunkelheit. Und sie brauchen mehr als Mitgefühl, mehr als Gebete und Papierkram.» Mit diesen Worten eröffnete Mukhtar Babayev, der aserbaidschanische Minister für Ökologie und Naturressourcen und Präsident der COP29, die diesjährige Klimakonferenz in Baku. Es sind hehre Lippenbekenntnisse, unbestritten, doch dahinter scheint der Gipfel in alten Mustern gefangen: Einmal mehr treffen sich Staatsvertreter in einem autoritären Petrostaat, um über den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu diskutieren. Einmal mehr fehlen wichtige Staatsoberhäupter (Biden, Putin, von der Leyen, Xi Jinping …), und einmal mehr drohen finanzielle Zusagen zu leeren Versprechen zu werden. Die Zivilgesellschaft fordert mindestens 1000 Milliarden Franken Finanzbeihilfen jährlich statt der bisher 100 Milliarden, die bisher nur mit Ach und Krach und Verspätung erreicht wurden. 

Bettina Dürr von Fastenaktion ist als Beobachterin vor Ort. Ihre Organisation arbeitet mit Partnern in Kolumbien, Brasilien und den Philippinen zusammen, um Klimagerechtigkeit in ihren jeweiligen nationalen Kontexten zu fördern. In Baku begleitet sie die Verhandlungen kritisch und setzt sich dafür ein, dass die Perspektiven der Zivilgesellschaft Gehör finden.

Eine Klimakonferenz im Erdölland Aserbaidschan, verlassen von Argentinien, gemieden von den grossen Staatsoberhäuptern und überschattet von geopolitischen Spannungen – kann die COP29 überhaupt etwas erreichen?

Bettina Dürr: Es ist sicher keine leichte Klimakonferenz. Es geht um Geld, und Geld ist immer das schwierigste Thema. Es drängt sich in alle Bereiche hinein: Selbst bei Diskussionen über den Global Stocktake – die globale Bestandsaufnahme, ob die Welt auf Kurs ist, die Pariser Klimaziele zu erreichen – oder den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen landet man letztlich bei der Frage, wer die Rechnung zahlt.

Die Klimafinanzierung ist eines der zentralen Themen der COP29. Woran sind die echten Fortschritte bis jetzt gescheitert?

Ein Teil des Problems ist, dass die Industrieländer oft auf den Privatsektor verweisen, um zusätzliche Mittel zu mobilisieren. Aber private Gelder fliessen dorthin, wo es Gewinne gibt – nicht in Anpassungsprojekte oder Hilfe für besonders verletzliche Staaten, die von Klimaschäden betroffen sind. Zudem besteht ein Grossteil der bisherigen Mittel aus Darlehen, was verschuldeten Ländern wenig hilft. Gleichzeitig werden weltweit fast 7 Billionen Dollar jährlich in fossile Subventionen gesteckt. 

Wie ist die Stimmung vor Ort? Ich tippe auf «resigniert».

Wenn man langfristig in diesem Bereich arbeitet, braucht man eine grosse Portion Geduld und Stoizismus. Die Stimmung ist gemischt. Viele Delegierte aus Entwicklungsländern sind frustriert, weil sie stets dieselben Versprechen hören, die nicht eingehalten werden. Das Vertrauen in die Industrieländer ist stark angeschlagen. Gleichzeitig kann man auch Kampfgeist finden, zum Beispiel im geeinten Auftreten der Entwicklungsländer, die sie sich gegen die Blockadehaltung einiger Staaten wehren.

Saudi-Arabien wird oft als einer der Bremser genannt. Wie schaffen sie es, Fortschritte zu verhindern?

Saudi-Arabien spielt ein strategisches und durchdachtes Powerplay in der Verhandlungsführung. Sie blockieren ambitionierte Emissionsreduktionen und verweigern Diskussionen über Menschenrechte. Dabei berufen sie sich auf das Pariser Abkommen, das nationale Klimaziele (Nationally Determined Contributions) festlegt, und argumentieren, dass alles im nationalen Rahmen geregelt werden könne. Und sie ziehen andere Länder – wie China oder andere arabische Staaten – mit. So wird es für die am stärksten betroffenen Entwicklungsländer, wie die kleinen Inselstaaten, schwer, ihre Anliegen durchzusetzen. Nebenher scheinen viele Länder die Konferenz zu nutzen, um bilaterale Geschäfte abzuschliessen – wie Aserbaidschan selbst, wie Russland und wie die USA, die mit einer riesigen Wirtschaftsdelegation angereist sind.

