- Im Kino
Freiheit
Der Erstreflex als junge Person, sich einer allgemeinen gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung anzuschliessen und im vollen Bewusstsein der damit einhergehenden Gefahren für Leib und Leben trotz allem öffentlich zu protestieren, ist das eine. Nach gewaltsam niedergerungenen Befreiungsversuchen gegen eine korrupte Obrigkeit, eine fremde Okkupationsmacht oder mäandernde Schlägertrupps sich nicht wieder zurück hinter die Linie eines vermeintlichen Schutzes der privaten Nichteinmischung zurückziehen zu vermögen, etwas ganz anderes. Maja Tschumi («Rotzloch») knüpfte im Nachgang zur sogenannten Oktoberrevolution 2019 auf dem Tahrir-Platz von Bagdad Kontakte zu lokalen Aktivist:innen und gewann deren Vertrauen für den Film «Immortals». Da ist einerseits der junge Filmemacher Mohammed al-Khalili, der sich todesmutig in die Nähe der Strassenschlachten warf, um der Welt die Bilder davon zeigen zu können, und der drei Jahre später, offiziell hat sich die Lage beruhigt und seine offensichtlich zur Elite gehörende Familie hat seine weitere Zukunft in einem bürgerlich geführten Leben bereits vorgespurt, sticht ihn der Hafer bei erneutem Aufflackern von Protesten wider aller Ratschläge und Gefahren erneut. Er muss raus und filmen. Die zweite Person ist Melak Madhi, genannt Milo, die sich 2019 in die vordersten Reihen der zivilgesellschaftlichen Widerständischen vorgewagt hatte und als Frau in dieser straff patriarchal strukturierten Gesellschaft damit gleich in mehrfacher Hinsicht sogenannt über die Stränge schlägt. Ihr Familienclan sperrte sie nach der Niederschlagung der Proteste für über ein Jahr lang in ihrem Zimmer ein und wachte eifersüchtig über ihren Hausarrest. Pass, Effekten, privates Eigentum wurden ihr fürsorglich entzogen. 2022 steht sie mit Kurzhaarschnitt in den Kleidern ihres Bruders als nach aussen hin männlich identifizierbar wieder auf Nadeln, sich aktiv einmischen zu müssen. Für ein Leben in Freiheit.
«Immortals» spielt im Kino Houdini.