Fragwürdig

Als Jugendliche hatte ich mal ein Gespräch mit einer Mitschülerin über Zukunftspläne, und ich war damals ganz verblüfft über ihre Antwort. Sie sagte nämlich, dass sie Lehrerin werden wolle, weil man da gut Teilzeit arbeiten kann, wenn man mal Kinder hat. Wir waren damals vielleicht 15, ich weiss es nicht mehr so ganz genau. Aber ich kann mich genau erinnern, dass ich die Antwort überhaupt nicht verstanden habe, weil es mir so irrational schien, seine ganze Zukunftsplanung an einem Ereignis aufzuhängen, von dem man ja gar nicht weiss, ob es eintreffen wird. Das wäre mir nie in den Sinn gekommen, zumal ich damals auch komplett überzeugt war, dass ich niemals heiraten oder Kinder kriegen würde. Ich habe das auch immer so gehandhabt, man überquert die Brücke, wenn man da ist, wie es im Englischen so schön heisst, und ich bin damit nicht schlecht gefahren. Nur – ob das wirklich die rationalere Überlegung ist als diejenige meiner Schulkollegin ist eine ganz andere Frage. 

Nun ist meine Jugend doch länger her, aber immer noch ist anscheinend für viele Frauen die Frage der Vereinbarkeit zentral in ihrer Zukunftsplanung. Die Ergebnisse der Studie von Ökonomin Margrit Osterloh und Soziologin Katja Rost, über die die ‹Sonntags-Zeitung› berichtete, haben mich daher nicht fundamental überrascht. Diese ist zum Schluss gekommen, dass bei vielen Studentinnen noch traditionelle Geschlechterrollen vorherrschen und dass die Mehrheit angibt, nach der Familiengründung Teilzeit und nicht Vollzeit arbeiten zu wollen. Das entspricht auch dem, was mehrheitlich in der Schweiz gelebt wird. Es wäre eher überraschend, wenn Studentinnen total anders ticken würden als alle anderen. Die Präferenz für Teilzeit ist noch stärker bei Studentinnen in weiblich dominierten Fächern. Auch das erscheint plausibel, wie das Beispiel meiner Schulfreundin zeigt: Wer eine Familie gründen und Teilzeit arbeiten will, sucht sich vielleicht auch ein Berufs- oder Studienfeld, in dem das möglich ist.

Die Studie und deren Befunde wurden sehr rasch kritisiert. Das eine Problem ist, dass sie gar noch nicht publiziert wurde und auch noch nicht fertig ist. Das heisst, die Ergebnisse sind zum jetztigen Zeitpunkt nicht überprüfbar. Ebenso wurde in einem Artikel auf ‹Watson› kritisiert, dass die Fragen zum Teil tendenziös sind. Das Hauptproblem liegt aber vor allem in der Interpretation der Ergebnisse, wie sie Studienautorin Osterloh zu einem Teil, aber insbesondere ‹Sonntags-Zeitung›-Autor Rico Bandle vornimmt. Das Ganze wird dann nämlich betitelt mit «Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen», was suggeriert, dass die meisten Studentinnen eigentlich bloss studieren, um sich die Zeit totzuschlagen, bis sie sich einen reichen Mann geangelt haben. Und das gibt die Studie, mindestens soweit man dies aus den Artikeln zum Thema entnehmen kann (sie ist ja noch nicht publiziert), dann doch nicht ganz her.

Die Hauptautorinnen Osterloh und Rost kommen aufgrund der Ergebnisse zum Schluss, dass frauenfördernde Massnahmen wie Quoten oder familienfreundliche Bedingungen nichts bringen würden, um die Anzahl von weiblichen Professorinnen zu steigern, da die Frauen selber die Ambition für eine wissenschaftliche Karriere nicht mitbringen. Was wir aber nicht wissen ist, ob die Frauen die Ambition nicht haben, weil sie grundsätzlich weniger Ambitionen haben, oder weil die Bedingungen nicht gegeben sind. Das gibt auch Osterloh gegenüber Watson zu: «Wir kennen die Richtung der Kausalität nicht, die kann man aus der Studie nicht ableiten. Wenn die Strukturen in der Gesellschaft anders wären, wäre es möglich, dass etwas anderes herauskommt.»

Erschwerend dazu kommt, dass eine akademische Karriere noch ein paar besondere Anforderungen mit sich bringt, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zusätzlich erschweren. Denn nach einem Studium müssen künftige Professorinnen noch ein Doktorat, dann ein sogenanntes Post-Doc an einer ausländischen Universität anhängen, um dann allenfalls im Idealfall eine Assistenz- oder Juniorprofessur an einer Universität finden zu können. Diese Stellen sind allerdings rar, viele Nachwuchsforscher:innen arbeiten in befristeten und teilweise prekären Arbeitsverhältnissen. Wenn dann alles rund läuft, dann kommt irgendwann die Chance auf eine ordentliche Professur. Bei vielen klappt es allerdings auch nicht.

Diese akademischen Lehr- und Wanderjahre fallen allerdings auch gerade in jene Lebensphase, in der viele über eine Familiengründung nachdenken, was nicht ganz so trivial ist, wenn es darum gehen sollte, dass man vielleicht eine Forschungsstelle an einer ausländischen Universität annehmen sollte, wo es aber keine beruflichen Perspektiven für den Partner oder die Partnerin gibt. Dass da viele (und nicht nur Frauen) darauf verzichten, ist gut nachvollziehbar. Zumal es ja auch Karrieremöglichkeiten jenseits der Wissenschaft gibt, die vielleicht auch familienfreundlicher sind, da man durchaus auch mit Teilzeitarbeit Karriere machen kann (oder wenigstens können sollte).

Es liegt in der Natur der Wissenschaft, dass es unterschiedliche Interpretationen derselben Inhalte gibt, dass es Studien gibt mit unterschiedlichen Resultaten und dass auch Wissenschaftler:innen nicht frei sind von eigenen politischen Vorstellungen. Das ist alles nicht grundsätzlich problematisch und kann und soll auch diskutiert werden. Man muss sich selbstverständlich auch Einschätzungen aussetzen, die nicht der eigenen entsprechen und die einen vielleicht sogar dazu bringen, seine bisherige Meinung zu überdenken. Das bedingt aber, dass eine kritische Auseinandersetzung überhaupt stattfinden kann. Die Studienautorinnen haben sich insofern keinen Gefallen damit gemacht, die Studie nicht vollständig und fertig zu veröffentlichen – denn so wird die Studie lediglich zur politischen Glaubensfrage, die man sehr leicht abtun kann.

In der gleichen Ausgabe der ‹Sonntags-Zeitung› erklärt ETH-Professor Andreas Züttel, warum das Klimaschutzgesetz kontraproduktiv ist, und ein anonymer Seklehrer und Schulleiterin Yasmine Bourgeois (die auch noch FDP-Gemeinderätin ist, was im Artikel nicht steht), dass die integrative Schule gescheitert ist und es immer mehr verhaltensauffällige Kinder hat. Zu beidem gäbe es etliche Punkte, die man durchaus diskutieren könnte – nur hat man ein wenig den Verdacht, dass es auch hier nicht darum geht. Sondern eher darum, im vermeintlich journalistisch-objektiven Gewand eigene politische Haltungen zu platzieren. 

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