- Gedanken zur Woche
FDP – bitte aufwachen!
Bereits letzte Woche hat Koni Loepfe an dieser Stelle etwas zur neuen migrationspolitischen Ausrichtung der FDP geschrieben. Jetzt ist in der vergangenen Woche noch einiges passiert, sodass sich eine Fortsetzung anbietet.
Wahlen werden zu einem grossen Teil aufgrund der Themenkonjunktur entschieden, auch wenn das für Parteipräsident:innen und -sekretär:innen etwas bitter ist, weil man diese Konjunktur nur bedingt beeinflussen kann. Wenn die Umwelt und das Klima im Zentrum stehen, gewinnen die Grünen auf Kosten der SP, wenn soziale Themen dominieren, gewinnt umgekehrt die SP. Und das gleiche gilt für das bürgerliche Lager: Stehen Migrationsthemen auf der politischen Agenda, profitiert die SVP auf Kosten der anderen bürgerlichen Parteien. Gut dreissig Jahre sind seit dem Aufstieg der SVP vergangen, und in dieser Zeit hat sich immer wieder gezeigt, dass die Leute lieber das Original als die Kopie wählen: Die Strategie, die SVP-Politik zu übernehmen, ist also noch nie aufgegangen. Was aber die Parteien ganz offensichtlich nicht davon abhält, es immer wieder zu versuchen. Dasselbe Phänomen sehen wir auch weltweit: Die SPD wird damit wohl keinen Blumentopf gewinnen. Mindestens hat dies die empirische Sozialforschung immer wieder ergeben, wie dies beispielsweise im Buch von Silja Häusermann über die Sozialdemokratie nachzulesen ist (P.S. berichtete).
Nun versucht es also die FDP wieder einmal. In der NZZ gibt deren Parteipräsident Thierry Burkart den Tarif durch: «Wir müssen aber bei der ganz grossen Mehrheit, die ohne Asylgrund illegal in die Schweiz einreist, viel härter durchgreifen. Die schiere Masse junger Männer aus muslimischen Ländern kann unsere freiheitliche Gesellschaft zersetzen.» Und dann soll man bei jenen mit Asylgründen gerne härter werden: «Abgewiesenen Asylsuchenden, die vorläufig aufgenommen werden, muss der Zugang zum Gesundheits- und Sozialsystem deutlich eingeschränkt werden. (…)Aber auch bei anerkannten Flüchtlingen müssen wir den Zugang zu unserem Gesundheits- und Sozialsystem auf ein notwendiges Minimum beschränken.» Man kann Kriminalität auch geradezu begünstigen.
Nun zu den Fakten. In unserem Asylgesetz erhalten nur Personen mit einer persönlichen Betroffenheit Asyl. Wer als Person beispielsweise aufgrund seines politischen Engagements verfolgt wird, erhält Asyl. Viele Menschen flüchten aber, weil sie als Gruppe betroffen sind, beispielsweise weil in ihrem Land ein Bürgerkrieg herrscht, oder weil sie aus einem Land stammen, in dem eine grausame Diktatur am Ruder ist. Diese Personen erhalten kein Asyl, sondern werden vorläufig aufgenommen, ihr Schutzbedürfnis ist anerkannt und es ist klar, dass eine Rückkehr unzumutbar ist. Das heisst, was FDP und SVP unter «abgewiesene Asylbewerber» subsummieren, sind Personen mit anerkanntem Schutzbedarf. Hier muss auch gesagt werden, dass die Schutzquote hoch ist: Sie liegt gemäss offiziellen Zahlen bei 54,6 Prozent. Wenn man sie – Balthasar Glättli hat dies in einem Blog ausgeführt – gleich berechnen würde wie in den europäischen Ländern und nur die Asylgesuche betrachtet, die die Schweiz selber bearbeitet – liegt sie im letzten Jahrzehnt bei über 75 Prozent. Das heisst, die Mehrheit der Geflüchteten, die in die Schweiz kommen, tun dies aus Gründen, die die Schweiz als legitim anerkennt.
Selbstverständlich gibt es auch jene Fälle, bei denen klar ist, dass sie die Bedingungen nicht erfüllen. Und es sind auch Kriminelle darunter, wie schon Koni Loepfe letzte Woche ausgeführt hat. Und natürlich ist es für Gemeinden und Kantone eine Herausforderung, wenn in kurzer Zeit viele Unterbringungen bereitgestellt werden müssen, wie beispielsweise nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Was aber auch zeigt: Die Anzahl Geflüchteter richtet sich weniger nach unserer Innenpolitik als nach weltpolitischen Geschehnissen.
Jetzt hat die FDP im Parlament vier Vorstössen der SVP zugestimmt. Einer forderte, dass auf Asylgesuche von Menschen, die durch ein sicheres Drittland eingereist sind, nicht eingetreten wird, eine weiterer forderte Transitzonen an der Grenze. Beide wurden abgelehnt. Durchgekommen ist die Abschaffung des Familiennachzugs bei vorläufig Aufgenommenen (es betrifft rund 100 Personen pro Jahr …) und die Denunziation von Sans-Papiers bei den Krankenversicherungen. Beides erhielt eine Mehrheit dank der Mitte und zwei Enthaltungen der GLP (Patrick Hässig und Martin Bäumle).
Das Problem dieser Politik ist nicht nur der Inhalt, sondern die Unehrlichkeit, die dahinter steht. Probleme werden nicht nur bewirtschaftet, sie werden sogar selber geschaffen. Dass Kantone ein Problem mit der Unterbringung haben, liegt auch daran, dass das Parlament ihnen die Mittel dazu verwehrt hat. Und das Verbot des Familiennachzugs verstösst sowohl gegen unsere Verfassung wie auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Das heisst, es wird wohl – spätestens in Strassburg – wieder kassiert. Dominik Feusi, Bundeshausjournalist beim rechten ‹Nebelspalter› kommentierte auf X nicht untreffend: «Der Nationalrat will die EMRK nicht künden. Aber er will sie verletzen, weil er eine konsequente Asylpolitik will.»
Mittlerweile will die FDP aber nicht nur bei der Asylpolitik mit der SVP mithalten, sondern auch bei der Personenfreizügigkeit. So beschloss die FDP Kanton Zürich – die Speerspitze des Wirtschaftsfreisinns – ein neues Parteiprogramm, das fordert: «Bei der Neuverhandlung der Personenfreizügigkeit mit der EU braucht es ein griffiges Schutzkonzept zur Steuerung und Reduktion der Zuwanderung aus der EU.» Auch Mitte-Präsident Gerhard Pfister liebäugelt mit einer Schutzklausel. Die Anzeichen, dass die EU dem entgegenkommen will, tendieren gegen Null. Die Bilateralen III werden also voraussichtlich an den Bürgerlichen im Parlament scheitern bevor Gewerkschaften und SP ein Referendum ergreifen können.
Die FDP nähert sich auch stilistisch der SVP an, seit Ex-Arena-Dompteur Jonas Projer das Zepter übernommen hat: «Bundesrat Jans, bitte aufwachen», «Grenzen sichern, Bevölkerung schützen», so werden FDP-Medienmitteilungen neuerdings betitelt. Und auf X wird denn auch schon mal Cédric Wermuth unter der Gürtellinie angeraunzt. Ob dieser neue Kurs zum Erfolg führt, ist offen. In der Stadt St. Gallen sah es einen Moment danach aus, als die FDP vier Sitzgewinne feierte. Dann wurde allerdings nachgezählt. Die FDP verlor einen Sitz, die SVP gewann deren zwei.