Etwas weniger wäre oft mehr

«Das SVP-FDP-­Machtzentrum im Bundesrat hat zugeschlagen. Allen, die Bundesbern etwas kennen, hätte das klar sein sollen. Sonnenklar. Seit Wochen.» So Jacqueline Badran in der ‹Sonntagzeitung› in ihrer Kolumne, in der sie den Medien auf die Finger schaut. Passiert ist, um es betont anders zu sagen, folgendes: Die Mehrheit hat von ihrer Mehrheit Gebrauch gemacht. Karin Keller-Suter hat sich die Finanzen geschnappt, die nicht ganz sicher auch Alain Berset genommen hätte. Ob Alain Berset freiwillig verzichtete oder unfreiwillig vor der FDP-SVP-Mehrheit wich, bleibt bis zur nächsten Indiskretion ein Geheimnis und spielt eh keine Rolle. Jedenfalls hat es ihn, glaubt man seinen Worten im ‹Blick›, die Freude am Bundesratsein nicht verdorben und er denkt nicht an den Rücktritt Ende 2023. Ob das zutrifft oder er nichts anderes sagen kann, um nicht schon jetzt als lahme Ente behandelt zu werden, ist eine offene Frage. Vermischt ist diese Frage, wie Jacqueline Badran logischerweise auch ausführt, mit der Frage, wie viele BundesrätInnen jede Partei hat. Gewinnen die Grünen im Herbst 2023 nochmals – was noch längst nicht feststeht, aber auch nicht ausgeschlossen ist – wird es langsam schwierig, ihnen einen Sitz im Bundesrat zu verwehren. Gewinnen die Grünen einen Bundesratssitz, verlieren entweder die FDP oder die SP einen. Oder politisch und mathematisch noch fast einfacher: Gewinnt die GLP beachtlich, kann man auch ihr einen Sitz schwer vorenthalten und dann verlieren SP und FDP je ihren zweiten Sitz. Immer vorausgesetzt, man will weiterhin so etwas wie eine Konkordanz. Selbstverständlich können sich neue politische Mehrheiten finden und die Bundesratssitze untereinander aufteilen. 

 

Bleiben wir bei der Konkordanz, dann ist es für die SP und die FDP entscheidend, dass sie je besser als die andere bei den Wahlen abschneiden. Und die Grünen müssen ihre Hemmungen überwinden und auch einen Sitz von der SP nehmen, wenn diese ihre Position als zweitstärkste Partei bei den Wahlen 2023 nicht behaupten kann.

 

Für die FDP ist inhaltlich und machtpolitisch derzeit ein relativ entspanntes Verhältnis mit der SVP erwünscht und somit stiess der Wunsch von Albert Rösti, das UVEK zu übernehmen, sicher auf recht offene Ohren. Wohl auch bei ihren vier BundesrätInnen. Dazu wünschte niemand sonst sich das UVEK, was SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer Viola Amherd recht vehement vorwirft. 

 

Die Entwicklung zu dieser Aufteilung fand keineswegs im Geheimen statt. Ich zähle mich überhaupt nicht zu den Kennern der Berner Politszene, aber selbst mir – trotz vieler Berichte, wer nett und wer arrogant, ländlich oder urban sein könnte – blieb aus den Medienberichten nicht verborgen, dass die Chancen für Karin Keller-Suter für die Finanzen als gross eingeschätzt wurden und ein Umweltminister Albert Rösti sehr wohl denkbar war.

 

Natürlich haben die vier FDP-SVP-BundesrätInnen für diese Konstellation ihre Mehrheit ausgespielt und sie wurden von ihren Parteien dazu ermuntert bis gedrängt. Unsere haben das auch gemacht, einfach mit weniger Erfolg. Nur: dass eine Mehrheit ihre Stärke nutzt, ist recht normal und nicht einmal ehrenrührig.

