- Im Gespräch
Euphemismus «Rechtssicherheit»
An der Medienorientierung vor einigen Wochen zeigte sich der Mieterinnen- und Mieterverband angesichts der Mietrechtsvorlagen, über die abgestimmt wird, besorgt und befürchtete einen Abbau der Rechte der Mieter:innen in Scheibchenform. Wieso?
Sarah Brutschin: Zwei Gesetzesänderungen, eine zur Regelung des Eigenbedarfs und eine zur Untermiete, kommen am 24. November zur Abstimmung, zwei weitere zum Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit und zur Anfechtungsmöglichkeit des Anfangsmietzinses sind noch in der Pipeline. Normalerweise werden solche Vorlagen zusammengefasst als Paket zur Abstimmung vorgelegt, wenn Gesetzesrevisionen denselben Bereich betreffen. Man erhofft sich auf Befürworterseite sicherlich einen Vorteil davon, dass dies nun scheibchenweise geschieht. Im Bewusstsein, wie schwierig es ist, im Mietrecht etwas zu verändern, kann es taktisch durchaus sinnvoll sein, dieses Paket aufzuspalten. Schliesslich ist es so auch weniger offensichtlich, um was es insgesamt geht. Und weil man die Änderungen scheibchenweise präsentiert, erhofft man sich, dass man zumindest einen Teil besser durchbringt.
Im Kontext dieses Vorlagenpakets und dieser Abstimmung steht auch ein Urteil des Bundesgerichts, das den Renditedeckel 2020 angehoben hatte – von 0,5 Prozent auf zwei Prozent über dem Referenzzinssatz. Was hat das mit der Abstimmung zu tun?
Die Angelegenheit geht auf einen der Vorstösse im Nationalrat ein, wobei von bürgerlicher Seite beklagt wurde, die Renditen seien ungenügend, wenn der Referenzzinssatz so tief sei, weshalb es eine Erhöhung des Zuschlags brauche. Das Urteil des Bundesgerichts sprach unter Bezugnahme des Vorstosses eine Erhöhung der maximal zulässigen Rendite aus. Es hat hier sozusagen die Arbeit des Parlaments erledigt, indem es gesagt hat: Wir erhöhen die maximal zulässigen Renditen.
Unschönerweise geschah dies unter Bezugnahme auf eine politische Forderung, welche im Parlament noch gar nicht zu Ende beraten war. Diese Vorlage zum Renditedeckel hat sich durch das Urteil des Bundesgerichts dann erübrigt. Schlussendlich spielt das in Bezug auf die Abstimmung aber keine grosse Rolle: Das Mietrecht sagt schliesslich nur, man dürfe keinen missbräuchlichen, keinen übersetzten Ertrag erzielen. Was übersetzt ist, musste die Rechtsprechung definieren, weil es der Gesetzgeber in all den Jahren nicht getan hat.
Muss man das auseinandergepickte Vorlagenpaket als gestaffelten und koordinierten Angriff auf die Rechte als Mieter:in sehen?
Ich glaube, man muss es auf jeden Fall als das sehen. Gerade in Kombination mit den beiden anderen Vorlagen, über die das Parlament demnächst beraten wird und über die wir mutmasslich noch abstimmen werden. Die Begrenzung der Anfechtungsmöglichkeiten des Anfangsmietzinses sowie die Erleichterung des Nachweises der Orts- und Quartierüblichkeit führen letztlich dazu, dass die Marktmiete einen einfacheren Stand haben wird. Das führt zu weiteren Erhöhungen bei den Mietzinsen mit anderer Begründung. Letztlich ist die Stossrichtung klar erkennbar. Die ersten zwei Vorlagen schwächen den Kündigungsschutz. Danach geht es in der zweiten Runde um die Schwächung des Schutzes vor missbräuchlichen Mietzinsen.
Zum Stichwort Marktmiete: Grundsätzlich gilt in der Schweiz die Mietzinsgestaltung nach Kostenmiete. In Zürich haben sich die Mietzinse aber gegenseitig hochgeschaukelt, oft argumentiert über die Quartierüblichkeit. Wer hat überhaupt versagt, dass in Teilen der Schweiz de facto die Gestaltung nach Marktmiete gilt?
Es gibt keine wirksamen Kontrollen, das ist letztlich das Problem. Es gibt keine Kontrolle darüber, ob die Gesetzesbestimmung, die sagt, was in der Schweiz gilt, eingehalten wird. Und es gilt: Kostenmiete mit dem Zusatz einer zulässigen, aber begrenzten Eigenkapitalrendite. Heute wird die Rendite aber nur überprüft, wenn der Mietzins angefochten wird. Und selbst dort: Nicht in allen Anfechtungsverfahren kann man einwenden, dass die Rendite zu hoch ist. Man kann zu Beginn eines Mietverhältnisses zwar eine Renditenüberprüfung verlangen, allerdings bereits heute nur begrenzt, zum Beispiel wenn man in einem Kanton wohnt, in welchem eine Wohnungsnot herrscht, oder wenn der Mietzins im Vergleich zum Vormietzins nominell um 10 Prozent oder mehr erhöht wurde.
