«Frau Grünraum» reicht den Spaten weiter

Nach 15 Jahren ist Schluss: An der letzten Ratssitzung vor den Frühlingsferien hiess es für Gabriele Kisker, Gemeinderätin der Grünen, Abschied zu nehmen. Weshalb sie sich so lange im Gemeinderat engagierte und was sie als nächstes vorhat, erklärt sie im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Fast vier Legislaturen sind eine lange Zeit: Was hat Sie seinerzeit dazu bewogen, sich im Gemeinderat zu engagieren?

Gabriele Kisker: Der Auslöser für mein politisches Engagement war nicht ein Ereignis im Jahr 2006, als ich im Gemeinderat anfing, sondern liegt weiter zurück in der Vergangenheit: Als 1986 das Atomkraftwerk von Tschernobyl explodierte, waren meine Kinder noch klein, und dieses Unglück hat mich sehr erschreckt – und auch aufgeschreckt. Es hat mich dazu motiviert, politisch aktiv zu werden, beziehungsweise: noch aktiver.

 

Wie meinen Sie das?

Ich engagierte mich als Mutter kleiner Kinder in verschiedenen Projekten, beispielsweise für mehr Spielplätze im Quartier, für mehr Mitbestimmung der Eltern im Schulhaus und speziell auch dafür, dass Kinder, die früher quasi automatisch in eine Sonderschulklasse eingeteilt worden waren, vermehrt in Regelklassen integriert werden konnten.

 

Was hat Sie an diesen Themen besonders interessiert?

Der Einsatz für Spielplätze war logischerweise nicht ganz uneigennützig … Ansonsten ging es mir vor allem um das Stigma, das an Kindern ‹kleben› bleibt, die aus der Sonderschule kommen. Dagegen wollte ich etwas unternehmen. Ich war denn auch viele Jahre als Schulpflegerin tätig. Zum Abschluss meiner Zeit in der Schulpflege konnte ich schliesslich zusammen mit den LehrerInnen zweier Oberstufenschulhäuser ein Pilotprojekt zur Integration von Sonderschulkindern auf die Beine stellen, das nicht nur uns allen Freude machte, sondern auch richtig gut funktionierte – nicht zuletzt, weil der Kanton uns dafür den Stellenpool zur Verfügung stellte, den wir brauchten. Leider hat man diese Stellenprozente dann zusammengestrichen, als die integrative Schulform definitiv eingeführt wurde. Seither ist viel passiert, und in jüngster Zeit standen eher wieder die Grenzen der Inklusion im Vordergrund. Ich finde die Integration in Regelklassen nach wie vor wichtig, aber man sollte auch nichts überstrapazieren. Vor allem darf die Inklusion nicht als Sparprogramm missverstanden werden.

 

Ihr Engagement als Schulpflegerin hat Ihnen den Weg in den Gemeinderat geebnet?

Zu Beginn der Nuller-Jahre waren meine Kinder schon grösser, und aus meinem Umfeld hörte ich immer wieder, um politisch weiterzukommen, müsste ich mich fürs Parlament aufstellen lassen. Für mich sah das nach einer grossen Herausforderung aus, doch ich stelle mich Herausforderungen gern und konnte mir deshalb auch vorstellen, es zu probieren. Dann rief mich der damalige Präsident der Grünen Stadt Zürich, Christoph Hug, an. Er erklärte mir, dass die Partei eine Stimmrechtsbeschwerde einreiche und es noch jemanden aus dem Kreis 1 brauche, der sich als ‹Opfer› zur Verfügung stelle.

 

Warum denn als ‹Opfer›?

Der Wahlkreis 1 war so klein, dass die zwei Sitze stets an die zwei grössten Parteien dort, die FDP und die SP, gingen. Kleinere Parteien hatten keine Chance. Zusammen mit Mathis Kläntschi, dem heutigen Statthalter von Zürich, trat ich bei den Wahlen 2002 an, und wir holten gleich einen Stimmenanteil von 16 Prozent. Das war wahnsinnig viel, zumal ich, ausser dem Verteilen von selbst gebastelten Postkarten, kaum Wahlkampf gemacht hatte. Wären zwei, drei Listen mehr für die Grünen eingelegt worden, hätten wir den Betonsitz der FDP geknackt, denn wir waren mit der CVP und der EVP eine Listenverbindung eingegangen. Doch es war gut, dass das nicht geklappt hat: Weil wir mit einem Stimmenanteil von 16 Prozent keinen Sitz bekamen, weil die Stimmen für uns stattdessen direkt in den Abfallkübel wanderten, klagten wir – und erhielten vor Bundesgericht recht.

 

Ihnen haben wir also den ‹doppelten Pukelsheim› zu verdanken?

