Flucht ins Netz

Der Stillstand des öffentlichen Lebens in Zeiten des Corona-Virus – sichtbar wird er ganz besonders vor geschlossenen Rollläden des lokalen Gewerbes. KleinunternehmerInnen versuchen zu reagieren, doch die Spiesse sind ungleich lang.

 

von Anatole Fleck

 

Der Zürcher Neumarkt am Dienstagmorgen: Eine leergefegte Gasse, nur der Quartier-Lebensmittelladen «Ramos» darf der ausserodentlichen Lage trotzen. Hinter allen anderen Schaufenstern tummeln sich die erklärenden Zettel – geschlossen haben muss man und an der Richtigkeit dieser Massnahmen will kaum mehr jemand zweifeln. Doch hinter den temporär kargen Kulissen des Zürcher Gewerbes tut sich einiges: So hatten zum Beispiel der Verband der Stadtzürcher Gastronomen und die Bar- und Club-Kommission Zürich (BCK) am Montag einen brisanten Aufruf gestartet: In einer gemeinsamen Medienmitteilung forderten sie Restaurant- und BarbesitzerInnen dazu auf, ab dem 1. April keine Miete mehr zu bezahlen, ausser die BetreiberInnen und Vermieter­Innen hätten bis dahin eine einvernehmliche Lösung für eine Mietzinsreduktion gefunden. Durch den staatlich verordneten Lockdown liege eindeutig ein Mangel im mietrechtlichen Sinn vor, dennoch seien nur wenige Vermieter­Innen bereit, den Mietzins zu senken. Letzterer mache bereits im regulären Betrieb zwischen zehn und dreissig Prozent der Kosten aus, so die Gastronomen weiter.

 

Das Problem für die Barbetriebe ist: Drinks schlürfen und Bier trinken können die KundInnen auch zuhause. Wer keine Küche hat und die Strukturen für Heimlieferung nicht besitzt, hat es schwierig. Das «Piccolo Giardino» am Zürcher Schöneggplatz ruft deshalb seine KundInnen dazu auf, das Lokal mit Mini-Krediten zu unterstützen: Per Mail können dort Gutscheine für alles Konsumierbare in Bar und Restaurant gekauft werden,  die nach der Aufhebung des Lockdowns gegen Ess- und Trinkbares eingetauscht werden sollen. Viele andere Lokale versuchen sich mit Take-Away-Angeboten. Wie gut diese funktionieren können, wenn sich fast niemand mehr auf den Strassen und Gassen der Stadt befindet, dürfte fraglich sein.

 

Rechtlich heikel

 

Nicht nur UnternehmerInnen in der Gastronomie befürchten verwaiste Ladenlokale, wenn der Virus denn einmal in Schach gehalten ist. Wenn das Geschäft stillsteht, bleibt die Miete in vielen Fällen die grösste Belastung für die UnternehmerInnen. Auch im Verein «Quartier im 1» macht man sich deswegen Gedanken. Einige MieterInnen riefen intern dazu auf, auf Sperrkonti einzubezahlen oder gar nicht. Andere argumentierten, dies sei rechtlich heikel, ein Rauswurf möglich. 

Die Voraussetzungen sind dabei unterschiedlich: Viele private VermieterInnen haben in Eigeninitiative bereits mit vollständigem Mieterlass für den Monat April reagiert – die Liegenschaften Zürich (LSZ) sind bis anhin weniger grosszügig: In einem Schreiben vom 20. März hatte die städtische Verwaltung zwar einen Aufschub der Zahlungsfristen bis zum 1. Juli verlauten lassen, «Herabsetzungsbegehren des Mietzinses können wir zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht nachkommen». Sechs Tage später ruderte die Stadt zurück und kündigte Mietzinsreduktionen an,  wie hoch diese ausfallen werden, ist aber noch unklar.

