Etwas Musik für die Stimmung

Dass die Zweiklassen-Gesellschaft auch in Europa längst bittere Realität ist, zeigt «O Fim do Mundo» von Basil da Cunha.

 

von Suzanne Zahnd

 

Das Quartier soll abgerissen werden, was für einige Aufregung sorgt unter den Menschen, die hier im Armenviertel Reboleira in Lissabon leben. Sie kommen aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien, vornehmlich von den Kapverdischen Inseln. Die Gentrifizierungsbagger stehen bereit, und der Müll ist schon seit zwei Monaten nicht mehr abgeholt worden … Der Film von Basil da Cunha, «O Fim do Mundo», beginnt mit einer Taufe in Reboleira. Der Alkohol fliesst reichlich, die Feier danach eskaliert, zwei Frauen gehen aufeinander los. Die eine beschimpft die andere als Nutte, der Ton ist rau, es kommt zu Tätlichkeiten. Alle mischen sich ein. Jeder Satz endet mit dem Wort «Mann».

 

In den kollektiven Kater am nächsten Tag tritt Spira, ein junger Mann von ca. 18 Jahren. Eine der Schlägerinnen vom Vorabend ist seine Mutter, die noch zwei weitere, viel jüngere Kinder hat. Sie ist wie die meisten hier alleinerziehend, ihr Mann arbeitet im Ausland. Geld schicken tut er eher nicht. Sie hat Spira seit acht Jahren nicht mehr gesehen. Er kam als Kind in ein Erziehungsheim. Jetzt kehrt er als junger Mann ins Quartier zurück. Reboleira hat sich nicht verändert. Auch die Zukunftsperspektiven für Spira nicht. Die einzige Aufstiegsmöglichkeit für ihn und seine beiden Freunde ist die als Drogendealer.

 

Spiras grösstes Problem ist Kikas, ein alter Trafikant, der mit 50 seine Bleibe immer noch mit Fussballbildchen dekoriert und u.a. mit Spiras Mutter vögelt. Spira zündet sein Auto an und muss jetzt um sein Leben fürchten. Nur Elend, Probleme und Misere, so scheint es, doch dann verliebt sich Spira in Iara. 

Die wenigen traumartigen Sequenzen, in denen Iara und Spira zarte Momente erleben dürfen, stammen aus der Grundidee des Regisseurs da Cunha, der eigentlich einen Film mit jüngeren Kindern drehen wollte. Er wollte beweisen, dass Unschuld eine Form von Widerstand sein kann und dass sie den Erwachsenen eine Lektion erteilen kann. Aber als er fast zwei Jahre später seine bereits gecasteten Protagonisten angeschaut hat, realisierte er, dass sie Männer geworden sind. Weil er ihnen nicht sagen wollte, sie seien jetzt zu alt, hat er sich entschieden, mit ihnen zusammenzuarbeiten und hat das Skript umgearbeitet.

 

So tut Spira, was er als junger Mann im Ghetto tun muss: «Dinge, die Gott erlaubt und das Gesetz verbietet.» Spira wird kriminell und schlägt sich den Weg frei. Der Film endet mit einer Beerdigung, die ebenfalls in ein Saufgelage ausartet. «Traurigkeit ist nicht immer die Lösung», argumentiert der Mann mit dem Ghettoblaster, der «etwas Musik für die Stimmung» macht. 

Der Film begleitet Spira mit wohlwollenden Blick, ohne etwas schönzureden und zeigt damit eindringlich, dass die Zweiklassen-Gesellschaft kein amerikanisches Problem, sondern auch in Europa längst bittere Realität ist.

 

«O Fim do Mundo» läuft ab Sonntag,
28. 6. www.riffraff.ch

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.