Ja, es musste ein neues System mit grösseren Wahlkreisen eingeführt werden, und die Stadt entschied sich für den doppelten Pukelsheim. Nach der guten Erfahrung von 2002 kandidierte ich für den Kantonsrat, was jedoch von Anfang an ein aussichtsloses Unterfangen war. Doch bei den Gemeinderatswahlen 2006 holten wir einen Sitz mehr, und ich konnte im Gemeinderat anfangen. Ich schätze es bis heute sehr, dass ich mit dieser Wertschätzung der WählerInnen im Rücken in die Parlamentsarbeit einsteigen konnte.

 

Sie waren zuerst in der Spezialkommission Gesundheits- und Umweltdepartement tätig: Sahen Sie darin eher einen Start nach Mass oder ein hartes Pflaster?

Mein Motto lautet stets, wenn ich etwas mache, dann richtig: Ich steckte von Anfang an viel Zeit in die Arbeit für mein Gemeinderatsmandat. Die Arbeit in der Spezialkommission Gesundheits- und Umweltdepartement erwies sich sogleich als spannend. Wir befassten uns mit der Umsetzung der 2000-Watt-Initiative und später mit verschiedenen Altersheimbauten. Als Kommissionsmitglied schaute ich deshalb verschiedene Altersheime an und stellte mir die Frage, ob ich so alt werden möchte …

 

… und die Antwort lautet «eher nicht», oder täuscht der Eindruck?

Damals gab es noch keine Zweierzimmer für (Ehe-)Paare und auch keine flexi­blen Räume, falls beispielsweise drei Personen zusammenleben möchten. Und damit sich die Hotellerie rechnet, braucht es Einheiten von mindestens 100 Personen. Die Esssäle fand ich zu gross und steril. Der damalige Departementsvorsteher Robert Neukomm setzte zudem auf das sogenannte Service-Wohnen, doch das war etwa so teuer, wie wenn die alten Menschen zwar in Wohnungen der Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich gelebt, aber jeden Tag im Baur au Lac gegessen hätten … Auch dem Problem der Alterseinsamkeit und dem Wunsch älterer Menschen, noch Teil von etwas sein zu können, eine Aufgabe im Leben zu haben, wurde die damalige Alterspolitik nicht gerecht. Kurz: In dieser Kommission gab und gibt es viel zu tun. Das zeigt etwa die jüngst im Rat überwiesene Motion von SP-Gemeinderätin Marion Schmid, die Lösungen zur Finanzierung des Wohnens mit Betreuung zuhause für AHV-RentnerInnen mit Zusatzleistungen fordert. 

 

Sie wechselten sodann in die Spezialkommission Hochbaudepartement, Stadtentwicklung und waren in den letzten Jahren zusätzlich Mitglied der Besonderen Kommission Richtplan/Bau- und Zonenordnung sowie der Besonderen Kommission kommunale Richtpläne Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen sowie Verkehr: Ein Traumjob für eine Architektin?

Ich bin zwar ausgebildete Architektin, doch als meine Kinder grösser wurden, war ich bereits politisch engagiert und habe die Rückkehr in den Beruf verpasst. Ich konnte mir das zum Glück finanziell leisten, ein Privileg, das ich einerseits genossen habe und das mich andererseits zusätzlich motiviert hat, mich politisch zu engagieren. Wenn es in der Kommission beispielsweise um Gestaltungspläne oder konkrete Bauprojekte ging, war meine Ausbildung natürlich ein Vorteil. Spannend war die Arbeit in dieser Kommission aber auf jeden Fall, und nicht wenige Themen, die den Rat zurzeit beschäftigen, haben bereits eine lange Vorgeschichte.

 

Zum Beispiel?

Als wir im Gemeinderat Ende März die Fachplanung Hitzeminderung samt der damit verknüpften Massnahmen für die Zeit bis 2023 verabschiedeten, wurden auch einige Begleitvorstösse behandelt und als erledigt abgeschrieben. Darunter befand sich das Postulat von Markus Kunz und mir, mit dem wir bereits 2012 Massnahmen zur Hitzeminderung gefordert hatten, die eine Erhöhung des Grünflächenanteils in damit unterversorgten Gebieten einfordert. Wir wollten unter anderem, dass mehr Bäume gepflanzt, aber auch vermehrt Flachdächer begrünt und Schattenzonen geschaffen werden sollten.

 

Der Eindruck, Grünraum sei Ihr Lieblingsthema, ist nicht ganz falsch?

Den Text der Grünstadt-Initiative habe ich mit meiner Freundin Irma Birchler geschrieben, wobei eine ETH-Analyse als Grundlage diente, die den Mangel an Grün- und Freiraum in den Städten thematisierte. In Zürich jedoch dominierte das Abstandsgrün. Wir Grünen machten uns nichtsdestotrotz Gedanken darüber, wie sich der nötige Grünraum sichern und erhalten liesse. Wir überlegten uns, ob wir ein Postulat oder eine Motion einreichen sollten, entschieden uns aber stattdessen für eine Volksinitiative. So entstand die «Volksinitiative für den Schutz und die Förderung von Grün- und Freiräumen», kurz Grünstadt-Initiative. Der Gemeinderat erarbeitete einen Gegenvorschlag dazu, und den nahmen 79,9 Prozent der Stimmenden am 21. Mai 2017 an.

