Fördern ist schwer
Als ich mich vor der Abstimmung über die Sozialdetektive in einem Artikel im P.S. sehr dezidiert für dieses Mittel der Repression einsetzte, ‹belohnte› mich unser Karikaturist mit einer Zeichnung, die mich als Schreibtischtäter entlarvte. Mich störte dies keineswegs: Ich fand die Sozialdetektive nötig und ich schrieb das ohne soziales Geschwurbel. Ich bin erleichtert, dass das Ja an der Urne deutlich ausfiel, aber die Probleme jener, die von der Sozialhilfe leben müssen, sind damit keineswegs gelöst, und über diese möchte ich hier schreiben.
Der Sozialhilfe hat schon lange eine Doppelrolle. Sie soll einerseits kurzfristig in der Not helfen (ihre offiziell zentrale Rolle) und anderseits für alle sorgen, die von niemandem mehr etwas erhalten: Sei es, dass sie ausgesteuert sind, dass ihr IV-Gesuch abgelehnt wurde, sei es, dass niemand ihnen eine Lehrstelle bietet oder sie dafür erst fit gemacht werden müssen. Und sei es, dass sie sich als Flüchtling schwer tun in der Schweiz. Da hier auch noch die Asylorganisationen und das Migrationsamt mitreden, lasse ich dieses Thema hier aussen vor.
Die Gewichte verschoben sich in den letzten 20 Jahren zur Langzeithilfe. Dazu gewann die Idee eines Grundeinkommens an Bedeutung. Die IV lehnt deutlich mehr Gesuche ab, ohne dass dadurch die Betroffenen arbeitsfähiger werden, man wird auch schneller (derzeit dank Corona und Kurzarbeit zum Glück nicht) ausgesteuert und das Stellenangebot für einfache Tätigkeiten nimmt ab. In der Stadt Zürich werden nur noch ein Drittel der Neuanmeldungen als für den Arbeitsmarkt tauglich eingestuft. Wobei man dabei aufpassen muss: Rund die Hälfte der Neuanmeldungen findet innerhalb eines Jahres den Ausstieg aus der Sozialhilfe.
Die Sozialhilfe ist also längst nicht für alle eine Sackgasse. Die Frage lautet: Könnte sie diese Aufgabe besser erfüllen? Die Sozialhilfe hat aus meiner Sicht zwei zentrale Schwachpunkte. Sie ist finanziell zu tief und sie setzt oft zu spät an. Das erste ist sehr einsichtig, wenn man sich die Mühe nimmt, sich vorzustellen, wie man selber mit diesen Beträgen leben würde. Wer allein lebt, erhält 1000 Franken plus die Wohnung und die Krankenkassenversicherung. Mit 30 Franken pro Tag muss man alles finanzieren. Das reicht zum Überleben, zum Leben auf die Dauer nur für Lebenskünstler. Auch wenn man berücksichtigt, dass man als Sozialhilfebezüger nicht betrieben werden kann, keine Steuern bezahlt und in Caritasläden günstig einkaufen kann. Als Familie oder mit Kindern ist es ganz leicht besser.
Sozialhilfe erhält nur, wer nachweisen kann, dass er kein Geld mehr besitzt – ausgenommen ist ein Vermögen von 4000 Franken für Alleinstehende oder 10 000 Franken für Verheiratete. Unter Vermögen fällt aber auch ein noch ausstehender Lohn, eine positive Heizkostenabrechnung, ein noch gutes Auto. Immerhin TV und Möbel gehören nicht dazu. Gravierender ist, dass man faktisch ausschliesslich vom Sozialhilfegeld leben muss. Mit Arbeit stehen einem zwar 400 Franken mehr zur Verfügung, was darüber hinaus verdient wird, wird von der Sozialhilfe abgezogen. Ebenso alle grösseren Zuwendungen, die man von Verwandten oder FreundInnen erhält. ‹Grösser› beginnt in der Grössenordnung von 100 Franken. Das ‹Fördern› von eigenen Anstrengungen ist finanziell klein. Es besteht vor allem darin, dass man die Fähigkeiten der SozialarbeiterInnen und der Institutionen nutzen, dass man eine Möglichkeit zur Ausbildung erhalten kann. Letzteres gewann zum Glück in den letzten Jahren an Gewicht: Es kann sich meist auch ausbilden, wer schon eine abgeschlossene Ausbildung aufweisen kann, aber im Beruf nicht zurecht kam.
