Frechheit lohnt sich

Der zeitgeistigen Tyrannei eines Uniformitätszwangs mit zuletzt doch nur dem einen Ziel finanziellen Reichtums stellt die Retrospektive über Niki de Saint Phalle im Kunsthaus Zürich eine eigenwillige, lustvolle und mutige Infragestellung entgegen.

 

Selbst den Aristokratinnen scheint die eigene gestrenge Sittsamkeit zuwider. Der Gesichtsausdruck ist mürrisch bis empört erschrocken, die Nachmittagspreziosen auf dem Teetischchen bergen farblich die Assoziation zu bleierner Last. Wer möchte da schon tauschen? Aus einer heutigen Per­spektive stellt die Plastik «Tea Party, ou le Thé chez Angelina» von 1971 das Ziel überwältigenden Reichtums vielmehr als Schreckgespenst denn als wünschenswert dar. In der Konsequenz hätte die aktuell grassierende Selbstverbiegung zur Erklimmung der Karriere-, Lotterie- oder sonstigen Wohlstandsleiter nurmehr zur Folge, sich mit dem Problemduo von Dauerfreizeit und Wunschlosigkeit herumplagen zu müssen. Und Personal, das man sich zur eigenen Belustigung, als SchäferInnen im eigenen Park lebend verdonnern kann, dürfte auch nicht mehr so einfach aufzutreiben sein. Niki de Saint Phalle (1930 – 2002) hatte augenscheinlich besseres vor, als ihren VorfahrInnen nachzueifern. In «Old Master (non tiré)» von 1960/61 macht sie sich ganz offensichtlich lustig über jede Bereitschaft zur gestelzten Ergriffenheit angesichts eines Ehrfurcht vermittelnden Kunstkanons. In einem Zierrahmen – nicht vergoldet – hängt unförmig und gräulich geworden eine Gipswulst und behauptet sich überaus frech. Zugegeben, Duchamps «Fontaine» war schon ein halbes Jahrhundert alt, aber der klitzekleine Unterschied hinsichtlich der sich herausnehmbaren Freiheiten wurde immer noch über das Geschlecht definiert und war für eine Frau zu der Zeit noch längst keine Selbstverständlichkeit.

 

Lustvoll beherzt

 

Vor allem im Frühwerk mit den Collagen, Assemblagen und Altären lässt sich eine politische, kritische Haltung herauslesen. Sei es das sogenannte Schiessbild «Kennedy – Kroutchev» von 1963 oder «Heads of State» von 1963. Und immer wieder die Frau: Ihr Tryptichon «Autel des femmes» von 1964 ist hochgradig feministisch lesbar. Die tote Braut mit dem Herz Jesu steht zwischen dem Monster, dem Krieg, der Grossstadt und einer die Hände zur Aufgabe erhobenen Figur, die eine noch grössere Last als sich selbst zu tragen hat und auf deren Körper Figürchen zu zerren scheinen, dass der Kraftakt ihres grundsätzlichen Daseins übermenschlich erscheint – und trotzdem blickt sie freundlich drein. Aus Filmausschnitten springt einem eine ungemeine Freude entgegen, etwa, wenn sie vermutlich auf einem Bauernhof mit einem Gewehr planlos auf ihre Konstruktion von übergipsten Farbdosen und ähnlichem ballert. Das Experiment, also das Tun, erscheint als im Mindesten so gewichtig zu sein wie die Absicht einer sammelfähigen Kunstherstellung. Die Ausstellung von Christoph Becker vermittelt eindrücklich, dass ihre Selbstständigkeit auch das Finanzielle einschliesst. Um ihren Tarot-Skulpturenpark in der Toskana (wovon Modelle zu sehen sind) realisieren zu können, war ihr eine Umarmung einer Massenvermarktung und der nahe des Duftes eines Ausverkaufs zu stehen kommen könnende Effort der Kreation eines Parfumflacons keine sogenannt zu niedere Tätigkeit. Gerade diese Brüche, ihre selbstverständlich egalitäre Handhabe von Populär- und Hochkultur dürften sie in ihren Anfangszeiten für viele als suspektes Subjekt erscheinen lassen. Pontus Hultén, der damalige Direktor des Moderna Museet in Stockholm, wurde zu ihrem wichtigsten Förderer, und auch ihr Leibgalerist Alexander Iolas wird in ihrer Vita mit Dépendancen in den wichtigsten Städten der Welt in Verbindung gebracht. Die Vernetzung und der Aufbau von Ruf und Bedeutung wuchsen rasch. Was sie bei Ausbruch der AIDS-Epidemie dazu nutzte, sich mit einem Lehrbüchlein und -film gegen die damalige Stigmatisierung als Schwulenseuche und für eine Aufklärung der heterosexuellen Mehrheit weit aus dem Fenster zu lehnen. Das Brüchige im Sinn einer eigenen Schutzbedürftigkeit kommt aber auch immer wieder leise zum Vorschein. Viele Titel ihrer begehbaren Skulpturen versetzt sie mit dem Zusatz eines Meditationsraumes und auch ihre rubenshaft gerundeten Nanas wirken nur in der flüchtigen Betrachtung als nur stark und keinesfalls fragil. Was hängen bleibt ist die lustbetonte Selbstdurchsetzung, schier unabhängig davon, was andere für umsetzbar oder eben auch schicklich hielten. Heute scheint ihr Vorbild heller zu leuchten denn je. Jede Konvention und jedes Nacheifern wirken diesem Sieg der Frechheit gegenüber obsolet.

 

«Niki de Saint Phalle», bis 8. Januar, Kunsthaus, Zürich. Katalog bei Hatje Cantz.

 

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