Flächen für Feldlerchen oder für Futtermittel?

Aus der geplanten Einführung von 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf offener Ackerfläche wird nichts, und die Biodiversitätsinitiative gelangt im September ohne indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung.
Aus der geplanten Einführung von 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf offener Ackerfläche wird nichts. Was heisst das nun für Feldlerche und Co.? (Bild: Unsplash / Heather Wilde)
Aus der geplanten Einführung von 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf offener Ackerfläche wird nichts, und die Biodiversitätsinitiative gelangt im September ohne indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung.

Gemäss Medienmitteilung des Bundesrats vom 26. Juni soll die Direktzahlungsverordnung angepasst werden, «damit die Anforderung von 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen (BFF) auf offener Ackerfläche, deren Aufhebung vom Parlament beschlossen wurde, nicht in Kraft tritt» (siehe auch P.S. vom 21. Juni). Zudem werde die Massnahme «Getreide in weiter Reihe» aufgehoben, weil sie als Begleitmassnahme zur Anforderung von 3,5 Prozent BFF auf offener Ackerfläche eingeführt worden sei. 

Gut für Feldhase und Feldlerche

Die Massnahme «Getreide in weiter Reihe» sieht vor, dass auf Flächen mit Winter- oder Sommergetreide mindestens 40 Prozent der Anzahl Reihen über die Breite der Sämaschine ungesät bleiben. Oder anders gesagt: Der Reihenabstand in ungesäten Bereichen muss mindestens 30 Zentimeter betragen, wie einem Merkblatt von Agridea zu entnehmen ist. Agridea ist gemäss Webseite (www.agridea.ch) die «landwirtschaftliche Beratungszentrale der kantonalen Fachstellen», die «als neutrale Wissensdrehscheibe Akteure aus der ganzen Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft» vernetzt und an den drei Standorten Lindau, Lausanne und Cadenazzo tätig ist.

Im Merkblatt ist auch nachzulesen, was mit dem Getreide in weiter Reihe konkret bewirkt werden soll: Wegen der «intensiven landwirtschaftlichen Bewirtschaftung» hätten sich die Brutbedingungen für die «bodenbrütende» Feldlerche stark verschlechtert. Ihre Bestände fänden sich «schweizweit im Sinkflug». Zu Beginn der Brutsaison ab Mitte April nutze die Feldlerche gern Winterweizenfelder, wo es ausreichend Deckung für ihr Nest und Insekten für die Jungen gebe. Doch «bereits ab Mitte Mai wird konventionell gesäter Weizen zu dicht für die Feldlerche – sie kann sich schlecht fortbewegen, und auch die Insekten sind für sie weniger gut erreichbar. Einen weit gesäten Weizen hingegen können Feldlerchen auch für spätere Bruten noch nutzen. Somit kann mit weiten Reihen das Brutzeitfenster im Winterweizen verlängert werden», heisst es im Merkblatt. Im Inneren von weniger dichten Getreidefeldern könnten sich zudem auch junge Feldhasen «in Sicherheit entwickeln», weil sie dort vor ihren Feinden geschützt seien. Selten gewordene «typische Ackerbegleitarten wie die Kornblume oder der Venusspiegel» könnten ebenfalls gefördert werden, und diese Ackerbegleitflora wiederum «trägt zur natürlichen Schädlingsregulierung bei», indem sie Nützlingen wie Schwebfliegen, Laufkäfer oder Spinnen Nahrung und Lebensraum bietet.

Wie weiter?

Da die Einführung der 3,5 Prozent BFF auf offener Ackerfläche bereits zweimal verschoben worden war, bevor das Parlament sie nun endgültig abgewürgt hat, haben doch bestimmt einige Landwirt:innen bereits eingeplant, künftig «Getreide in weiter Reihe» anzupflanzen oder haben dies vielleicht sogar bereits getan: Was bedeutet der aktuelle Entscheid des Bundesrats nun konkret für die Landwirt:innen im Kanton Zürich? «Für 2024 bereits angesätes Getreide wird wie geplant entschädigt. Bis im Herbst, wenn die ersten Ansaaten für Getreide für 2025 gemacht werden, werden die Vorgaben bzw. die möglichen Beiträge im Rahmen von Vernetzungsprojekten geklärt sein», erklärt Katharina Weber von der Medienstelle der Baudirektion auf Anfrage. Und weiter: «Ab 2025 ist im Kanton Zürich vorgesehen, ‹Getreide in weiter Reihe› wieder als ‹regionsspezifische BFF› zu ermöglichen; dies war bereits früher so. Die Massnahme ist dann aber nur im Rahmen von Vernetzungsprojekten möglich. Wenn es kein Vernetzungsprojekt gibt, kann diese Massnahme nicht mehr entschädigt werden. Regionsspezifische Massnahmen werden im Rahmen der Vernetzungsbeiträge entschädigt, das heisst 90 Prozent durch den Bund, zehn Prozent je nach Gebiet durch die Gemeinde oder den Kanton.»

