Es ist Zeit, die Waschküchen zu resozialisieren

Die Bibel sagts: Nach dem verhängnisvollen Verzehr des Apfels vom Baum der Erkenntnis wurden Adam und Eva gewahr, dass sie nackt waren. Schluss mit Paradies, von nun an mussten sie ihr Leben mit Mühsal bewältigen; unter anderem gehört dazu, dass wir Menschen seither zum Kleiderwaschen verurteilt sind. Waschen steht im Laufe der Menschheitsgeschichte in vielfältigen Wechsel­wirkungen mit technischem Können, mit kulturellen und politischen Konzepten,mit sozialen Verhaltensweisen, kurz: Waschen ist eine prägende Kulturtechnik. Dass sich die Waschküche als «Kulturort» zum Nachdenken eignet, hat das «Duo Wöschchuchi» mit einem Spektakel in einer Genossenschafts-Waschküche bewiesen. 

Die beiden Performerinnen vom Maxim-Theater, Salla Ruppa und Susan Wohlgemuth, haben in die Waschküche im Keller einer der neueren Genossenschaften eingeladen, da, wo das landesüblich harte Regime von Waschtagen und Putzreglement als spiessig über Bord geworfen wurde – mit der Folge, dass hier seit Jahren die Waschküchen-Anarchie gelebt wird und es dann und wann zu emotionalen Eruptionen kommt.  Im Voraus haben sie in dieser Waschküche einen Beichtstuhl aufgestellt, wer will, konnte hier selbstkritisch über seine Missetaten mit Waschpulverklau, entwendeten Ikea-Tragtaschen, liegengelassenen Wäschestücken beichten oder seine Klagen über verschwundene Socken und Leintücher, verdreckte Waschmaschinen, den überfüllten Abfallkübel einbringen. Nun haben die Maxim-Frauen die auf Band gespeicherten Voten ausgewertet. 25 Hausbewohner:innen sind gekommen, sitzen nun brav auf Bänken vor den beiden Waschmaschinen und werden mit dem Song «Roti Hösli im Garte» ins Thema eingestimmt. Es folgt ein Rap, eine Hymne ans genossenschaftliche Leben, wenn da nicht die dunklen Geschichten der Waschküche rumoren würden: «S’isch ändlich Gnosseschaft, d’Art wie me läbt i de ganze Stadt. S’einzig Risiko isch, dass irgendwo inre Gnosseschaft Wöschchuchi­striit entstaht…»

«S’isch ändlich Gnosseschaft, d’Art wie me läbt i de ganze Stadt. S’einzig Risiko isch, dass irgendwo inre Gnosseschaft Wöschchuchi­striit entstaht…»

Waschküchengeschichten

Und dann kommen sie, die bisher für sich behaltenen, den emotionalen Kochtopf aufheizenden Waschküchenklagen, so wie sie der Beichtstuhl aufgenommen hat: «Bei einem zufälligen Blick in den Wandschrank der Nachbarin habe ich mein seit Monaten vermisstes Leintuch entdeckt.» Mit bebender Stimme: «Gahts no, alles voll, wo soll ich meine Wäsche aufhängen? Hängt endlich eure trockenen Klamotten ab.» Oder kurz und bündig: «Unsere Waschmaschine stinkt!» Eine pikante Beichte: «Ich habe meinen Tangaslip auf der Wäscheleine platziert, in der Hoffnung, das Interesse meines Nachbarn zu wecken.» Oder, ganz harmlos: «Habe ein Becherli Waschpulver aus fremdem Pack benutzt.» 

Hugo Loetscher edelt in seiner Novelle «Der Waschküchenschlüssel» die hiesige Waschküchenordnung zum helvetischen Kulturgut. Eine Teilnehmerin erzählt am offenen Mikrofon (es ist der Waschtrog-Stöpsel) von einem Haus, in dem eine junge Mutter den Waschtag einer soeben verstorbenen Nachbarin übernehmen wollte; eine betagte Mitbewohnerin lehnte dies mit dem schlagenden Argument ab: «Die Verstorbene hat mir den Waschtag auf ihrem Sterbebett versprochen.» Umgekehrt wird da aber auch an einen Genossenschaftsgründer erinnert, der an seinem Waschpulverkarton angeschrieben hat: «Mundraub erlaubt», Gnade vor Recht, auch das ist möglich im Waschküchendiskurs.