 

Sie mussten jedenfalls nie befürchten, dass Ihnen die Arbeit ausgehen könnte …

Ich kann mich gut an meine erste Reise mit der Spezialkommission Hochbaudepartement, Stadtentwicklung erinnern: Meine ‹Gspänli› neckten mich mit Sätzen wie «schau mal, Gabi, das Gräslein dort, willst du das nicht auch noch retten?». Dabei gab es immer wieder Vorlagen, bei denen es sich lohnte, genau hinzuschauen. Heute richtet man im Hochbaudepartement das Augenmerk viel stärker auf die Aussenräume, und dennoch wird oft immer noch bloss zubetoniert, wie etwa jüngst an der Zollstrasse. Und im Gebiet Zürich-West, wo der Grundwasserspiegel bereits um zwei Meter abgenommen hat, gibt es bloss die Auflage, dass die Kanalisation «Starkregen» bewältigen können muss … Dabei müsste man endlich dafür sorgen, dass das Regenwasser nicht einfach in der Kanalisation verschwindet, sondern versickert und so Bäume bewässern und an heissen Tagen via Verdunstung zur Kühlung des Stadtklimas beitragen kann. 2013 machte ich ein Begleitpostulat zur besseren Versickerungsfähigkeit von Böden, und in der letzten Bau- und Zonenrevision 2016 wollten wir Baumschutzgebiete erweitern. Beides war leider damals noch nicht mehrheitsfähig. Umso mehr freut mich, dass ich im kommunalen Richtplan das Thema Regenwasserbewirtschaftung erfolgreich einbringen und Massnahmen dazu verankern konnte.

 

Ihre ‹Gspänli› in der Kommission konnten Sie demnach nicht immer überzeugen?

Nein, manchmal brauchte es halt einfach mehrere Anläufe und Beharrlichkeit, um Mehrheiten zu finden. Es war die Verwaltung, die litt… (lacht), denn ich hielt den Finger drauf, wenn mich etwas nicht überzeugte oder ich etwas entdeckte, von dem ich fand, man könnte es besser machen. Dabei ist mir durchaus bewusst, dass es für die Exe­kutive nicht immer einfach ist, die Bauherrschaften für ökologische oder soziale Anliegen zu gewinnen, trotzdem hätte ich mir manchmal gegenüber den Bauherrschaften etwas mehr Biss zu Gunsten von öffentlichen Interessen gewünscht. Unterdessen haben sich die Zeiten geändert, spätestens seit Corona ist allen klar, wie wichtig und wertvoll gute Aussenräume sind. Auch Hitzesommer und extreme Wetterlagen sind leider Alltag geworden – umso wichtiger ist es, dem Grünraum mehr Beachtung zu schenken, Bäume zu pflanzen sowie Flächen unversiegelt zu belassen und neue Konzepte wie die Schwammstadtidee weiterzuverfolgen.

 

Sie tönen auf jeden Fall so, als könnten Sie nahtlos weitermachen.

Mit dem kommunalen Richtplan ist ein grosser Brocken geschafft, doch es geht tatsächlich nahtlos weiter, erst mit dem kommunalen Verkehrsrichtplan, dann mit der Teilrevision des Regionalen Richtplans, und danach folgt noch die Anpassung der Bau- und Zonenordnung. Doch es ist auch einiges passiert, es entstehen neue Plätze und Parks, die Altersstrategie ist verabschiedet – und grundsätzlich gibt es immer etwas, was noch fehlt und woran man noch weiterarbeiten müsste. Deshalb nehme ich den kommunalen Richtplan als schönen Abschluss mit und freue mich darüber, dass es in unserer Fraktion viele engagierte Menschen hat, die unsere Ziele weiterverfolgen und weiter dafür kämpfen, dass wir sie dereinst erreichen.

 

Und was fangen Sie nun mit all der freien Zeit an?

Ich nehme mir erst mal eine Auszeit von der Politik, wobei ich natürlich im Wahlkampf schon mithelfen werde. Aber ansonsten will ich mal etwas anderes machen, zum Beispiel Gärtnern im Gemeinschaftsgarten Grünhölzli im Dunkelhölzli. Auch die Wiederbegrünung von belasteten Böden interessiert mich, oder das Thema Waldboden- und Baumschutz. Mit einer Freundin starte ich zudem ein Strick- und Häkelprojekt, und ich freue mich auch darauf, mehr Zeit mit meinen Enkelkindern zu verbringen.

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