Es war ihm in seiner Haut wohl
Letzte Woche verstarb im Alter von 94 Jahren mit Helmut Hubacher ein Politiker, der die Geschichte der SP und der Schweiz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mitprägte wie wenige.
«Ich sehe Hubacher, den Unruhestifter: Wie er, nahezu eins neunzig gross durch die Wandelhalle des Parlaments schlendert: Aufrecht, den Kopf hoch erhoben, eine elegante Erscheinung, bürgerlicher als alle Bürgerlichen, eben doch anders, deshalb verdächtig, aber immer Respekt gebietend.» So Frank A. Meyer.
Über den Unruhestifter könnte man sich streiten – zumindest als SP-Präsident war er mehr Vermittler zwischen den Parteiflügeln als Unruhestifter. Aber sonst deckt sich sein Bild mit meinem prägendsten von ihm: Ein schöner und eleganter Mann schlendert in einer Pause des SP-Parteitags in aller Gelassenheit durch den Kursaal Interlaken: Durchaus nahbar und ansprechbar, aber auch leicht distanziert. Er fühlt sich offensichtlich wohl unter den GenossInnen, sucht aber keineswegs das Bad in der Menge, das er haben könnte. Als Parteipräsident ist er unbestritten und respektiert.
Den Respekt hatte er sich mit unerschrockenen Auftritten im Nationalrat verschafft, mit seiner Art, Konflikte auf den Tisch zu bringen, aber auch mit seiner Freude an seinem Tun. Er mochte sichtlich, was er tat; sei es als Parteipräsident im Rampenlicht und im Hinterzimmer bei den Sektionen, sei es als Parlamentarier in der merkwürdigen Berner Blase. Er verzichtete weitgehend auf die Politikersprache mit vielen wolkigen Worten. Was ihn nicht daran hinderte, sich 35 Jahre im Nationalrat wohl zu fühlen.
Militärpolitiker
Als Helmut Hubacher 1975 mit 49 Jahren zum Parteipräsidenten gewählt wurde, hatte die Schweiz eine lange Phase des wirtschaftlichen Wachstums hinter sich, war indes im Kalten Krieg gesellschaftlich erstarrt, was die 68er-Bewegung zu sprengen versuchte. Die SP bestand vor allem aus Arbeitern und Gewerkschaftern, war männlich dominiert und streng antikommunistisch. Ihren Mitgliedern ging es finanziell besser denn je, sie verlor indes an Bedeutung, weil einerseits viele Arbeiter als Ausländer kein Stimmrecht besassen und viele SchweizerInnen aufstiegen. Helmut Hubacher, der bei seinen Grosseltern in einer klassenbewussten Arbeiterschicht aufwuchs, absolvierte eine Bahnlehre, engagierte sich bei den Jungsozialisten, lernte dort früh seine Frau Gret kennen, zügelte nach Basel und wurde dort Gewerkschaftssekretär, dann zusätzlich Journalist bei der Arbeiterzeitung, die unter seiner Führung zur ‹AZ-Abend-Zeitung› mutierte. In diese SP traten immer mehr Intellektuelle der 68-Bewegung ein, und mit dem Stimmrecht für die Frauen öffneten sich ab 1971 neue Perspektiven.
Helmut Hubacher hegte nie revolutionäre Pläne, aber er erkannte früh, dass die SP zumindest einen Teil der linken Intellektuellen und der Frauen gewinnen musste, ohne die alte Basis zu verlieren. Das Vertrauen der Traditionellen hatte er, dasjenige der Jungen erwarb er sich vor allem mit seiner Militärpolitik. Nach seiner Wahl 1963 in den Nationalrat liess er sich – um voranzukommen – in die für SP-Mitglieder uninteressante Militärkommission wählen. Er erkannte offensichtliche Mängel und Seilschaften bei der Beschaffung und trug sie in die Öffentlichkeit. An den Fähigkeiten der Militärs zu zweifeln kam damals Landesverrat nahe, obwohl er immer für eine Armee einstand. Als er in Basel Regierungsrat werden wollte, schlossen sich die Bürgerlichen zu einer Front gegen ihn zusammen, und so hatte er als ‹fremder Fötzel› keine Chance.
