Fat Is a Poverty Issue

Den Titel habe ich geklaut, wie Sie vielleicht gemerkt haben. Das Original hiess «Fat Is a Feminist Issue» und zierte Susie Orbachs Streitschrift von 1978 für die Akzeptanz weiblicher Kurven (dt. «Anti-Diät-Buch»). Das Anliegen weiblicher Body-Positivity scheint ja nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein: Es gibt curvy Models und curvy Jeans, die Modehäuser bieten (zumindest online) Kleider in grossen Grössen an, Sloggy zeigt durchschnittlich füllige statt halb verhungerter Unterhosen-Mannequins und in den Social Media regt sich zuverlässig Empörung, wenn wieder einmal eine Prominente wegen ihrer (meist bescheidenen) Speckröllchen schlecht gemacht wird. Wir erinnern uns an den sagenhaften Kardashian-Aufblas-Po, der als Sexsymbol, nicht etwa als Makel, zur Schau getragen wurde. Fast scheint es, als würde damit nun endlich der weiblichen Natur mit ihrer vermehrten Tendenz zur Fetteinlagerung Rechnung getragen, als hätte die Gesellschaft Frieden geschlossen mit ausufernder Weiblichkeit.

 

Ich glaube nicht daran. Viel eher glaube ich, dass sich mit Übergrössen, Kurven-Magazinen und Einladungen zum hemmungslosen Schlemmen und «Geniessen» halt ebenso Geld verdienen lässt wie mit Fitness-Studios, Sportmode und Diätpillen. Die Marktstrategen wären ja blöd, wenn sie sich diese Einnahmequelle entgehen liessen. (Coop und Migros hatten sicher nichts dagegen, dass wir uns im letzten Lockdown 20 Prozent mehr Pommes Chips reinstopften als gewöhnlich.) Wenn die Multis sich die Slogans der Subkulturen auf die Fahnen schreiben, ist Misstrauen angebracht. Das Lob der Konzerne auf weibliche Kurven ist mir ebenso suspekt wie Punk-Mode vom Laufsteg. 

 

Heutige weibliche Fülle hat denn auch nichts mit «natürlicher Weiblichkeit» zu tun. Das erhellt sich schon daraus, dass Männer unterdessen mindestens gleich viele Pölsterchen mit sich herumtragen wie Frauen (dafür jedoch tatsächlich weniger oft gesellschaftlich geächtet werden). Dieser «Mehrwert» ist in aller Regel keiner Natur geschuldet, sondern wurde auf die eine oder andere Art im Laufe des Lebens erworben. Keinesfalls liesse sich die weltweite rasante Zunahme an Körpergewicht mit natürlicher Veranlagung erklären: Diese kann sich unmöglich seit den Weltkriegen in entsprechendem Ausmass verändert haben. Das natürlichste an der Sache ist noch, dass Menschen im Alter weniger Kalorien verbrennen und daher bei gleich bleibender Nahrungszufuhr zunehmen. Oder dass man früher stirbt, wenn man stark übergewichtig ist. 

 

Man verstehe mich nicht falsch: Selbstverständlich soll gar, gar niemand wegen seiner / ihrer Körperfülle verachtet werden – sei diese nun angeboren oder angefuttert. Es sollte uns jedoch zu denken geben, dass ein rundlicher Körper im Laufe weniger Jahrzehnte von einem Wohlstands- zu einem Armutsphänomen geworden ist: In westlich industrialisierten Gesellschaften betrifft es bevorzugt die bildungsfernen Schichten, deren Zeit- und Geld-Budget nicht für täglich drei gesunde, frische Mahlzeiten reicht, in Schwellenländern geht die Unter- nahtlos in eine Überernährung mit Junkfood nach amerikanischem Vorbild über, und in vielen muslimischen Ländern werden statt alkoholischer hemmungslos Süssgetränke konsumiert. 

 

So. Wenn Sie das nächste Mal in einen fettig-zuckrig-mehligen Junkfood reinbeissen, dann wissen Sie nun wenigstens, was Sie tun. En Guete! Ihre Spassbremse

 

 

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