Vielen wäre mit einem gesicherten Grundeinkommen gedient. Das Überleben bliebe gesichert, eigener Mehrverdienst könnte die Situation deutlich verbessern. Die Sozialhilfe ermöglicht etwa vor allem Älteren (so ab 50 Jahren), die Selbstständigkeit zu erhalten. Dem Taxifahrer, der Coiffeuse bliebe mehr im eigenen Sack bei einem Grundeinkommen, wenn sein/ihr Geschäft besser läuft. Sie müssten dann etwas mehr Steuern bezahlen.
Bevor man Sozialhilfe erhält, muss man beweisen, dass man im Prinzip nichts mehr hat. Würde man vorher Unterstützung erhalten, wären die Chancen auf eine Wiedereingliederung sicher grösser. Heute geht der Fallschirm Sozialhilfe erst auf, wenn man einkommensmässig zu den untersten zehn Prozent der Bevölkerung gehört. Das erschwert das ‹Fördern› auch.
Für alle jene, die länger in der Sozialhilfe bleiben, wäre ein Grundeinkommen anstelle einer Rente im Prinzip die richtige Lösung. Wenn ich von den ganz schwierigen Fällen absehe: Also Jugendlichen, die eine intensive Betreuung benötigen, um sie von der Strasse in ein selbstbestimmtes, nichtkriminelles Leben zu führen. Der Zugang zu den sozialen Institutionen (von der SVP gerne und in Einzelfällen auch berechtigt als Sozialindustrie bezeichnet) muss gesellschaftlich geregelt werden, da er sehr teuer werden kann.
Das Problem am Grundeinkommen ist die Höhe. Während der Volksabstimmung sprach man von gut 2000 Franken (beim Grundeinkommen gehört die Miete dazu), das ist der Ansatz der Sozialhilfe und der ist auf die Dauer ganz einfach zu tief. Zumal das Leben mit Sozialhilfe wenig Spielraum lässt. Man muss dort leben, wo man die Sozialhilfe bezieht und kann nicht wie bei einer Rente in günstige Gegenden ausweichen. Ein Grundeinkommen, das auch jenen nützt, die kaum Zusatzgeld erwerben können und keine Rente beziehen, müsste sich zumindest auf der Höhe der Zusatzrenten bewegen, also rund 1000 Franken pro Monat mehr. Logisch wäre eigentlich die Höhe des Mindestlohnes, also gut 4000 Franken in Zürich.
Ob Sozialhilfe oder Grundeinkommen spielt für mich keine zentrale Rolle, obwohl ich die Vorteile des Grundeinkommens je länger je mehr sehe. Wobei es dann wohl eine grössere Kontrolle bei den Steuern erforderte. Aber: An einer Besserstellung der finanziell Schwächsten führt kein Weg vorbei. Sie benötigen auch nicht in erster Linie mehr Betreuung und auch kein anderes Wort für die Hilfe, sondern ganz einfach mehr Geld. Zumindest, wenn man den Anspruch auf ein Leben in der Gesellschaft für alle stellt. Und eine Abschlussbemerkung: Weshalb viele meinen, EU-BürgerInnen würden massenhaft in die Schweizer Sozialhilfe einwandern, ist mir schleierhaft. Sie würden rasch realisieren, dass 2000 Franken pro Monat recht wenig sind, wenn man damit in Zürich und nicht etwa in Spanien leben muss.
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