 

Der schweizweite Hauseigentümerverband (HEV) hat derweil bereits eine gutachterliche Stellungnahme verfasst, in welcher der Mietrechtsexperte Professor Peter Higi Mietzinsreduktionen eine Abfuhr erteilt: Im Gebrauch selbst sei der Mieter nicht gestört, die Ursache dafür liege «nicht in einer fehlerhaften Leistung des Vermieters, sondern an der Unmöglichkeit des Mieters, seinem Geschäft wie gewollt nachzugehen.» Diese Unmöglichkeit sei eine subjektive, weil in der Art des Geschäfts des Mieters begründet, so Higi weiter. 

 

Ob er damit Recht hat oder nicht: Tatsächlich bestimmt die Art des Geschäfts in diesen Tagen umso mehr die Möglichkeiten von UnternehmerInnen. Grundsätzlich gilt hierbei natürlich: Wer Onlineshop und Versand bieten kann, gewinnt. Beim Startup Blumenpost spürt man beispielsweise positive Folgen des Notstands: «Die Nachfrage wächst nun deutlich stärker als zuvor, sodass wir bereits sehr spontan zusätzliche MitarbeiterInnen einstellen konnten», so Mitgründer Jan Neuenschwander. Die Stadtzürcher Kleinunternehmung liefert saisonale Schnittblumen in Blumen-Abos, auch Einzelbestellungen sind möglich. Das Geschäftsmodell ohne fixes Geschäft und mit direkter Lieferung nach Hause funktioniert dieser Tage umso besser – auch weil Blumenpost bei der Zulieferung von Blumen ausschliesslich auf regionale Schweizer LandwirtInnen setzt, die von der Grenzschliessung nicht betroffen sind.

 

Von schwierig bis nicht machbar

 

Eine Zwischenlösung gefunden, hat die «Pflanzerei» an der Josefstrasse: Der Pflanzenladen stellt Kräuter-Sets zusammen und verkauft diese per Abholung im Hinterhof an die KundInnen. Wer dort seine namentlich angeschriebenen Pflanzen vom Pick-up-Tisch nimmt, darf bequem von Zuhause aus bezahlen. «Nur eine Person aufs Mal darf in den Garten und seine Tasche abholen», so Geschäftsführerin Carla Boschung. Die Übergabe funktioniert auf Vertrauensbasis und laut Inhaberin bis anhin gut. Dennoch arbeite man unter Hochdruck an einem Webshop, auch wenn dieser für Boschung kein Ersatz für den Besuch im Geschäft sein kann: «Eine Pflanze ist ein Produkt der Natur, mit der Zeit gewachsen und dementsprechend einzigartig.» Im Onlineshop könnten Kundinnen die Pflanzen nicht anfassen, bei den Zimmerpflanzen seien die Kundenwünsche aber sehr individuell. Überdies müsste die Pflanzerei dann jede Pflanze einzeln ablichten und anbieten – ein enormer Aufwand.

 

Die momentane Unmöglichkeit, individuelle Kündenwünsche im direkten Gespräch zu klären, spürt auch Arlette Bollag: Ihr Geschäft am Zürcher Neumarkt ist auf antike, nomadische Teppiche spezialisiert – weshalb sie trotz Website mit Galerie von einem Webshop bisher absieht: «Man muss die Textilien im Licht sehen, sie berühren, etwas über sie erfahren können. Online sind versteckte Mängel kaschierbar, Farben veränderbar», so Inhaberin Bollag. Der Wissenstransfer beginne im Verkaufsgespräch, weshalb der sinnvolle Verkauf von antiken Stücken eigentlich nur an andere Händler oder Sammler möglich sei – an KundInnen, die bereits mit der Materie vertraut seien. Ihr Geschäft setzt auch da­rauf, dass Stücke nach Hause zum kostenlosen Ausprobieren mitgenommen werden können: «Das ist momentan in gutem Umfang unmöglich, aber wir planen einen Newsletter, um wenigstens einzelne Stücke und Kelimkissen und Lampen inklusive Hintergrundwissen digital anzubieten», so Bollag. 

Doch der geschlossene Laden bedrohe mittelfristig die Existenz: «Wir hoffen, dass wir in irgendeiner Form überleben werden – am liebsten natürlich da, wo wir jetzt sind.» Es ist klar: Bei der raschen Verlagerung des Geschäftes ins World Wide Web sind die Spiesse ungleich lang.

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