«Es lohnt sich zu kämpfen, trotz allem»
Am Montag sitzt Regula Kaeser-Stöckli zum letzten Mal für die Grünen im Kantonsrat. Bereits aufgehört hat die langjährige Parteisekretärin der Grünen Stadt Zürich, Kathy Steiner. Über gute wie schlechte Erfahrungen und darüber, was sie als nächstes vorhaben, geben die beiden im Gespräch mit Nicole Soland Auskunft.
Laut Ihrer Website sind Sie, Frau Kaeser, ein ungeduldiger Mensch – im Parlament mahlen die Mühlen normalerweise eher langsam. Ist das der Grund für Ihren Rücktritt aus dem Kantonsrat?
Regula Kaeser: Das ist sicher mit ein Grund, aber ich war ja doch acht Jahre im Kantonsrat. Seit 2014 bin ich Stadträtin in Kloten. In der Exekutive kann man viel schneller etwas erreichen, und das entspricht eher meinem Naturell. Kommt hinzu, dass die Arbeit als Mitglied einer kleinen Kantonsratsfraktion und angesichts der herrschenden Mehrheitsverhältnisse doch eher ernüchternd ist. Und was die Themen betrifft: Sie werden umso abstrakter behandelt, je weiter weg man sich von seinem Wohnort begibt. In Kloten geht es konkret um den Bau eines Schulhauses, im Kantonsrat ums Volksschulgesetz und in Bundesbern um die Bedeutung der Mint-Fächer.
Verglichen mit dem ‹harten Brot›, das die Grünen im Kanton essen, sassen Sie, Frau Steiner, als Sekretärin der Grünen Stadt Zürich am Honigtopf – da gibt es doch gar keinen Grund, aufzuhören?
Kathy Steiner: Das ist fast so. Ich war zwölf Jahre Parteisekretärin, und in dieser Zeit sind in der Stadt Zürich drei Volksinitiativen der Grünen zur Abstimmung gekommen. Jede von ihnen wurde mit über 75 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Das zeigt schon, dass wir Grünen in der Stadt Zürich in einer Position sind, in der wir nicht um den Rückhalt in der Bevölkerung bangen müssen. So zu arbeiten, macht grossen Spass. Dennoch sind zwölf Jahre eine gute Grössenordnung: Ich habe drei Wahlzyklen mitgemacht, und nun suche ich mir für die nächsten zehn Jahre etwas Neues. Auch für die Partei ist ein frischer Wind nach so langer Zeit sicher nicht schlecht.
Wenn es so gut läuft, braucht es doch gar keinen frischen Wind.
K. S.: So oder so: Jetzt ist ein guter Zeitpunkt. Wir sind so gut aufgestellt, dass ein Wechsel ohne weiteres zu bewältigen ist.
Sie, Frau Kaeser, beschäftigen sich gern mit klassischen grünen Themen wie Energie, Raumplanung und Verkehr – doch im Klotener Stadtrat sind Sie fürs Ressort «Bevölkerung» zuständig. Von den Themen her gesehen müssten Sie also eher im Kantonsrat bleiben…
R. K.: Das ist richtig, aber nur die halbe Geschichte: Ich bin jetzt 57. Im Kantonsrat hat man keine Altersvorsorge. Ich habe mir acht Jahre lang eine Lücke in meiner Altersvorsorge geleistet, und ich bin nicht mehr bereit, das weiterhin zu tun. Das ist ein Problem, das alle ParlamentarierInnen haben, gerade solche wie ich, die eine klassische Frauenkarriere aufzuweisen haben: Ich hatte Familienzeit und habe Teilzeit gearbeitet, und beides bedeutet Einbussen bei der Altersvorsorge. Es ist nicht so, dass mich die Themen nicht mehr interessierten, aber ich muss Prioritäten setzen.
Böse gesagt: Man muss es sich leisten können, im Kantonsrat zu sein.
R. K.: Böse gesagt muss man sich bewusst sein, dass man als Kantonsrätin eineinhalb bis zwei Tage Aufwand pro Woche hat, für die man keinen Gegenwert in der Altersvorsorge erhält.
Warum gibt es denn dazu keine Vorstösse?
R. K.: Die gibt es, und eigentlich wollte ich noch einen einreichen. Bei den Recherchen wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Bearbeitung einer Motion aus dem Jahr 2012, die sistiert war, wieder aufgenommen wurde. Für mich ist es völlig klar, dass der Kantonsrat für seine Mitglieder bessere Sozialleistungen schaffen muss, aber viele Sparpolitiker wollen davon nichts wissen. Dadurch grenzen sie jedoch eine ganze Bevölkerungsschicht vom Politisieren im kantonalen Parlament aus.