Das heisst, es scheitert an der Abwesenheit von zuverlässigen Kontrollmechanismen?
Vereinfacht gesagt: Wir haben zwar die gesetzlichen Grundlagen, um gegen missbräuchliche Mietzinse vorzugehen, aber die Durchsetzung dieser gesetzlichen Grundlagen lässt sehr zu wünschen übrig – weil das Mietrecht darauf angelegt ist, dass eine Überprüfung ohnehin nur dann erfolgt, wenn eine Anfechtung geschieht, die Mieter:innen also den Rechtsweg beschreiten. Und auch das nur zu ausgewählten Zeitpunkten. Wenn das Gesetz umgesetzt würde, hätten wir keine derartigen Diskrepanzen zwischen Bestandesmieten und Marktmieten. Es ist wirklich ein Problem der Kontrolle. Und das System der Missbrauchskontrolle ist in keiner Art und Weise automatisiert – wer nicht einverstanden ist, muss bei den Schlichtungsbehörden anfechten.
Ein Stichwort der Befürworterseite ist die Rechtssicherheit. Implizit herrscht heute Rechtsunsicherheit. Bei einer Annahme müsste ein Eigenbedarf nicht mehr dringend, sondern aus «objektiver Beurteilung bedeutend und aktuell» sein, um ihn geltend zu machen. Für wen bedeutet das Rechtssicherheit?
Da bin ich ehrlich: Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten. Gerade als Anwältin und Mitglied einer Schlichtungsbehörde empfinde ich es exakt gegenteilig zu dem, was die Befürwortenden sagen. Wir haben heute eine Rechtsprechung zum Begriff «dringender Eigenbedarf» – weil die Gerichte diesen Begriff «dringend» mit Inhalt füllen, also konkretisieren mussten. Das wurde gemacht. Jetzt führt man ein neues Begriffspaar ein, das übrigens sehr nahe an der Definition von «dringend» ist. In welchen konkreten Fällen die von den Befürwortenden gewünschte Erleichterung eintritt, ist völlig unklar. Die Rechtsprechung wird diese Begriffe konkretisieren und anwenden müssen und bis dahin wissen wir nicht, wie sich die Änderung konkret auswirkt – Rechtssicherheit schafft man mit diesem unklaren Begriffspaar also nicht. Klar ist jedoch, was die Gesetzesrevision beabsichtigt – dass bei Eigenbedarf Kündigungen erleichtert werden im Vergleich zur heutigen Rechtslage. Diesem Willen müssen die Gerichte bei der Anwendung der Bestimmung Rechnung tragen, womit die Vorlage den Kündigungsschutz schwächt.
Dieselbe Frage nochmals. Wem bringt die andere Vorlage zur Untermiete Rechtssicherheit?
Die Situation ist sehr vergleichbar. Auch dort wird wieder die Rechtsprechung gefordert sein. Heute ist klar, dass die Auflistung im Gesetzesartikel abschliessend ist – nur in den dort aufgeführten Szenarien kann die Zustimmung zur Untermiete verweigert werden. Der Katalog würde mit einer Änderung des Wortes «nur» in «insbesondere» aber in alle Richtungen geöffnet. Um welche Tatbestände oder Lebensvorgänge kann ich nicht abschätzen, dafür müsste man einige Jahre Rechtsprechung abwarten, um ein Gesamtbild zu bekommen. Rechtssicherheit wird so nicht geschaffen – im Gegenteil, mit der Einführung neuer, nicht näher definierten Ablehnungsgründen erreicht man genau das Gegenteil.
Kann man dieses Stichwort der Rechtssicherheit so interpretieren, dass es einfacher wird, Mieter:innen vor Gericht verlieren zu lassen?
In letzter Konsequenz ist es das. Man schwächt die Position der Mieter:innen. Das in zeitlicher Hinsicht in zwei Momenten. Bei der Eigenbedarfskündigung, dort wo Kündigungen eigentlich nicht zulässig wären. Das ist besonders stossend. Und ja, bei der Untermiete und dem «insbesondere» – es geht ja zum Beispiel auch darum, dass man, wenn man als Mieter:in beim Vermieter eine Zustimmung einholen muss, nicht weiss, welche Bedingungen man zu erfüllen hat, damit man eine Zustimmung bekommt. Bis anhin war das klar: Der Zins darf nicht zu hoch sein, dem Vermieter dürfen keine Nachteile entstehen, über die Bedingungen des Untermietvertrags muss der Vermieter informiert werden. Wer diese Konditionen erfüllt, hat einen Anspruch, unterzuvermieten. Diese Sicherheit wäre nicht mehr gegeben.