Was heisst das nun für Feldlerche, Feldhase, Kornblume, Schwebfliege und Co.? «Die bisherigen BFF-Typen im Ackerland – Brachen, Säume, Ackerschonstreifen – können weiterhin zu den bisherigen Bedingungen umgesetzt werden; Getreide in weiter Reihe wird nur im Rahmen von Vernetzungsprojekten entschädigt», erklärt Katharina Weber: «Mit der Pflicht, 3,5 Prozent BFF im Acker umzusetzen, wäre der Anteil BFF im Acker wesentlich erhöht worden. Mit der Nichteinführung dieser Pflicht verbleiben die agrarpolitischen Anreizsysteme (Qualitäts- und Vernetzungsbeiträge). Auf Ackerflächen haben sie bisher nicht genügend Wirkung entfaltet, um die Populationen von Feldhase und Feldlerche zu halten.»

Biodiversitätsinitiative will mehr

Im September stimmen wir über die Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft», kurz Biodiversitätsinitiative, ab. Im März 2019 haben die Trägerorganisationen Pro Natura, Bird Life Schweiz, Schweizer Heimatschutz, Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, Schweizerischer Fischerei-Verband, Casa-Fair und Fair Fish die Initiative lanciert. Unterstützt wird sie von vielen weiteren Organisationen. Von welchen – und worum es inhaltlich geht –, ist auf der Webseite ­biodiversitaetsinitiative.ch nachzulesen: «Die Schweiz unternimmt zu wenig für den Erhalt unserer Natur und Landschaft und damit unserer Lebensgrundlagen. So darf es nicht weitergehen!» Entsprechend will die Biodiversitätsinitiative «den Schutz unserer Lebensgrundlagen besser in der Verfassung verankern». Sie verlangt «die nötigen Flächen und finanziellen Mittel für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen», und sie «nimmt Bund und Kantone endlich in die Pflicht, ohne fixe Zahlen zu Flächen und Mitteln zu nennen». Schliesslich sollen «Natur, vielfältige Landschaften und schöne Ortsbilder auch ausserhalb von Schutzgebieten» geschont werden. Zu diesem Zweck soll der Artikel 78 der Bundesverfassung um einen neuen Artikel 78a ergänzt werden.

Die Initiant:innen beklagen aber auch, dass sich der Ständerat im Dezember 2023 «trotz akutem Handlungsbedarf» zum zweiten Mal geweigert habe, auf einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative einzutreten: «Der Trägerverein war bereit gewesen, die Initiative zurückzuziehen, falls der Gegenvorschlag zustande kommt, damit rasch Massnahmen zum Schutz der Biodiversität in der Schweiz hätten beschlossen werden können.»

Was der indirekte Gegenvorschlag beinhaltet hätte, ist in der Botschaft des Bundesrates nachzulesen, die dieser am 4. März 2022 zuhanden des Parlaments verabschiedet hat. Der Bundesrat betont, dass er die Anliegen der Initiative «grundsätzlich» befürworte: «Die Biodiversität in der Schweiz befindet sich in einem unbefriedigenden Zustand und ist stark rückläufig. Die bereits ergriffenen Massnahmen reichen nicht aus, um dem Rückgang der biologischen Vielfalt (Biodiversitätsverlust) Einhalt zu gebieten.» Die Initiative geht dem Bundesrat jedoch zu weit: «Bei Annahme der Initiative würden die geltenden Kompetenzen sowie der bestehende Handlungsspielraum von Bund und Kantonen übermässig eingegrenzt.» Es könnte zu Zielkonflikten mit der Energie- oder der Landwirtschaftspolitik kommen, hält er fest und nennt weiter Vorbehalte gegenüber einem «ungeschmälerten Erhalt der Kerngebiete der Schutzwerte». Auch führe  die vom Bund bereits angestossene Förderung einer Baukultur von hoher Qualität «besser zum Ziel (…), das baukulturelle Erbe zu schützen, als eine Ausweitung der Schutzwirkung der Inventarobjekte».

Im bundesrätlichen indirekten Gegenvorschlag war unter anderem das Konzept der «ökologischen Infrastruktur» vorgesehen, das zu einer «Zunahme der Flächen zugunsten der Erhöhung der Biodiversität sowie zu einer besseren Vernetzung dieser Flächen» führen sollte. Die bestehenden Schutzgebiete sollten «wo nötig saniert» werden, Massnahmen «im Interesse des ökologischen Ausgleichs (…) insbesondere in der Siedlung und der Agglomeration» sollten «im Rahmen der bestehenden Gesetze und Instrumente verstärkt gefördert» werden. Weiter sollten die «hohe Baukultur» und die «geltende Pflicht der Kantone und Gemeinden, die Bundesinventare zu berücksichtigen», auf Gesetzesstufe verankert werden. Schliesslich hielt der Bundesrat noch fest, «die Ziele der Energiestrategie 2050 werden nicht tangiert». Weil der Ständerat davon nichts wissen wollte, stimmen wir am 22. September nur über die Initiative ab.