Beim anschliessenden, von allen zusammengetragenen geschichtenträchtigen Apéro muss ich Loetscher recht geben: Vielleicht sollte die Schweiz Waschküchenleben als Unesco-Kulturerbe anmelden. 

Waschen, eine besondere Geschichte der Menschheit

Von Adam und Eva war schon die Rede, die ältesten historischen Wasch-Berichte gehen auf die Römer zurück. Dass es über eine scheinbar so banale Tätigkeit wie Waschen überhaupt schriftliche Überlieferungen gibt, belegt wieder einmal  die menschliche Krämerseele: Das römische Dokument berichtet nämlich nur darum über das Waschen, weil es im ersten Jahrhundert als einträgliches Geschäft betrieben wurde, von Männern: Als Tuchwalker, lateinisch Fullones, stampften sie mit nackten Füssen in Waschzubern die eingeweichten Kleider ihrer Kunden, spülten sie danach mit klarem Wasser und strampelten sie schliesslich geschmeidig. Ihr Waschmittel: gegärter Urin. Wie Fresken aus Pompeji zeigen, wurde der Urin mit grossen Amphoren an allen Strassenecken direkt aus den Blasen des Publikums gesammelt. Die Fullones organisierten eine eigentliche Latrinenindustrie, ein einträgliches Geschäft, das mit Steuern belegt wurde. Von da stammt das Sprichwort «pecunia non olet» (Geld stinkt nicht), wie Kaiser Vespasian die Urinsteuer verteidigte. Das waren noch Zeiten: Mit einer stinkenden Waschmaschine lässt sich heute kein Geld  verdienen.

Wann die Männerhand das lukrative Waschgeschäft aus der Hand gegeben und es den Frauen überlassen hat, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Die Historikerin Elisabeth Joris hält im Historischen Lexikon der Schweiz fest: «Waschen war bereits im Mittelalter Frauenarbeit.» Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein stellte Waschen die kraft- und zeitaufwendigste Hausarbeit dar. Nur die betuchte Oberschicht konnte es sich leisten, dafür bezahlte Wäscherinnen zu beauftragen. In der Unter- und Mittelschicht sind – wohl bis heute – meistens die Ehefrauen und Mütter zuständig, weiterhin unentgeltlich. Aber Kraft- und Zeitaufwand sind extrem geschwunden. 

Die «Grosse Wäsche» fand bis zum Aufkommen industriell produzierter Waschseifen und später Waschmaschinen nur wenige Male im Jahr statt. In bäuerlichen Haushalten bedeuteten die Waschtage Ausnahmezustände, die Grosse Wäsche dauerte oft bis zu einer Woche. Im Vo­raus musste die Lauge mit Buchenasche und Wermutsstauden oder Lavendel vorbereitet werden. Wenn es dann mit Waschen losging, kamen Nachbarinnen und Verwandte, um die Hausfrau und ihre Töchter und Mägde zu unterstützen. Zuerst mussten die Wäschestücke in Holzzuber eingelegt, dann mit heissem Wasser aus den holzbefeuerten Waschkesseln überbrüht werden, bevor das anstrengende Schlagen, Bürsten, Reiben, Spülen, Bleuen, Bleichen, Stärken, Wringen begann. Danach musste die nasse schwere Wäsche in Zainen auf die Lauben, in den Estrich oder vors Haus zum Aufhängen getragen werden. Nach dem Abhängen folgte das Strecken, Mangen, Bügeln, Ausbessern und schliesslich das Versorgen in Kästen und Truhen. Das um 1850 erfundene Waschbrett mit seinen Rillen erleichterte das Reiben und Bürsten, nach 1900 ersetzte die Kernseife die selbst angesetzte Lauge.

Auch im städtischen Haushalt stellte die Monatswäsche einiges auf den Kopf, noch bis in die 1950-er Jahre. Als Kind freute ich mich immer auf den Wähen-Zmittag vom Beck, wenn die Mutter schon vom frühen Morgen an absorbiert vom Waschen keine Zeit für die Küche fand. Im 19. Jahrhundert gab es in den Mehrfamilienhäusern kaum Waschküchen. Das öffentliche Waschen wurde durch strenge Vorgaben geregelt. Wie Joris berichtet, wurde aus Angst vor Verschmutzung und nicht selten aus magischen Motiven das Waschen am Brunnen nur eingeschränkt erlaubt. Das Waschen von Windeln oder blutigen Tüchern, die von Menstruation und Wochenbett herrührten, war untersagt. Die Frauen wurden zum Waschen an den Bach, an Flüsse und Seen verwiesen.

