Fortschrittsallianz?

Das Ergebnis der Zürcher Wahlen ist recht klar: Die Bisherigen wurden nicht nur im Regierungsrat bestätigt. Es gibt in meinen Augen eine Gewinnerin, die Mitte und zwei Parteien mit Verlusten, die leicht über das Zufällige hinausgehen: Die Grünen und die AL. Für die Kantonalpolitik der nächsten vier Jahre entscheidend: Die Klimaallianz, bestehend aus SP, Grünen, GLP, EVP und AL, rettete sich mit 91 Stimmen knapp ins Ziel. Da die SP-Frau Sylvie Matter im ersten Jahr der neuen Legislatur (ab Mai) Präsidentin wird und somit nur bei Stimmengleichheit stimmen darf, fehlt der Allianz zur Überwindung der Ausgabenbremse (mindestens 91 Stimmen) eine Stimme, die sie ab Mai 2024 wieder haben wird, da ab dann Jürg Sulser von der SVP den Rat leiten wird. Da es bei den relevanten Geschäften beim Klima selten um Kredite geht, spielt dies eine untergeordnete Rolle. Dass, wie es der hauptbetroffene Regierungsrat Martin Neukom, aber auch Thomas Forrer als Fraktionschef der Grünen antönten, die Vorlagen zur Verbesserung des Klimas künftig noch etwas breiter abgestützt werden müssen, trifft nur zur Hälfte zu. Die wirklich entscheidenden Vorlagen wie das Energiegesetz wurden in der letzten Legislatur bereits mit den Stimmen der Mitte und des Freisinns beschlossen. Nur darf man dabei nicht vergessen, dass die Klimaallianz diese auch im Alleingang hätte durchboxen können. Dies kann sie weiterhin und stärkt sie in Verhandlungen. Die Gefahr, dass die Allianz auseinanderbricht, betrachte ich als klein. Die Parteien der Klimaallianz haben die Verbesserung des Klimas derart in sich verankert, dass sie gar nicht anders können, ohne ihre Grundlagen infrage zu stellen. Etwas anders liegt die Frage der «Zukunfts»- oder «Fortschrittsallianz», die sie auch sein möchten.

 

Bevor ich mich damit befasse, zwei andere Gedanken. Ich werde hier nichts über die kommenden eidgenössischen Wahlen schreiben. Am letzten Sonntag wurden für mich die Weichen für die nächsten vier Jahre im Kanton Zürich gestellt und nicht die Hauptprobe für die Wahlen im Herbst abgehalten. Zweitens wundere ich mich über die teils sehr komplizierten Geschichten und Deutungen («Mitleidsbonus für Silvia Steiner») für vermutlich recht einfache Vorgänge oder Personen.

 

Ganz banal: Es gab vor den Wahlen in einem Abstand von rund einem Monat zwei Meinungsumfragen zu den Wahlen. Die eine im Auftrag der NZZ, die andere vom ‹Tages-Anzeiger›. Was mögliche Verluste und Gewinne der Parteien betraf, glichen sie sich, und die Wahlresultate liegen im angegebenen Streubereich. Auch wenn beide eher mit Verlusten der SP und der SVP und mit Gewinnen der GLP rechneten, was beides nicht eintraf. Bei den Regierungsratswahlen waren die Ergebnisse massiv anders: Die Daten und ihre Interpretation beim ‹Tages-Anzeiger› deuteten auf einen Zweikampf zwischen der amtierenden Bildungsdirektorin Silvia Steiner und Priska Seiler Graf von der SP hin. Die Umfrage führte dazu, dass sich der ohnehin laufende inhaltliche Angriff nicht nur der SP auf die Bildungspolitik Silvia Steiners auch medial verstärkte. Die Umfrage der NZZ ergab ein anderes Bild: An der Spitze das Trio Mario Fehr, Natalie Rickli und Ernst Stocker, dann mit Abstand Martin Neukom und eng zusammen, aber sehr deutlich vor den Neukandidierenden Jacqueline Fehr, Carmen Walker Späh und Silvia Steiner. Also genau das Resultat, das am Sonntagabend nach der Auszählung auch in den Dimensionen feststand. Mit Nachbefragungen und vielen Spekulationen versucht nun der ‹Tages-

Anzeiger› nachzuweisen, warum der Zweikampf viel weniger knapp als angenommen ausging. Die naheliegende Frage, ob die Meinungsumfrage falsch interpretiert, respektive gewichtet wurde, stellt man sich gar nicht.