Wird schon genug getan?

Damit zur Aussage von Bauernverbandspräsident Markus Ritter im P.S. vom 21. Juni, die Landwirt:innen machten schon genug für die Biodiversität, indem konkret 19 Prozent der Kulturlandfläche für Biodiversitätsmassnahmen verwendet würden, obwohl nur sieben Prozent nötig wären. Laut dem Agrarbericht 2023 (https://www.agrarbericht.ch/de) betrug der durchschnittliche Anteil BFF an der landwirtschaftlichen Nutzfläche 17,6 Prozent: «Werden die Hochstamm-Feldobstbäume sowie die Einzelbäume und Alleen mit einer Are pro Baum mitgerechnet, beträgt der BFF-Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche 19,3 Prozent.»  Mit 45,9 Prozent weise die Bergzone IV den höchsten Anteil BFF an der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf: «Die flächenmässig grösste Zunahme wird in der Talzone verzeichnet. Dies dürfte grösstenteils auf das Getreide in weiter Reihe zurückzuführen sein.» In der Talzone wurde trotzdem der tiefste Anteil BFF verzeichnet, er betrug dort 14,9 Prozent beziehungweise ohne Anrechnung von Bäumen 13,1 Prozent. 

Auch auf der Webseite des Nein-Komitees (www.biodiversitaetsinitiative-nein.ch) ist zu lesen, aktuell dienten bereits 19 Prozent der Landwirtschaftsflächen «explizit der Förderung der Biodiversität», was der Grösse der Kantone Zürich und Zug zusammen entspreche: «Für den Erhalt von Direktzahlungen sind aktuell sieben Prozent gefordert. Die Bauernfamilien tun also auf freiwilliger Basis viel mehr, als verlangt.» Würde noch mehr «fruchtbares Kulturland für die Biodiversität ausgeschieden (…), müssten wir also zusätzliche Flächen im Ausland belegen, um die Versorgung unserer Bevölkerung sicherzustellen».

Dazu ein paar Zahlen aus dem Agrarbericht 2023: «Derzeit werden schweizweit 58 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche als Naturwiese, 38 Prozent als Ackerland, 2 Prozent als Dauerkultur und 2 Prozent mit anderer Nutzung bewirtschaftet (Agrarbericht 2021). Das Ackerland wird heute zu einem erheblichen Anteil (rund 55 Prozent) für die Produktion von Futtermitteln genutzt (z.B. Kunstwiesen, Mais, Futtergetreide etc.). Nur auf rund 17 Prozent der gesamten schweizerischen landwirtschaftlichen Nutzfläche werden Nahrungsmittel für die direkte menschliche Ernährung angebaut.» 

16 Prozent der Direktzahlungs­beiträge

Die sieben Prozent stammen aus der «Verordnung über die Direktzahlungen an die Landwirtschaft», Abschnitt «ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN)»: «Beiträge werden ausgerichtet, wenn die Anforderungen des ÖLN nach den Artikeln 12–25 auf dem gesamten Betrieb erfüllt sind.» Zu diesen Anforderungen gehören nebst beispielsweise der «Haltung der Nutztiere nach Tierschutzgesetzgebung» oder der «ausgeglichenen Düngerbilanz» auch ein «angemessener Anteil an Biodiversitätsförderflächen»: «Der Anteil an Biodiversitätsförderflächen muss mindestens 3,5 Prozent der mit Spezialkulturen belegten landwirtschaftlichen Nutzfläche und 7 Prozent der übrigen landwirtschaftlichen Nutzfläche betragen.»

Der ÖLN gilt als Grundvoraussetzung, um allgemeine Direktzahlungen beziehen zu können. Oder anders gesagt: Mit den sieben Prozent erfüllen die einzelnen Landwirt:innen bzw. Betriebe einen Teil der Bedingungen für Direktzahlungen. «Im Jahr 2022 wurden rund 443 Millionen Franken Biodiversitätsbeiträge ausgerichtet (+1,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Dies entspricht 16 Prozent der gesamten Direktzahlungen», heisst es im Agrarbericht 2023. Die Gegner:innen der Biodiversitätsinitiative zählen also die Biodiversitätsförderflächen, die es pro konkreten Betrieb nachzuweisen gilt, um Direktzahlungen zu bekommen, übers ganze Land zusammen und ziehen daraus den Schluss, die Landwirt:innen machten «auf freiwilliger Basis viel mehr als verlangt».

Zum Schluss noch dies: Im ‹Tages-Anzeiger› vom 5. Juli war zu lesen, Umweltverbände wollten den grössten Solarpark der Alpen verhindern. Dem Projekt laufe nun die Zeit davon. Der ‹Tagi› zitiert unter anderen Ralph Manz von Pro Natura Oberwallis wie folgt: «Die gefährdete Feldlerche brütet hier (…).»