Den zweiten grossen ‹Fauxpas› leistet er sich 1982, als er als Leiter einer SP-Delegation dem DDR-Staatschef Erich Honecker die Hand drückte und ein Bild davon in den Medien erschien: Für die Jungen in der Partei alles andere als ein Verbrechen. Auch wenn unsere Sehnsuchtsorte Bologna oder Kuba lauteten, betrachteten wir die DDR wie die SPD als Realität, die auch gute Seiten aufwies. Verbindungen zu Kommunisten galten nicht als Staatsverbrechen.
Die Nichtwahl
In die Präsidialzeit Hubachers fiel der Beginn der Umweltbewegung mit Kaiseraugst. Die Partei und ihr zuständiger Bundesrat Willy Ritschard befürworteten Atomkraftwerke. Als Basler konnte Helmut Hubacher unmöglich dafür sein, es kam zum Nichtbau mit Entschädigung für die Betreiber.
Die Annahme der Wahl durch Otto Stich zum Bundesrat anstelle der vorgesehenen Liliane Uchtenhagen, auf die Helmut Hubacher mit dem Rückzug der SP aus dem Bundesrat drohte und damit am Parteitag mit 773:511 Stimmen scheiterte, betrachten viele als seine grösste Niederlage. Was sie 1984 sicher war, nachträglich aber zu einem Erfolg wurde. Die bürgerlichen ParlamentarierInnen misgönnten der SP erstens die erste Bundesrätin und zweitens weckte die intellektuelle Frau aus Zürich, die als Nationalrätin entschieden, wenn auch keineswegs sehr links auftrat, offensichtlich Ängste. Das Misstrauen existierte in der SP zumindest so weit, dass man für sie nicht aus dem Bundesrat austreten wollte.
Die offene Auseinandersetzung und die Zeit schärften aber das Bewusstsein so sehr, dass das gleiche Spiel mit einer Nichtwahl von Christiane Brunner 1991 nicht mehr funktionierte: Für sie gingen nicht nur die SP-Mitglieder massenhaft auf die Strasse, so dass zumindest ihre ‹Schwester› Ruth Dreifuss gewählt wurde.
Nicht alles gelang ihm als Parteipräsident. Nach einem Wahlerfolg 1975 fielen die kommenden Wahlen für die SP deutlich schlechter aus. Die nach dem CS-Skandal in Chiasso lancierte Bankeninitiative war ein Flop, ein brauchbares Wirtschaftspapier kam nie zustande, obwohl viele in der Partei dafür viel Energie aufwandten. Auch in der Migrationspolitik zerriss die Partei keine grossen Stricke.
Helmut Hubacher schätzte seinen Einfluss als Nationalrat und Parteipräsident, er füllte bei den Auseinandersetzungen mit Christoph Blocher oder Franz Steinegger die Säle und erzielte hohe Einschaltquoten beim TV. Er focht direkt, verständlich, angriffig und mit viel Sinn zur Inszenierung.
Nach seinem Rücktritt verstummte er nicht, er schrieb einige Bücher, in denen er meist anekdotisch seine Zeit in Bern reflektierte. Er schrieb Kolumnen, vor allem in der ‹Basler Zeitung› und teilweise auch im ‹Blick›, hielt auch Vorträge in Sektionen, wobei er mit seinen Meinungen nicht zurückhielt. Aber aus meiner Sicht mischte er sich nicht mehr aktiv oder systematisch ein. Er politisierte immer noch gerne, liebte die Reflexionen, aber er strebte nicht mehr nach Einfluss. Schön, wenn seine Meinungen im Sinne eines alten Staatsmanns Beachtung fanden, aber er liess seine Nachfolger machen und beurteilte sie im Zweifelsfalle positiv oder ermunterte sie, wie derzeit das neue Duo.