Sie haben auch schon kritisiert, dass in Bezug auf die Untermiete neue Kündigungsmöglichkeiten geschaffen würden, wenn zum Beispiel eine Unterschrift fehlt.
Ja, aber das ist ein anderer Aspekt. Der Gesetzesartikel behandelt zweierlei Dinge. Einerseits die Voraussetzungen, unter denen eine Zustimmung erteilt werden muss – und andererseits die «Sanktionen». Wenn zum Beispiel ohne Zustimmung untervermietet wird, zu teuer untervermietet wird, oder dem Vermieter Nachteile entstehen, dann kann bereits heute ohne weiteres die Kündigung ausgesprochen werden. Eine neue Kündigungsmöglichkeit wird insofern eingeführt, dass man sagt, man kann sogar künden, wenn Unterschriften fehlen – sei es die Unterschrift auf dem Antrag der mietenden Partei oder die Unterschrift auf der Zustimmung des Vermieters. Oder wenn die Untermiete länger als zwei Jahre dauern sollte. Das sind effektiv neue Kündigungstatbestände, die wir bis jetzt so nicht kannten.
Es wird also generell als Mieter:in komplizierter – ob in Bezug auf die Unsicherheit über die eigenen Handlungsmöglichkeiten oder in Bezug auf die Änderungen im Recht, die bestärken, dass man von Fall zu Fall schauen muss…
Es ist eine perfide Geschichte. Bei der Untermiete wird eigentlich kein Stein auf dem anderen gelassen: Neue Formalien werden eingeführt, der Katalog der Ablehnungsgründe wird erweitert, das Recht auf Untervermietung wird auf zwei Jahre begrenzt und den Vermieter:innen wird eine neue Kündigungsmöglichkeit mit abgekürzter Kündigungsfrist eingeräumt. Das Zustimmungserfordernis haben wir schon heute, nun soll dieses bürokratisiert und verkompliziert werden: Briefe, eigenhändig unterschrieben, müssen hin- und hergeschickt werden. Vermieter:innen und Mieter:innen kommunizieren heute zum Beispiel per E-Mail. Man kennt sich unter Umständen auch, wohnt im selben Haus – da wird die Zustimmung oft mündlich erteilt.
Das würde bei der Annahme der Vorlage nicht mehr reichen?
Neu würde es eine Unterschrift brauchen, eine, die man anfordern muss. Das wird auch Unsicherheit bei Mieter:innen auslösen: Was passiert, wenn ich die Unterschrift nicht bekomme? Auch die neue Kündigungsmöglichkeit, wenn eine Untermiete auf mehr als zwei Jahre angelegt ist, bringt Unsicherheit.
Die jetzigen Vorlagen scheinen ein Testlauf zu sein, die Vorlagen zur Einschränkung der Anfechtung des Anfangsmietzinses und zur einfacheren Beweisbarkeit der orts- und quartierüblichen Mieten sind schliesslich noch nicht im Abstimmungscouvert beigelegt. Um was geht es im zweiten Teilpaket?
Um richtig viel. Dort würde das Mietrecht im Kern getroffen. Man trifft auch den Verfassungsauftrag. Die Verfassung sagt, der Gesetzgeber muss Bestimmungen gegen missbräuchliche Mietzinse erlassen. Die Anfangsmietzinsanfechtung wäre nicht mehr möglich – ausser in einer persönlichen Notlage, aber die Fälle, in denen ein Gericht sagt, dass eine solche vorliegt, können Sie an einer Hand abzählen. Die Anfechtungen von Anfangsmietzinsen werden heute aufgrund der Wohnungsnot gemacht und/oder weil der Mietzins um mehr als 10 Prozent erhöht wurde. Wenn man sagt, es braucht in jedem Fall eine persönliche Notlage, sonst ist der Anfangsmietzins nicht anfechtbar – dann ist der Verfassungsauftrag, der Erlass von Bestimmungen gegen missbräuchliche Mietzinse, meines Erachtens nicht mehr erfüllt. Ähnlich verhält es sich mit der anderen Vorlage, wenn man den Grundsatz der Kostenmiete schwächt, der für eine Preisdämpfung enorm wichtig ist – und von der wir zu wenig haben, weil der Kontrollmechanismus gegen missbräuchliche Renditen fehlt.