Feuerwerk der boshaften Dialoge

Jean Genets «Die Zofen» ist (vulgo) einfach ein geiles Stück. Die zwei Stunden Hickhack unter Frauen, changierend zwischen Frontalangriff und Heuchelei, lassen einen durchwegs freudig auf den Stockzähnen grinsen.

 

Die Musik von Arthur Fussy erinnert an einen Hitchcock-Film, wobei hier die Spannung über die gesamte Spieldauer hoch gehalten wird und nicht bloss Staffage und Vorbereitung für den einen schockierenden Höhepunkt ist. Regisseur Bastian Kraft, der mit «Nabokovs Tintenklecks» innerhalb der Trilogie «Arm und Reich» und mit Hesses «Der Steppenwolf»  bereits zweimal am Schauspielhaus Zürich gearbeitet hat, beginnt denn Jean Genets «Die Zofen» auch filmisch. Was zuerst wirkt wie in Zeiten des Stummfilms, entpuppt sich als regelrechte Zeitgeistohrfeige in Schwarzweiss. Die Selfiemanie erhält hier Kurzfilmlänge und wird füllend auf den im Zentrum stehenden White Cube projiziert, was die generelle Ungelenkheit der Bilderwahl wiewohl der technischen Schwierigkeiten – hier ein Kabel – nachgerade ad absurdum führt. Ein netter Einfall, ebenso wie die furiose finale Vollbekleckerung des bis dahin jungfräulich erhaben weissen Schlafgemachs von Madame. Grund für die komplette Begeisterung indes ist zuallererst der Text und das Spiel der drei Schauspielerinnen.

 

In der Rachelust wie der Heuchelei ergibt das ein Dialogfeuerwerk in sehr hohem Tempo, reicht von abgrundtief bösartig über sich überschlagend hysterisch bis eiskühl durchkalkuliert machtaffin. Welch eine Freude! Die beiden Dienstmädchen Solange (Olivia Grigolli) und Claire (Lena Schwarz) spielen in Abwesenheit von Madame gnädige Frau und Domestik, genauso lustvoll wie Kinder Mutters Abwesenheit nutzen, ihren Kleiderschrank, den Schminktisch und die Schmuckschatulle zu plündern, um hemmungslos zu tun, als ob. Nur ist hier der Grund für all das überhöhte Rollenspiel, indem sich keine der Spielfiguren etwas schenkt, ein eigentlicher Probelauf in Abstimmung auf das geplante Zeitfenster für die Vergiftung von Madame mittels Lindenblütentee. Monsieur haben die beiden Giftspritzen bereits mit anonymen Anschuldigungen in Briefform ins Gefängnis gebracht. Als allerdings der Wecker die Rückkehr von Madame signalisiert, ist die Probehandlung noch längst nicht an deren Ende angelangt, was Solange zu einer ihrer treffsicheren Erniedrigungen an die Adresse von Claire animiert. Rasch alles wieder aufräumen, auf dass Madame nichts davon merke, und höchstselbst den Schalter für den devot-lächelnden Gesichtsausdruck wieder umstellen. Zur Tür herein tritt eine noble Erscheinung in perfekt gelegter Welle in der blondierten Frisur, crèmefarbenem Cape mit Pelzbordüre und Damenhandschuhen bis über den Ellbogen. Doch entgegen der noblen Erscheinung ist Madame (Susanne-Marie Wrage) innerlich ausser sich. Was man vor lauter Contenance bewahren nicht auf Anhieb merken würde, aber ihre plötzliche und reichlich affektierte Selbstmitleidsnummer, in der sie den beiden Zofen ihr bestes Kleid und ihren teuersten Pelzmantel (Bühne und Kostüme: Ben Baur) schenkt, entlarvt sich mit dem hinzugefügten Satz zur kompletten Farce: «Ach, habt Ihrs gut. Ihr bekommt Kleider geschenkt – und ich muss sie mir kaufen.» So überdeutlich wie in diesem Satz herrscht während des ganzen Stücks, teils nur in Gesten angedeutet und feiner, aber doch zu jedem Augenblick deutlich erkennbar, eine Dominanz von in Devotheit verpacktem Sarkasmus, dass sich einem über all der Boshaftigkeit regelrecht das Herz öffnet. Madame merkt natürlich, dass der Schlüssel nicht mehr die Position von vorhin hat und führt die Dienstmädchen also freundlich, aber deshalb nicht weniger hinterrücks vor. Als sie erfährt, dass ihr Göttergatte wieder auf freiem Fuss ist, kehrt sie ihre Attitüde wie einen Handschuh ins Gegenteil, entreisst den Domestiken die Geschenke harsch wieder und findet glücklicherweise zurück zur spitzen Arroganz eines Befehlstons der adligen Obrigkeit gegenüber dem Abschaum da. Zeit für den Lindenblütentee fand sie leider keinen, also erhalten Claire und Solange eine zweite Möglichkeit, ihr Planspiel nun doch noch zu Ende zu führen. Über die Motivation darüber muss man spekulieren.

 

 

In dieser Version hier wirkt die willentliche Selbsttötung Claires wie die härteste aller Rachen gegenüber der sie stets drangsalierenden und piesackenden Solange, die nun ganz allein die Rückkehr der Herrschaften und deren Rache auf all das angerichtete Desaster ertragen muss. Das ganze Stück ist ein einziges Feuerwerk an Falschheit und Übertriebenheit in sagenhaften Dialogen, ausgeschmückt mit grossen, seufzenden Gesten. Eine Wortschlacht zwischen Hexen.

«Die Zofen», bis 27.5., Pfauen, Schauspielhaus, Zürich.

 

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