«Es sind patriarchale Strukturen, die zum Tod von Frauen führen»

Ni Una Menos ­– Die Bewegung gegen Femizide in Lateinamerika ist auch seit zwei Jahren in Zürich aktiv und wächst schweizweit weiter. Ein Porträt über den Kampf, Erfolge und Forderungen des Kollektivs.

 

Natali Abou Najem

 

Treffpunkt: Ni-Una-Menos-Platz – zu Deutsch: Nicht eine weniger. So heisst es mittlerweile bei fast jedem Aufruf zu einer Demonstration aus dem linken Lager. Der historische Platz, von der jede Demonstration Wellen in die ganze Schweiz schlägt, wird nicht mehr als Helvetiaplatz gewürdigt, oder gerade doch? 

 

Stine*, Mitglied des Kollektivs, hat eine Erklärung: «Die Helvetia ist eine allegorische Frauenfigur für die Schweiz – wir wollen aber nicht national denken, sondern beziehen uns auf die patriarchalen Umstände, die die Gesamtgesellschaft betreffen. Dass die Namensänderung auch von verschiedenen aktivistischen Gruppen angenommen wurde, ist ja auch irgendwie historisch.» Ihre Aktionen bestehen hauptsächlich aus Solidarität zu getöteten und gewaltbetroffenen Frauen und Flinta (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und Trans-Personen). «Unsere Forderung ist, dass Femizid als politischer Begriff anerkannt wird und nicht von Beziehungsdelikten gesprochen wird. Es sind keine Einzelfälle, sondern patriarchale Strukturen, die zum Tod von Frauen führen», sagt Stine energisch. Auch die mediale Berichterstattung über die Ermordung von Frauen ist für Stine ein Problem, denn wie unsere Gesellschaft seien auch die Medien von den patriarchalen Strukturen geprägt. 

 

Bei jedem Femizid in der Schweiz – wovon es dieses Jahr bereits 25 gab – ging das Kollektiv auf die Strasse, um den Frauen zu gedenken. Seit der Gründung nach dem Frauenstreik/Feministischer Streik 2019 macht das Ni Una Menos-Kollektiv mit seinen Protesten auf Femizide aufmerksam. Trotz den pandemiebedingten Einschränkungen und der Polizeigewalt gegen die Aktivistinnen waren diese Aktionen wichtig, wie das Mitglied Sevin* meint: «Mit diesen Aktionen konnten wir sehr viele Menschen erreichen und das Gewaltproblem in der Schweiz gegenüber Frauen aufzeigen. Das ist ein Erfolg, denn so konnte diesen Frauen eine Stimme gegeben werden.» Das Kollektiv zählt 12 aktive Mitglieder und zahlreiche SympathisantInnen. Verschiedene Frauen und Flinta-Personen finden sich darunter, von politisch weniger erfahrenen 18-Jährigen, bis zu Feministinnen, die sich bereits 40 Jahre den Kampf gegen das Patriarchat zur Lebensaufgabe gemacht haben. «Der Gedanke ein Teil einer internationalen Bewegung zu sein, hat viele Menschen zusammengebracht und bildet so ein grosses Netzwerk», meinte Sevin zur Diversität. Entscheidend ist das grosse Netzwerk auch für die Bewegung in der Schweiz: Ni Una Menos gibt es auch in Basel und Luzern und wächst immer weiter. Für die gesamtschweizerische Demonstration am 11. Dezember wurden Flyer in acht Sprachen übersetzt. Neben den schweizerischen Amtssprachen auch auf Englisch, Türkisch oder Arabisch. «Indem wir die Flyer übersetzen, senken wir die Sprachbarriere derer, die in der deutschen Sprache nicht sicher sind, um unsere Forderungen zu verstehen und vielleicht mitzuwirken», sagte Sevin emphatisch.  

 

Das Leid vieler

Ni Una Menos ist viel mehr als streikende Frauen: Es ist die Betroffenheit und Wut, die die Frauen zusammenbringt. Die Tragik der Einzelgeschichten und darin das Gesamtleid vieler verbindet . Die AktivistInnen stellen energisch Forderungen, die gegen patriarchalen Strukturen ankämpfen. «Diese Emotionen spürt man, wenn wir auf die Strasse gehen, weswegen wir dominant wirken und als radikal abgestempelt werden», meinte Sevin. Bisher seien es kleine Erfolge, wie dass die Medien öfter den Begriff Femizid verwenden, die dem Patriarchat entgegenwirken. Ihre Forderungen fruchten: «Wir konnten unsere Anliegen innerhalb der Linken etablieren. Klassenkampf muss feministisch sein. Dafür braucht es auch den Feminismus in der breiten Gesellschaft», sagt Sevin mit ernstem Ausdruck. Auch für Stine ist klar: «Um patriarchale Gewalt nachhaltig zu bekämpfen, braucht es eine feministische Revolution.»

 

Zurück zum Ni-Una-Menos-Platz, einer der grössten Erfolge des Kollektivs: Ein Mitglied des Kollektivs erlaubte es sich am feministischen Streik 2019, eine «Verschönerungsaktion» vorzunehmen: Es dekorierte Frauenstatuen mit Schärpen. Eine feministische Botschaft mit rechtlichen Folgen. Als Antwort darauf solidarisierten sich Feministinnen mit der Angeklagten am Tag der Urteilsverkündung. Aus der Solidaritätsaktion entstand das Ni Una Menos Zürich Kollektiv. Nicht eine weniger, nicht im Kampf gegen das Patriarchat und derer Organe, wie die Justiz. So wurde wiederum eine «Verschönerungsaktion» am ehemaligen Helvetiaplatz vorgenommen: Das Schild wurde überklebt mit einem Papier, dass den neuen, symbolischen Namen des Platzes trägt. 

 

*Die beiden Mitglieder des Kollektivs wollten nur mit Vornamen im Artikel genannt werden. 

«Schweizweite Demo gegen Femizide», Samstag, 11. Dezember 2021 – 14 Uhr am Ni-Una-Menos-Platz (ehemals Helvetiaplatz), Zürich.

 

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