Und die Schweiz?

Ein Vertreter der Economiesuisse ist in der offiziellen Delegation, um die Perspektive der Wirtschaft einzubringen – ebenso wie die Zivilgesellschaft in der Delegation vertreten ist. Schweizer Unternehmen betrachten es offenbar als Reputationsrisiko, nach Baku zu kommen. Wir haben aber keinen Überblick darüber, wie viele Unternehmen tatsächlich vor Ort sind. 

Die Schweiz fordert, dass Schwellenländer wie China und Saudi-Arabien in die Geber­staatenkategorie aufgenommen werden. Wie kommt das an?

Es ist ein heikles Thema. Natürlich haben wirtschaftlich starke Schwellenländer wie China heute massive Emissionen und tragen Verantwortung. Aber niemand will offiziell als Industriestaat deklariert werden, da dies zusätzliche Verpflichtungen mit sich bringen würde. Und die historische Verantwortung für den Klimawandel liegt schliesslich hauptsächlich bei den Industrieländern. Entwicklungsländer erwarten zu Recht, dass die reichen Staaten zuerst liefern. Schwellenländer leisten bereits jetzt freiwillige Beiträge an die Klimafinanzierung. 

Die Schweiz setzt auf private Klimafinanzierung, ist bei öffentlichen Mitteln zurückhaltend. Welche Kritik gibt es daran in Baku, besonders aus dem globalen Süden?

Der globale Süden fordert, dass öffentliche Mittel Priorität haben und klare qualitative Ansprüche erfüllen müssen. Ein weiteres grosses Anliegen der Entwicklungsländer ist die Finanzierung von Verlusten und Schäden. Hier geht es darum, unvermeidliche Klimaschäden, wie Überschwemmungen oder Stürme, abzufedern. Die Schweiz hat in diesem Bereich bisher keine klare Zusage gemacht, was zu Frustration führt. Viele Länder im globalen Süden erleben die Folgen des Klimawandels bereits jetzt in extremen Ausmassen – siehe Philippinen –, und ohne finanzielle Unterstützung können sie kaum darauf reagieren. Was die Schweiz auf der internationalen Ebene aber gut macht, ist ihre ambitionierte Position, wenn es um Emissionsreduktionen geht.

Also nicht ganz alles schlecht in Baku?

Naja, schon das meiste… Im Ernst: Es gibt auch Lichtblicke. Länder wie beispielsweise Kolumbien haben einen klaren Plan für die Energiewende, auch wenn sie dafür noch finanzielle Unterstützung brauchen. Solche nationalen Pläne zeigen, dass Veränderung möglich ist. Auch die Zivilgesellschaft ist ein Hoffnungsschimmer. Die Energie und das Wissen, das hier von NGOs, Indigenen und Aktivist:innen eingebracht wird, sind beeindruckend. Es erinnert einen daran, dass viele Menschen an einer besseren Zukunft arbeiten – oft abseits der grossen Verhandlungen.

Die USA haben gerade einen Präsidenten gewählt, der ein bekennender Klimaleugner ist. Wie wirkt sich das auf die Konferenz aus?

So wirklich präsent scheint es in den Verhandlungen selbst nicht zu sein. Die USA sind einer der grössten Emittenten und haben eine enorme historische Verantwortung für die Klimakrise. Wenn Trump erneut aus dem Pariser Abkommen austritt, sind sich andere Staaten bewusst, dass sie wieder mehr Verantwortung übernehmen müssen – beispielsweise die EU.

Nächstes Jahr findet die Klimakonferenz in Brasilien statt. Was muss passieren, damit sie produktiver wird?

2025 müssen die Länder ihre neuen nationalen Klimapläne (NDCs) vorlegen, die zeigen, wie sie ihre Emissionen reduzieren wollen, um das Pariser Abkommen zu erreichen. Das wird ein entscheidender Moment sein, um zu sehen, wie ernst es den Staaten ist. Ich erwarte auch, dass die Zivilgesellschaft nächstes Jahr eine grössere Rolle spielt. Es ist ein People’s Summit geplant, und die Energie dort könnte der Konferenz eine ganz neue Dynamik geben.