Fluch der Ungleichheit

2013 wurde in Zürich ein Verein namens «Swiss Equality Group» gegründet, der die negativen Folgen von Ungleichheit und die positiven Auswirkungen von Gleichheit in der Gesellschaft thematisieren wollte. Die Gründungsmitglieder stammten aus dem linken Spektrum und waren alle politisch engagiert. Ungleichheit ist eine wissenschaftlich sehr gut untersuchte Sache – und sie ist verheerend. Es ist erstaunlich, wie unbekannt ihre zahllosen Auswirkungen in einer Gesellschaft sind – eben deshalb die Vereinsgründung –, und wie wenig dagegen unternommen wird. Egal, wie reich ein Land ist – je ausgeprägter die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft ist, desto grösser sind seine Probleme im Gesundheits-, Sicherheits- und Sozialbereich.

Wie man materielle Ungleichheit misst, ist bekannt. Verbreitet ist der Gini-Index, ein statistisches Mass für die Ungleichheit der Einkommen; beim Vermögen kann man ebenfalls Steuerdaten auswerten, was in der Schweiz katastrophale Werte ergibt:  So etwa verfügen 1 Prozent der reichsten Menschen über 45 Prozent der Vermögenswerte. Es geht aber, oft als Folge der materiellen Ungleichheit, auch um ungleich verteiltes Sozial- und Humankapital, wie wir unlängst wieder einmal bezüglich Bildungsgerechtigkeit in der Schweiz erfahren haben. Zentral und brisant ist nun aber die Frage, wie sich das auswirkt. Die (unvollständige) Liste liest sich wie eine Aufzählung von allem, was gesellschaftlich schiefgehen kann: Je ungleicher ein Land, desto tiefer die Lebenserwartung seiner Bewohner:innen, desto schlechter ihr Gesundheitszustand, (auch der psychische), desto höher Kindersterblichkeit, Selbstmordrate, Gefängnisbelegung, Drogenkonsum oder sogar Adipositas, aber es leiden auch die soziale Mobilität und die Bildung, was wiederum die Zementierung der Ungleichheit fördert, oder auch ‹weiche› Faktoren, wie das Vertrauen der Menschen ineinander. 

Warum wird dennoch wenig gemacht dagegen? Einerseits hat das etwas damit zu tun, dass Ungleichheit alleine nicht zwingend negativ sein muss. Wo Menschen leben, gibt es Ungleichheit, die Dosis macht auch hier das Gift, und die Dosis ist eine Frage der sozialen Wertung und des Aushandelns. Und zweitens ist Ungleichheit ein inhärentes Element kapitalistischer Systeme. Wettbewerb entsteht nicht (oder kaum) unter Gleichen, und die Idee eines übergeordneten Ausgleichs ist zwar in der Schweiz ebenfalls bekannt, (man nennt es «Umverteilung» und die ist zum Beispiel Grundlage jeder Versicherung), aber auch sehr beschränkt; es ist eine politische Frage, wo sie zum Zug kommt und wo eben nicht. Ich erinnere gerne an die 1:12-Initiative der Juso, die eine moderate Umverteilung zur Folge gehabt hätte, denn in den meisten Firmen und in der Verwaltung ist die Lohnungleichheit viel tiefer, in der Stadt Zürich zum Beispiel unter 1:5, die aber trotzdem keine Chance hatte. Es bleibt wohl eines der grossen Rätsel, warum zwar die überwiegende Mehrheit der Schweizer:innen von mehr Gleichheit profitieren würde, aber dennoch dagegen ist. Der Trend geht im Moment sogar eher in die Gegenrichtung – nicht zuletzt eine Folge ungebremster bürgerlicher Hegemonie in Parlament und Regierung.

Und die SEG? Nun ja, wie erwähnt: Die verantwortlichen Mitglieder waren allesamt feste engagiert in ihren Parteien, Organisationen und Parlamenten. Kein Wunder, hatten wir zu wenig Zeit für die Swiss Equality Group, und daher lösten wir den Verein wieder auf. Im Rückblick muss man sagen: eindeutig viel zu früh.