K. S.: Ich habe zwar als Parteisekretärin aufgehört, bleibe aber Kantonsrätin – und als solche habe ich dasselbe Problem wie Regula: Auch ich habe Familien- und Teilzeitarbeit geleistet und nie den grossen Lohn gehabt, und meine Altersvorsorge fällt bescheiden aus.
Zurück zu Ihren Ämtern: Was ist Ihnen besonders gut gelungen, worauf sind Sie stolz?
R. K.: Ich habe zusammen mit meinen unterdessen zurückgetretenen FraktionskollegInnen Andreas Wolf und Claudia Gambacciani eine Motion für ein Jugendparlament eingereicht. Der Rat hat sie überwiesen, unterdessen ist dieses Parlament gesetzlich verankert und hat getagt. Es hat ein paar wirklich gute Petitionen gemacht, und ich war beeindruckt, wie die jungen angehenden Politikerinnen und Politiker die Anliegen in der Kommission vertreten haben. Das hat mir sehr imponiert. Ebenfalls als positiv erlebt habe ich die Zusammenarbeit im Rat: Obwohl während der Debatten im Rathaus oft die Fetzen fliegen, kann man in den Kommissionen quer über die Fraktionen hinweg sehr gut mitei-nander arbeiten.
K. S.: Ich erinnere mich einerseits gern an die bereits erwähnten messbaren Erfolge bei Abstimmungen – und natürlich an die letzten Wahlen, die mir als Highlight in Erinnerung bleiben werden und mir obendrein einen guten Abgang bescherten. Anderseits habe ich, wie Regula im Kantonsrat, auch auf dem ‹Seki› eine gute Zusammenarbeit erlebt: Ich war bei den Grünen fast die Einzige, die bezahlte Arbeit machte, aber es standen immer zahlreiche Freiwillige parat, sich für die Partei einzusetzen. Die Zusammenarbeit mit so vielen guten Leuten, die überall anpacken – und das in einer doch eher kleinen Partei –, diese Grundstimmung, diesen Groove werde ich in bester Erinnerung behalten.
Und was ist nicht nach Wunsch gelaufen?
R. K.: Was mich schockiert hat, waren verbale Entgleisungen im Plenum, die unter der Gürtellinie waren. Die hätte ich mir lieber nicht angehört. Die schlimmsten Debatten waren die zum ‹Feindbild Velofahrer›: Ich als Velofahrerin bin demnach ein Mensch niedererer Klasse. Da kamen teils üble Voten, Bemerkungen à la «man könnte euch auch überfahren», einfach unterste Schublade. Das war der absolute Tiefpunkt meiner acht Jahre im Rat.
K. S.: Und es geht nicht einfach ums Thema Velofahren – gewisse Äusserungen waren derart tief unter der Gürtellinie, die wären bei jedem Thema total daneben gewesen.
Wegen VelofahrerInnen dürften Sie auf dem Sekretariat weniger Probleme gehabt haben…
K. S.: Meine schlechtesten Erfahrungen sammelte ich nach dem Rechtsrutsch auf nationaler Ebene, da gab es einzelne ausländer- und asylfeindliche Rückmeldungen von WutbürgerInnen aus der untersten Schublade. Auch medial kippte die politische Stimmung, und das bekamen wir auf dem Sekretariat mit; einmal gab es sogar einen Farbanschlag. Hier in der Stadt bleiben mir jene JournalistInnen in schlechter Erinnerung, die über Geschäfte unserer früheren Stadträtinnen Monika Stocker und Ruth Genner nicht sachlich berichteten, sondern jeweils direkt auf die Frau zielten. Diese personalisierten Angriffe haben mich schon beschäftigt. Aber es war auch Ausdruck der damaligen politischen Stimmung – der Umgang wurde ‹persönlicher› und gehässiger.
Was packen Sie als nächstes an? Wieder ein politisches Amt?
R. K.: Ich bin sehr gerne Stadträtin in Kloten, ich habe ein gutes Ressort und bin mit viel Engagement an der Arbeit. Hier geht es um das, was in meiner unmittelbaren Nähe passiert, hier kann ich etwas bewirken. Das Amt entspricht ungefähr einer 50-Prozent-Stelle, und ich suche noch einen Teilzeitjob.
