Früher ist besser

Die 32 Wohnblöcke der Wohnüberbauung Bergacker in Zürich-Affoltern sollen frühestens ab 2026 abgerissen werden. Der Mieterverband hat sich früh in das Projekt eingeklinkt und hofft, dass das Projekt so möglichst sozialverträglich ausfällt. 

 

Normalerweise stehen sie auf verschiedenen Seiten, wenn es um die Wohnfrage in Zürich geht: die grösste Immobilienbesitzerin der Schweiz und die Wohnbaugenossenschaften. Erstere treibt die Wohnungspreise auf der Suche nach Rendite immer weiter in die Höhe, letztere wollen genau das verhindern.  

 

Doch bei der geplanten Gesamtüberbauung der Wohnsiedlung Bergacker in Zürich-Affoltern spannen sie zusammen. Die 45 000 m2 Grundstückeigentümerinnen sind die Swiss Life und die Habitat 8000 AG, deren Aktionariat hauptsächlich aus Wohnbaugenossenschaften wie der ABZ oder Stiftungen wie der Solinvest besteht. Die Testplanung für das Projekt wurde zwischen Frühling 2019 und Sommer 2021 unter Begleitung der Stadt durchgeführt. Es geht um viel Wohnraum: In den 408 kleinräumigen Wohnungen leben rund 1000 MieterInnen. Dabei handelt es sich vorwiegend um einkommensschwache Familien und ältere Personen aus Drittstaaten. 

 

Verhalten positiv

Unteranderem deswegen rief das Projekt auch die Politik auf den Plan. In einer Interpellation wollte Andreas Kirstein (AL) unter anderem wissen, mit welchen Massnahmen sichergestellt werden kann, dass die Überbauung sozialverträglich gestaltet werden kann. Konkret geht es um die Frage, ob und wie die heutige Bewohnerschaft auch im Neubau eine Wohnung finden wird (siehe auch: P.S. vom 15.10.2021). 

 

Zwar verspricht die Habitat 8000, dass der Quadratmeterpreis im neuen Bergacker nicht steigen soll. Da die Wohnungen aber viel grösser werden, wird auch die Bruttomiete steigen, was sich viele der aktuellen Bewohnerschaft nicht leisten könnten. 

 

Trotzdem findet Mediensprecher Walter Angst verhalten lobende Worte für das Vorgehen der Grundbesitzerinnen: «Nachdem wir auf Swiss Life und Habitat 8000 zugegangen sind, gibt es einen transparenten Austausch.» Das sei nicht selbstverständlich, normalerweise würden die InvestorInnen alle Informationen bei Grossprojekten geheim halten. «Wenn bereits Millionen investiert sind, ist es schwierig, noch positive Veränderungen zu erreichen.» Deswegen sei es wichtig, dass Mieter-
Innen sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt aktiv für ihre Interessen einsetzten.

 

Auch sei der Bericht über die soziale Zusammensetzung der Siedlung, die der Stadtrat der Antwort auf die Interpellation von Kir­stein beigelegt hat, ein Novum. Daraus entwickelte die Stadt Empfehlungen für eine sozialverträgliche Entwicklung. «Wir begrüssen das und werden gleichzeitig sehr genau hinschauen, ob und wie diese umgesetzt werden», sagt Angst dazu. Gemäss ‹Züriberg› verhandeln die Stadt und die beiden Bauherrinnen aktuell darüber, ob die Empfehlungen aus der Testplanung in einem Gestaltungsplan, und somit verbindlich, festgehalten werden sollen.  

 

Verhalten kritisch

Doch Walter Angst findet auch kritische Worte gegenüber dem Projekt. Wenn das Projekt wie vorgesehen realisiert werde, würden viele der heutigen BewohnerInnen des Bergackers verdrängt. «Es sind MieterInnen, die sich gewohnt sind, von einer Zwischenlösung zur nächsten umzuziehen, bis auch diese abgerissen wird.» Die Betroffenen können so gar nie ankommen, was weder ihrer Integration noch der Quartierentwicklung dienlich sei. 

 

Ob die MieterInnen, die wegziehen, eine Wohnung in der Stadt Zürich finden, sei alles andere als klar. «Anstatt von der Stadt der kurzen Wege zu profitieren, dürften viele zu PendlerInnen werden.» Solche Prozesse müssten bei der baulichen Erneuerung mitberücksichtigt werden – sonst würde die Netto-Null-Strategie der Stadt zur Farce. Zudem würden die HandwerkerInnen und Pfleger, die heute in der Stadt lebten, an die Peripherie gedrängt. «Anstatt von der Stadt der kurzen Wege zu profitieren, werden sie nun zu PendlerInnen.» Solche Aspekte müssten in die Klimastrategie der Stadt einbezogen werden.

 

Verbesserungspotenzial gäbe es auch bei der Koordination solcher Grossprojekte mit der Schulraumplanung. Das Schulhaus Schauenberg, das direkt an die Bergacker-Siedlung grenzt, wurde 2019 für 43 Millionen Franken durch einen Neubau ersetzt. «Die Familien, die als Zwischennutzer in die Siedlung Bergacker eingezogen sind, haben die Kapazität des neuen Schulhauses bereits gesprengt. Sinnvoll wäre es, wenn Zwischennutzungen mit den Schulbehörden koordiniert würden – und sichergestellt würde, dass die Kinder, von denen viele einen besonderen Förderbedarf haben, ihre ganze Schulzeit hier durchlaufen könnten.» 

 

Bis dahin bleibt aber noch Zeit: Der Rückbau der bestehenden Siedlungen erfolgt frühestens ab 2026. 

 

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