Fernkino

Am letzten Sonntag war ich, ohne es zu wissen, für längere Zeit zum letzten Mal im Kino, nämlich im ‹kult.kino camera› in Kleinbasel. Das Publikum schöpfte das Kontingent der damals noch gestatteten fünfzig Eintritte nicht ganz aus – zu herrlich war wohl der Frühling am Rheinufer. Für die Indoor-Veranstaltung mit der drohenden Annäherung an potenziell keimtragende Mitmenschen sprachen aber die Première von Andrea Štakas Film ‹Mare› und das anschliessende Podiumsgespräch mit der Regisseurin. 

 

Die cinéphile Handvoll setzte sich also brav, in gebührendem Abstand voneinander über alle Reihen verteilt, in die verheissungsvolle Dunkelheit. Einige eingespielte Konventionen mussten bewusst über Bord geworfen werden: Bereits sitzende Kinogäste kreuzte man etwa in abgewendeter Körperhaltung, indem man ihnen den Po ins Gesicht streckte, und für die Fragerunde wurde kein Saalmikrofon herumgereicht. Nur das gestaffelte Hinausgehen wäre noch zu üben, falls es denn dazu Gelegenheit gäbe: Am Ende strebten halt doch wieder alle zusammengedrängt Richtung Tageslicht.

 

Über den Film selber, der eine Familienangelegenheit aus der Perspektive der Mutter thematisiert, nur so viel: Selten habe ich bei einer an sich harmlosen und handlungsarmen Geschichte eine solche Intensität, eine fast körperliche Anspannung empfunden, die bis zum Schluss nicht abflacht. Das bedrohlich Unterschwellige ist nie Vorbote eines immanenten Dramas, das sich entlädt, sondern es dauert ohne Auflösung an, ist das Drama selbst. Es ist aber kein schwermuttriefender Problemfilm, sondern eine beinahe dokumentarische, eher nüchterne Bestandesaufnahme, in der es auch komische Momente gibt. Die Besetzung ist eine seltene Mischung von einigen kroatischen Grössen, Laiendarstellern aus der Familie der Regisseurin (die sie ursprünglich nur für die Recherche filmisch begleiten wollte, dadurch aber so natürlich an die Kamera gewöhnt hatte, dass es keine bessere Wahl gab) – und einem waschechten polnischen Star. Dieser sprang in letzter Minute ein, weil der vorgesehene Darsteller eine Hauptrolle fand und absagte (Anruf Andrea Štakas, die keine Zeit mehr hat, die Rolle zu erklären: «Können Sie nächste Woche anfangen und drei Sexszenen spielen?»).  Die Regisseurin kam am Podium ungemein sympathisch, bescheiden, lustig und offen herüber. Es ist wirklich ein Jammer, dass ihr kein grösseres Publikum vergönnt war. 

 

Was soll nun diese Filmrezension, wenn alle Kinos «aufgrund der aktuellen Lage» geschlossen sind und Sie ‹Mare› gar nicht schauen können? Tja, Sie können eben doch! Nämlich – Achtung, Schleichwerbung! – auf ‹myfilm.ch› (bitte lesen Sie das nicht Englisch sondern Baseldytsch), wo man die Filme des  kult.kinos laut Homepage für knapp 6 Franken pro Titel streamen, somit «die Wertschöpfung bei einem regionalen Unternehmen halten» und sich auf dessen «vertraute kuratorische Leistung verlassen» kann. Oder aber bei Riffraff on Demand unter cinefile.ch, für 9 Franken im Monat bei jährlich 99 Filmen aus dem Gesamtschweizer Kinoangebot. Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie hier den gratis-Probemonat einziehen? Nun, da das P.S. nur noch alle zwei Wochen erscheint und der Buchhandel auf Kiosk-Bestseller reduziert ist, wollen Sie ja sicher nicht auch noch mit Netflix kulturell verblöden. Also: Fix registrieren, Licht aus, Film ab!

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