Auf welchem Gebiet?
R. K.: Ich bin beruflich gewissermassen eine Sans-Papiers: Ich habe Chemielaborantin gelernt und eine Handelsschule gemacht, früher auf dem Sekretariat der Grünen Kanton Zürich die Buchhaltung gemacht und die Rechnung geführt, ich habe viel learnig-by-doing-Erfahrung, auch viel Lebenserfahrung, aber ich habe kein Papier, das mir dies bescheinigt. Es kommen Stellen in der Administration infrage, Zahlungen, Buchhaltung etc. – ich bin selber gespannt, was sich ergibt.
K. S.: Auch ich suche eine Stelle und wünsche mir etwas ähnlich Spannendes wie der Job bei den Grünen. Ich habe Umweltnaturwissenschaften studiert und war früher Kinderpflegerin, doch ich habe nicht auf dem Gelernten gearbeitet, sondern immer auf Geschäftsstellen. Wobei: Auf dem Sekretariat der Grünen gab es natürlich Berührungspunkte mit den Umweltnaturwissenschaften. Die Geschäftsführung in einer NGO oder eine Stelle, bei der die politische Erfahrung eine Rolle spielt, wären ideal. Kantonsrätin möchte ich gern bleiben, und der Grünen Partei bleibe ich natürlich auch treu und trete bei den Wahlen im nächsten Jahr wieder an. Ich wechsle bloss insofern die Seiten, als dass ich nun auch zu jenen gehöre, die sich vom Seki aufbieten lassen, um Freiwilligenarbeit zu leisten… (lacht).
Zurück zur Politik der letzten Jahre: Wie haben sich die Grünen entwickelt, wie stehen sie heute da?
R. K.: Im Kantonsrat war es sehr schwierig, unsere Ideen durchzubringen. Konsterniert nehme ich zur Kenntnis, wie in den letzten Jahren teils bewusst übergeordnetes Recht verletzt wurde – und wie die Mehrheit die entsprechenden Vorstösse dennoch durchbrachte. Auch die Beratungsresistenz einiger Leute, die sich um fundierte juristische Analysen foutieren, gibt mir sehr zu denken. Da braucht man einen breiten Rücken, und man muss viel einstecken. Aber nichtsdestotrotz ist die Gegenstimme nötig, die immer wieder sagt, so geht es nicht. Es lohnt sich, zu kämpfen, trotz allem.
K. S.: In den letzten zwölf Jahren konnten sich die Grünen als breite Partei bekannt machen. Wir werden nicht mehr nur als Umweltpartei wahrgenommen, sondern es wird uns mittlerweile eine viel breitere Kompetenz zugeschrieben. Nehmen wir Finanzvorsteher Daniel Leupi oder die neue Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart, der man dieses Amt absolut zutraut und wo selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass sie es gut macht. Wir werden nicht mehr als Nischenpartei betrachtet, sondern als ernstzunehmende Stimme, als links-grüne Partei, die sich eben auch um linke Themen kümmert.
R. K.: Der Prozess wiederspiegelt sich auch darin, dass wir vom Image des ‹Handglismete› weggekommen sind, und dazu hat das professionelle Sekretariat viel beigetragen. Ich bin seit über 25 Jahren Mitglied der Grünen, und heute ist es wirklich bestens geführt – vielen Dank, Kathy!
Nächstes Jahr ist Wahljahr: Wo geht die Reise hin?
K. S.: Der Einbruch war letztes Mal gross – ich rechne fest damit, dass wir das wieder gutmachen werden. Mindestens den Stand von vor den letzten Wahlen dürften wir erreichen, also plus einen Sitz im Nationalrat und im Kantonsrat wieder VertreterInnen aus allen Bezirken.
R. K.: Damit hätten wir zwar noch keinen Linksrutsch, aber immerhin die Kräfte wieder besser ausgerichtet. Es ist ja immer eine Wellenbewegung, mal schwingen die einen obenaus, mal die andern. Je länger man dabei ist, umso gelassener nimmt man einen Einbruch, denn man weiss ja, dass es wieder aufwärts geht.
K. S.: Die SP ist auch sehr gut unterwegs; es gibt sicher eine Stärkung der Linken. Das Jammertal nach den letzten Wahlen ist auf jeden Fall durchschritten. Kurz zusammengefasst: Wir blicken durchaus zuversichtlich in die Zukunft.