 

Der klar unterlegene FDP-Kandidat Peter Grünenfelder sprach vor den Wahlen von einem «Kartell der Bisherigen» und  warf ihnen unter anderem vor, die Smartvote-Umfrage geschlossen nicht beantwortet zu haben, sich dem Wahlkampf zu verweigern. Damit bewies er vor allem, dass ihm die reale Politik ziemlich fremd ist. Erstens bekämpfen sich amtierende RegierungsrätInnen in Wahlkämpfen bei uns selten, da sie mit grosser Wahrscheinlichkeit wieder zusammenarbeiten müssen und das Sitzungsgeheimnis auch im Wahlkampf gelten sollte. Zudem: Wenn man wie Peter Grünenfelder die bisherigen RegierungsrätInnen mehr oder weniger als Schlafsäcke hinstellt, muss man sich nicht wundern, dass sich die Hilfe für ihn auch von den Bürgerlichen in Grenzen hält.

 

Der Erfolg von Mario Fehr wird von der NZZ als Niederlage der SP taxiert, was so nicht zutrifft. Obwohl ohne sein Antreten nach dem Parteiaustritt Priska Seiler Graf wohl gewählt worden wäre. Aber ihre Niederlage besteht wenn schon darin, dass sie es nicht schaffte, Carmen Walker Späh oder Silvia Steiner zu verdrängen. 

 

Mario Fehr wäre vor zwölf Jahren ohne SP nie Regierungsrat geworden. Dass sich RegierungsrätInnen mit den Jahren einen Namen schaffen, der sie von der Partei unabhängig macht, gehört zur Realität. Erst recht, wenn einer wie Mario Fehr einen zentralen Auftrag der Politik, die Kommunikation (dazu gehört die Teilnahme an jeder Hundsverlochete) ausgesprochen wahrnimmt und erst noch ein Regierungsrat ist, der seinen Job beherrscht. 

 

Benno Scherrer (GLP) erfuhr die Grenzen der GLP-Mittepolitik. Ohne ganz spezielle Konstellation wird man aus der Mitte ohne die Unterstützung der linken oder rechten Hälfte kaum Regierungsrat. Für die Grünliberalen bedeutet dies, dass sie derzeit die Unterstützung von links benötigen.

 

Damit wäre ich bei der angestrebten Fortschrittsallianz. Und bei der Frage, ob die erweiterte oder bisherige Klimaallianz weitere dringende Probleme lösen kann: Etwa die ausserschulische Betreuung. Diese und die Kitas fehlen erstens in vielen Gemeinden noch und sind für viele Eltern zu teuer. Die Finanzierungslücke muss nicht zwingend durch den Staat geschlossen werden, ich kann mir auch Beiträge von Arbeitgebern vorstellen. Aber sie muss geschlossen werden. Das Gesundheitswesen benötigt dringend Entlastung, und gleichzeitig sind die Krankenkassenprämien für viele zu hoch. Es fehlt an bezahlbaren Wohnungen (nicht in erster Linie für die Ärmsten), aber durchaus auch an digitalen Infrastrukturen. Oder bald wieder drängender: Flüchtlinge benötigen dringend mehr Arbeitsmöglichkeiten. Bei allem und einigem mehr muss die Lösung nicht zwangsläufig mehr Staat sein. Aber es braucht Lösungen, die der Finanzierung nicht ausweichen.

 

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