Frauenbilder

«Fetter Zwerg.» Das sagte die Frau zu mir im Tram und stieg aus. Das kam natürlich nicht aus dem Nichts, zuvor sind wir beide aneinandergeraten, dann sie so: «Lueg nid so huerä bös». Ich so: «Gliichfaus, simmer Duzis»? Sie so: «Fetter Zwerg.» Dass ich ihr noch «Hässliche Kuh» hinterherrief, hat sie vermutlich nicht mehr gehört.

 

Ich bin ein latent aggressiver Mensch, und die Frau im Tram mindestens genau so, in diesem Sinne schulden wir uns also nichts. Ich fand diese Episode aus anderen Gründen bemerkenswert. Beleidigungen gegen Frauen gehen nämlich meistens so. Gegen ihr Äusseres. Einem Mann hätte ich nicht nachgeschrien, er sei hässlich, und wäre ich ein Mann, hätte sie mir nicht gesagt, ich sei fett. Ich hatte ähnliche Situationen tatsächlich auch schon mit Männern, und dann läuft das nicht weniger aggressiv, aber inhaltlich anders. Man kann Frauen auch heute noch am besten damit beschimpfen, indem man auf ihr Äusseres zielt. Dieses Äussere gehört zum Verständnis von und über Frauen.

 

Während ich also ein wenig über unser Frauenbild nachdachte, kam Köln. Und ich stelle fest, dass das mit dem Frauenbild omnipräsent ist. Da als Anschuldigung (weil die Täter ein völlig anderes, also weniger modernes Frauenbild haben), dort als zu verteidigende Errungenschaft unseres Rechtsstaates (in dem Frauen wie Männer die gleichen Rechte haben). Und irgendwie will mir das nun nicht so recht aufgehen.

Denn die jetzt auch von rechts gefeierte Gleichberechtigung der Frauen ist in der Realität nicht ganz so perfekt.

 

Frauen verdienen für die gleiche Arbeit weniger als Männer. Es sind noch immer mehrheitlich Frauen, die unbezahlte, ehrenamtliche Arbeit leisten – zum Nachteil einer eigenen Berufskarriere. Es sind die Frauen, die nach der Geburt des ersten Kindes ihr Arbeitspensum reduzieren. Die Resultate der Studie einer Lernforscherin der ETH weisen aus, dass Mädchen bei gleicher Leistung in Physik signifikant tieafer benotet werden als Knaben. Vermutlich, so die Forscherin, lassen diese sich vom Vorurteil leiten, Mädchen seien in Physik einfach schlechter. Als ich mich letztes Jahr auf eine 80%-Stelle beworben hatte, wurde ich im Vorstellungsgespräch gefragt, ob ich das denn organisatorisch und generell mit meinen zwei kleinen Kindern unter einen Hut bringen könne (und das war nicht in der Privatwirtschaft, sondern in der Verwaltung). Erst seit rund 10 Jahren ist die Vergewaltigung in der Ehe ein Offizialdelikt. Das Frauenstimmrecht ist so jung, dass noch viele lebende Wählerinnen dieses erst weit nach ihrem 18. Geburtstag erhalten haben. Von Werbung, die auch für Parkettböden und Hustensaft nackte Frauen verwendet, ganz zu schweigen.

 

Und so nehme ich mir gerade im Zusammenhang mit Köln das Recht, zu fragen, ob wir wirklich die sind, die uns ein modernes Frauenbild auf die Fahne schreiben dürfen. Ich glaube nicht. Dass die Rechte dies aber tut und es nun mit der Migrationspolitik mischt, macht es erst richtig unerträglich. Wir sollten diese beiden Diskussionen trennen. Hier die Gedanken zur Migrationspolitik, die sich verpflichten muss, bedrohten Menschen Schutz zu gewähren und diese Verpflichtung nicht wahlweise beim Anblick eines toten Kindes am Strand oder sexuellen Übergriffen durch Flüchtlinge zu bestärken oder über den Haufen zu werfen. Und sich zu vergegenwärtigen, was jemand anderes schrieb: Was die Täter von Köln verbindet, ist nicht ihre Herkunft oder ihr Status, sondern dass sie Arschlöcher sind. Und dort das Zugeständnis, dass die Gleichberechtigung von Frauen durch einen von allen getragenen Kraftakt den Weg vom Papier in die Realität finden muss.

 

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Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe sind Verbrechen, die es zu ahnden gilt. Jahre- und jahrzehntelange strukturelle Diskriminierung von Frauen allerdings ebenso.

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