Frauenrechte und Menschenrechte

1995 hielt Hillary Clinton eine Rede an der vierten Weltfrauenkonferenz der UNO in Peking. Darin sagte sie etwas, das eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist und dennoch eine polititische Wirkung erzielte, nämlich dass Menschenrechte auch Frauenrechte sind und Frauenrechte auch Menschenrechte. Und: «Solange Diskriminierung und Ungerechtigkeit auf der ganzen Welt so alltäglich sind – solange Mädchen und Frauen weniger wertgeschätzt werden, weniger zu essen bekommen, zuletzt zu essen bekommen, überarbeitet und unterbezahlt sind, nicht zur Schule gehen und Gewalt in und ausserhalb ihres Zuhauses ausgesetzt sind – wird das Potenzial der Menschheit, eine friedliche, wohlhabende Welt zu schaffen, nicht verwirklicht werden.» In den letzten fast dreissig Jahren seit dieser Rede hat es enorme Fortschritte gegeben bei den Frauenrechten, fast überall auf der Welt. Und an einigen Orten massive Rückschritte. Zum Beispiel in Afghanistan. Seit der Rückkehr der Taliban sind Frauen gezwungen, eine Burka zu tragen, dürfen Mädchen nicht mehr zur Schule gehen und Frauen fast keine Berufe mehr ausüben. Frauen sind Gewalt ausgesetzt, Gewalt- und Opferschutzprogramme sind nicht mehr gegeben und die Gefahr einer Zwangsheirat ist für afghanische Mädchen sehr hoch. Ganz einfach gesagt: Frauen und Mädchen werden in Afghanistan systematisch Rechte aberkannt, nur weil sie Frauen und Mädchen sind.

Aus diesem Grund sind die europäische Asylagentur und das Staatssekretariat für Migration zum Schluss gekommen, dass Afghaninnen, die in der Schweiz ein Asylgesuch stellen, den Flüchtlingsstatus erhalten sollen. Diese Praxisänderung war von Anfang an umstriten, dagegen wehrten sich insbesondere die FDP und die SVP. Die einen kritisierten die Kommunikation, die anderen direkt die Praxisänderung. Man befürchtete eine Sogwirkung. Die meisten anderen europäischen Länder  haben diese Praxisänderung ebenfalls vollzogen. Das Bundesverwaltungsgericht verteidigte im letzten Jahr diese Praxisänderung, fand nun aber in anderer Zusammensetzung in einem anderen Fall, dass von einer Kollektivverfolgung «nicht basierend auf dem Geschlecht allein, sondern nur aufgrund zusätzlicher Verfolgungsmotive» ausgegangen werden könne. 

Es war daher eine Zitterpartie im Nationalrat, als dieser über eine Motion von Gregor Rutz (SVP) abstimmte, ob man den Afghaninnen Asyl gewähren soll oder nicht. Dabei muss man sagen, dass die Afghaninnen so oder so nicht nach Hause geschickt würden, die Frage ist einfach, ob sie einen Flüchtlingsstatus oder eine vorläufige Aufnahme erhalten. Letztere hat im Bereich des Familiennachzugs und des Arbeitsmarktszugangs Nachteile. Gregor Rutz bezog sich in seinem Votum vor allem auf das zweite Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Er stellte zudem infrage, ob die Diskriminierung der Frauen wirklich so schlimm sei. Es sei nun mal ein Unterschied, ob man zwangsverheiratet werde, oder ob man einfach gezwungen werde ein gewisses Kleidungsstück zu tragen, oder einem verboten werde, einen Beruf auszuüben. Nun haben wir einmal über besagtes Kleidungsstück abgestimmt, wo jetzt die Befürworter:innen der Position Rutz noch der Meinung waren, der Zwang zu ebendiesem Kleidungsstück sei wohl etwas vom Schlimmsten, was einer Frau widerfahren könne. 

Im Fall Afghanistan haben diese beiden Punkte explizit weitere Folgen. Sollten Frauen sich weigern, die Burka zu tragen, dürfen sie das Haus nicht verlassen, wenn doch, droht ihnen Gewalt. Das Berufsverbot führt auch dazu, dass Mädchen und Frauen medizinisch kaum mehr versorgt werden können, weil sie nicht von Männern behandelt werden dürfen, aber Frauen nicht mehr als Ärztinnen arbeiten können. Wer also nicht einsieht, dass die Behandlung von Frauen in Afghanistan schwerste Menschenrechtsverletzungen sind und Frauen als Frauen kollektiv verfolgt werden, der hat ebenjene Selbstverständlichkeit nicht verstanden, dass Frauenrechte auch Menschenrechte sind. 

Am Schluss hat der Nationalrat die Motion mit einer Stimme abgelehnt. So knapp wurde es, weil sich bei der Mitte und der GLP einige enthalten haben statt abzulehnen, unter ihnen die Zürcher Philip Kutter (Mitte), Patrick Hässig und Martin Bäumle (beide GLP). Und dass es am Schluss gereicht hat, liegt an einigen FDP-Frauen, die sich mit einer Enthaltung gegen ihre Partei gestellt haben. Der Zufallsentscheid hinterlässt aber, wie Charlotte Walser im ‹Tages-Anzeiger› geschrieben hat, ein «ungutes Gefühl» der Profilierung auf dem Buckel der Frauen. Ich habe mich hier schon über Scheinproblemlösungen im Asylbereich ausgelassen. Über Vorstösse, die etwas fordern, das entweder gar nicht möglich ist, oder sowieso gemacht wird. Das gilt auch hier: Denn die Afghaninnen würden auch mit Annahme der Motion Rutz Schutzstatus erhalten. Einfach einen schlechteren. Aber das Plagen der Betroffenen ist vielleicht auch genau der Punkt der Übung.