 

Rot-grün verhielt sich in der Stadt Zürich genauso. Einmal falsch und dann richtig. Weil 2014 keiner der rot-grünen StadträtInnen das Tiefbauamt übernehmen wollte, erhielt es der neugewählte FDP-Stadtrat Filippo Leutenegger. Das funktionierte sehr mässig, um es nett zu sagen. Die Differenz zwischen der Verkehrspolitik, die er wollte und die der Rest des Stadtrats und vor allem die Mehrheit des Gemeinderats anstrebte, war einfach zu gross. 2018 korrigierte der Stadtrat diesen Entscheid unter Getöse der Bürgerlichen und dem Versetzten, aber durchaus zum Wohl der städtischen Politik. Dass die politische Mehrheit in Bern das derzeit wichtige UVEK-Departement selber führen will, finde ich normal und keine böse Verschwörung. Diese sehe ich – wenn schon – eher bei jenen, die Albert Rösti vor dem Amtsantritt keine Chance geben wollen. So riesig, wie auch die Grünen heute zu kommunizieren glauben müssen, könnte zudem der Unterschied zwischen seinem möglichen Handeln in der Klimapolitik von demjenigen von Simonetta Sommarugua auch nicht sein. Die Rhetorik ist anders, aber beide wollen die Decarbonisierung und beide eine hohe Energieversorgungssicherheit und die Prioritäten sind bei beiden, dem Bundesrat oder gar bei den Stimmberechtigten alles andere als gegeben.

 

Wir erlebten sehr normale und sehr ruhige Bundesratswahlen und ein Teil der SP bemüht sich nun, daraus wieder einen Skandal zu konstruieren. Ich erlebte diese Woche die zweitägige Budgetdebatte des Kantons Zürich und fragte mich bei den Voten der Bürgerlichen und der Linken, ob der Kanton Zürich kurz vor dem Untergang steht. Verhandelt wurde ein stinknormales Budget mit 1400 neuen Stellen und 1,3 Milliarden Investitionen und einem Defizit von einer halben Milliarde Franken, mit dem der Kanton seinen Verpflichtungen und Vorsätzen nachkommen kann. Vor allem die SP warf den Bürgerlichen vor, sie würden nichts für die Menschen  draussen machen, die wegen der Teuerung und den Energiepreisen bald nicht mehr wüssten, wie sie ihre Rechnungen und vor allem ihren Konsum bezahlen sollten. Die Bürgerlichen und vor allem der Freisinn wiederum warfen der Regierung vor, er werfe das Geld den Falschen nach, nämlich dem Personal. Beide Seiten präsentierten keine wirkliche Alternative. Hätte die bürgerliche Mehrheit nicht nur gewünscht, sondern auch entschieden, hätte vor allem das Personal einen kleineren Teuerungsausgleich erhalten – etwas zwischen und 2,5 Prozent statt 3,5 Prozent. Die Linken hätten vor allen bei den Krankenkassenverbilligungen etwas mehr ausgegeben, noch etwas bei der Migration: Die meisten Anträge gehörten zur Kategorie eher Symbolik, vorgetragen mit möglichst dramatischen Worten.

 

Natürlich sind in knapp zwei Monaten Wahlen. Trotzdem: PolitikerInnen, die sich ständig beschimpfen, obwohl die Differenzen in der Sache (also hier beim Budget) recht klein sind, wirken auf die Dauer etwas unglaubwürdig. Man kann nicht fast jede Woche von Betrug, Skandal und Verfassungsbruch reden oder twittern, wenn man gar nicht so weit voneinander weg ist. Will man in der Politik wirklich etwas erreichen, genügt es nicht, wie die GLP nur die eigenen Ziele zu erreichen und sich damit wie Benno Scherrer zu brüsten. Man braucht Partner und muss diesen auch etwas zum Leben geben. Zumindest im Kleinen, wie etwa bei den Prämienverbilligungen. 

 

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