Das Waschhaus als sozialer Ort

Um dem öffentlichen Waschen mit seinen problematischen Auswirkungen auf die Wasserqualität «eine Ordnung» zu geben, haben seit dem 17. Jahrhundert viele Gemeinden kommunale Waschplätze und Waschhäuser eingerichtet. Im Ballenbergmuseum kann das Waschhaus von Bodio besichtigt werden. In diesem «lavatoi», das sich etwas ausserhalb des Dorfes befand, sind rund um ein wannenförmiges Becken schräg abfallende Granitplatten angebracht, dahinter knieten die Frauen und schlugen die Wäsche auf die Platten. In Schaffhausen und Zürich, so wie in den meisten grösseren an einem Fluss gelegenen Städten der Schweiz, stellten die Behörden Waschschiffe zur Verfügung. Sie ermöglichten, die Wäsche direkt im weichen Flusswasser zu waschen und zu spülen, ein Dach schützte die Wäscherinnen vor Regen, einige dieser Schiffe boten sogar ein Oberdeck, auf dem die Wäsche zum Trocknen aufgehängt werden konnte. 

Das Schaffhauser Waschschiff bei der heute noch existierenden Rhybadi hat lange überlebt. Ich kann mich erinnern, dass meine Grossmuter dort zwar nicht mehr zum Waschen hinging, aber die hohe Qualität des Rheinwassers lobte: Nie werde die Wäsche weicher als wenn sie im Waschschiff gespült werde. Als bereits viele Haushalte über Waschmaschinen verfügten, schleppten überzeugte Hausfrauen noch immer ihre vorgewaschene Wäsche aufs Schiff, um sie hier weichzuspülen. Wie die ‹Schaffhauser Nachrichten› berichten – und meine Grossmutter bestätigte –, lag die Attraktion des Waschschiffs aber mindestens so sehr daran, dass man sich hier unter Frauen treffen konnte zum austauschen, «klatschen», «dreckige Wäsche waschen», Ausdrücke, die bis heute auf den weitverbreiteten Treffpunktcharakter eines gemeinsamen Waschplatzes verweisen. Das letzte Schaffhauser Waschschiff blieb bis zum Bau einer neuen Ufermauer im Jahre 1962 in Betrieb, seine Aufhebung wurde von den letzten Wäscherinnen schlecht aufgenommen.

Auf dem Weg zum «Vollautomaten»

Der Kunsthistoriker, Ingenieur und Mitbegründer des Internationalen Kongresses für Neues Bauen, Siegfried Giedion (1888-1968), geht in seinem Standardwerk «Die Herrschaft der Mechanisierung» ausführlich auf die Entwicklung des «Komforts im Haushalt» ein. Den Lead führen die Amerikaner. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wird hier an Ideen getüftelt, wie Waschen, Bügeln, Geschirr- oder Möbelreinigung mechanisiert werden könnten. Waschen stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Die ersten Modelle versuchten, die Handbewegungen der Waschfrau, wenn sie die Wäsche am Waschbrett reibt, durch Mechanik zu ersetzen, anfänglich durch ein von Hand angetriebenes Kurbelwerk. Später wird mit Dampf operiert, sowohl zum Antrieb wie als Reinigungsmittel, das Fasern öffnet und so die Schmutzentfernung durch nachfliessendes Wasser verbessert. Diese frühen Waschmaschinen sind grosse Kon­struktionen, die nur in industriellen Betrieben eingesetzt werden können. Um 1870 gibt es bereits 2000 US-amerikanische Patente für Waschmaschinen.

Die Pfarrerstochter und Erzieherin Catherine Beecher (1800-1878) veröffentlicht 1869 das Handbuch «The American Women’s Home». Sie schlägt öffentliche mechanisierte Wäschereien (neighbourhood laundries) vor. «Wer immer solche Wäschereien einrichtet, wird einen grossen Beitrag zur Lösung des schwierigsten Problems der amerikanischen Hausfrau leisten», schreibt sie. Obschon sie 1830 die erste politische Kampagne von Frauen in den USA anführt, versteht sie sich nicht als «Suffragist»: Frauen sollen von Hausarbeit entlastet werden, nicht um Politik zu machen, sondern um sich als Lehrerinnen der Erziehung der amerikanischen Jugend zu widmen.  Sie propagiert Nachbarschaftswäschereien, um Frauen nicht nur von schwerer Hausarbeit zu entlasten, sondern auch um Orte zu schaffen, wo sie sich  zusammen für ihre gesellschaftliche Rolle als Erzieherinnen vorbereiten können.

