Feudalismus 4.0

Quantencomputer gehen davon aus, dass 1 und 0 zeitgleich das eine, das andere, beides oder keins davon sein können. «Börsen handeln» von Tim Zulauf nähert sich der Rocket-Science Hochfrequenzhandel.

 

Too much information, also die bare intellektuelle Überforderung ist die Methodik von «Börsen handeln», um damit die Symbolik von Undurchschaubarkeit am eigenen Leib zu erfahren. Trotzdem ist nach neunzig Minuten klar: Es geht wie immer im Feudalismus um Privilegien. Der Zugang zu Informationen und den Datenströmen sichert den matchentscheidenden Milliardstelsekundenvorsprung, also den Gewinn. Wobei in einer derartigen Zeitrechnung die Abgrenzbarkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zum eigentlichen Knackpunkt wird. Weil alle drei analog Quantencomputer sich, das andere, nichts davon und alle gleichzeitig sein können, eröffnen sich Möglichkeiten, die ein durchschnittliches Menschenhirn überfordern. Im Stück wird zur Illustration eine Sanduhr genommen, die so schnell gedreht wird, dass ein in der Mitte befindliches Korn die beiden Hälften in ihrer Kammer behält, also die Hoheit über den Durchgang behält und zeitgleich die gesamte Mechanik der Sanduhr blockiert, also auch die Zeit, was bei zeitgleicher Bewegung der Drehung einem Paradox gleichkommt. «Börsen handeln» überführt diese nur schwer greifbare Logik (?), indem es den Ideenreichtum der menschlichen Gier zu dessen Befriedigung nahe an der Vorstellbarkeit abstrahiert oder eben doch fiktionalisiert. So klar ist das in Zeiten, in denen Algorithmen von Algorithmen lernen, die beide gleich dumm programmiert dasselbe im Sinn haben, nicht mehr. Wenn in alles investiert werden kann, folgt bald das Ich. Von der genetischen Anlage über spezifische Fähigkeiten bis hin zur Aufmerksamkeitsspanne, gedanklich lassen sich alle als Börsenspielzeug vorstellen, also an die Börse bringen. Und dies im Paradox der Quantenphysik sogar ohne dass dieses Ich an die Börse gebracht werden muss. Rein hypothetisch ergo spekulativ. Die SIX Swiss Exchange gehört im Handel nicht mehr zu den weltweiten Topplayern, für den offenbar aktuell schnellstmöglichen Datentransfer via Mikrowellen hingegen soll sie an vorderster Front mitmischen und den Zugang dazu in privilegiert und weniger privilegiert separieren (können). Das hat wiederum die paradoxe Folge, dass trotz weltweiter Vernetzung der Datenströme die rein physische Nähe zum Gebäude, also dem Rechner (wenn das noch so heisst) wieder eine immanente Bedeutung gewinnt. Wenn das Gegenteil also Ursprung, Ziel, beides und keins zugleich sein kann, wird aus Rocket Science letztlich Philosophie. Die wiederum beisst der Glaubensfrage in den Schwanz, die letztlich den Boden für alle Börsenspekulationen darstellt, weil jede Wette in eine Zukunft bezüglich ihres Erfolgs davon abhängt, wer und wie viele daran glauben. Das Auditorium der SIX Swiss Exchange erinnert gleichwohl an Raumschiffvorstellungen aus alten Filmen: Schwere Teppiche, Highend-Technik, die sich erst bei Verwendung als solche zu erkennen gibt. Wenn die Bildkommentare von Yves Netzhammer plötzlich aufleuchten wird der Weltuntergangsglaube während der Verblüffung über die erste Sonnenfinsternis nachvollziehbar. Genauso erhält die sogenannt unsichtbare Hand des Marktes plötzlich einen real fassbar erscheinenden Sinn. Das Publikum ist draussen, die Maschinerie spielt, wie es ihr beliebt. Susanne Abelein und Andreas Storm versuchen, die Fantastik zu erklären, uns als Investoren zu beschwichtigen respektive mittels des Schürens von Ängsten zu Kurzschlusshandlungen zu bewegen, was als Sinnbild sehr trefflich ist. Die Kontrolle verbleibt im Regiekämmerchen und das kann bei Bedarf in grossen Lettern «Transparency» projizieren – und schon stellt sich Wohlbefinden ein.

 

«Börsen handeln», bis 30.1., Gessnerallee @ Finanzmuseum/SIX Swiss Exchange, Zürich.

 

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