Der Wasch-Vollautomat: Segen oder Fluch?

Dank Entwicklung des Elektromotors gelingt es 1939, die erste vollautomatische Waschmaschine auf den Markt zu bringen. Nach 1950 beginnt der «Vollautomat» seinen Siegeszug auch in den schweizerischen Haushalten. Ähnlich wie knapp hundert Jahre vor ihr Beecher richtet 1952 Gertrud Fricker, die Schwiegertochter der religiösen Sozialistin Clara Ragaz, im Waschhaus des Hauses Gartenhof im Zürcher Arbeiterquartier eine Waschmaschine ein und lädt Nachbarsfrauen ein zum gemeinsamen Waschen – als Beitrag zur «Arbeiterbildung». Die Befreiung von harter Hausarbeit dank Technik soll Zeit und Kraft freisetzen zum Aufbau einer neuen «Gemeinschaft von Mensch zu Mensch».

Nach und nach werden in den Waschküchen der Mehrfamilienhäuser Waschmaschinen montiert. Waschen ist nun für alle auf Knopfdruck möglich, mit Bezug auf die eingangs erwähnte Sündenfallgeschichte könnte man das als eine Erlösung vom Fluch der harten Arbeit bezeichnen, als eine Rückkehr ins Paradies. Wie die Geschichten aus dem Beichtstuhl – und aus der Erfahrung vieler Mehrfamilienhäuser – bezeugen, haben sich die Waschküchen vielerorts aber zu Kampfzonen um Ordnung und Reinlichkeit entwickelt, zu hartnäckigen Verfeindungen unter Nachbarn, also eher zur Hölle als zum Paradies. Hausverwaltungen und Immobilienfirmen, die Eigentumswohnungen verkaufen, sind deshalb seit der Errungenschaft des Tumblers auf die Privatisierung der Waschküche umgestiegen: In jeder Wohnung ein Waschturm. 

Allerdings: Die Lösung mit dem privaten Waschturm hat auch ihre Tücken. Um in der Geschichte vom Sündenfall zu bleiben: Wie die Bibel erzählt, wurden Adam und Eva zur Strafe für den Apfelbiss sterblich, Eva wurde zum «Gebären unter Schmerzen» verknurrt, positiv gesagt: Von da an haben sich die Menschen vermehrt, aus dem einsamen ewiglebenden Paar im Paradies ist die grosse Menschengemeinschaft gewachsen. Der vermeintlich paradiesische private Wäscheturm hat das Potenzial zur Hölle, zur Hölle der Einsamkeit.

Resozialisiert die Waschküche!

Unter Resozialisierung wird in der Sozialarbeit die «Wiedereingliederung in die soziale Umwelt und Gesellschaft» verstanden. Höchste Zeit, dafür passende Strukturen zu schaffen. Das Wöschchuchi-Duo hat es gezeigt: Die Waschküche kann ein sozialer Ort sein, so wie sich das Aktivistinnen seit über hundert Jahren vorgestellt haben. Und wie neue Genossenschaftsbauten das nun auch baulich immer mehr umsetzen: In ihren Neubauten liegen die Waschküchen nicht mehr im Keller. Sie sind als wohnliche Treffpunkte ausgestattet, erweitert mit Bibliothek, mit Medienraum, mit Kaffeemaschine, als Orte, wo Menschen zusammenkommen, als Ort, der uns im kleinen Alltag den Dialog über einfache Dinge lehrt, der – wie Gottfried Keller meint – «leuchten soll im Vater-/Mutterland …» Die  Resozialisierung der Waschküche hat begonnen.

Dieser Artikel erscheint demnächst im ‹A-Bulletin›

Salla Ruppa & Susan Wohlgemuth 

sind als freischaffende Performerinnen in verschiedenen künstlerischen Konstellationen tätig. Seit über 15 Jahren sind sie unter anderem mit dem Maxim Theater Zürich unterwegs.
Salla Ruppa hat das Projekt «Waschküchen mal anders – sozialutopische Überlegungen zu Gemeinschaftswaschküchen» als Masterarbeit an der ZhdK im Praxisfeld Theaterpädagogik durchgeführt.
Das Waschchuchi-Duo mit Beichtstuhl kann engagiert werden. Empfehlenswert für Genossenschaft und andere aktive Hausgemeinschaften: sallaruppa@hotmail.com