Wechsel im Präsidium beim Verbund Lebensraum Zürich (VLZ): Umweltwissenschaftlerin Monica Sanesi löst Ueli Nagel ab. (Bild: Lorenz Steinmann)

«Es ist noch nicht so lange her, dass wir das Wort ‹Biodiversität› erklären mussten»

An der Spitze des Verbunds Lebensraum Zürich hat kürzlich Monica Sanesi den langjährigen Präsidenten Ueli Nagel abgelöst. Was dieser erreicht und die neue Präsidentin sich vorgenommen hat, erklären die beiden im Gespräch mit Nicole Soland.

Vorspann: Der Verbund Lebensraum Zürich VLZ ist ein Dachverband aller Vereine, Institutionen, Genossenschaften etc., die in der Stadt Zürich entweder Grünräume besitzen und pflegen oder sich für Grünräume einsetzen (vgl. P.S. vom 18.5.2018). Das heisst konkret, dass in diesem Verbund sowohl klassische Naturschutzorganisationen wie BirdLife Zürich oder der WWF Zürich, aber auch Familiengartenvereine, der traditionsreiche Verschönerungsverein, Vereine wie umverkehR oder Züritrails und der Hauseigentümerverband Zürich Mitglied sind.

Am Ursprung dieses Dachverbands steht allerdings kein einzelner Verein, sondern die städtische Dienstabteilung Grün Stadt Zürich (GSZ): Sie gründete den VLZ im Jahr 2002, wobei die Initiative vom damaligen Direktor Ernst Tschannen ausging. Der Grund dafür war praktischer Natur: Tschannen wollte die verschiedenen Vereine, die Grün Stadt Zürich in irgendeiner Form unterstützte, an einem Tisch haben. Nach den ersten zehn Jahren allerdings fiel das entsprechende Budget der Pauschalkürzung des Stadtbudgets zum Opfer.

Der promovierte Biologe Ueli Nagel war bis 2012 für die Grünen im Zürcher Gemeinderat und kam im selben Jahr neu in den Vorstand des VLZ. 2015 wurde er dessen Präsident. Ebenfalls 2015 wurde die Umweltwissenschaftlerin Monica Sanesi Mitglied des Vorstands. Sie sitzt seit 2019 für die Grünliberalen im Zürcher Kantonsrat.

Wie hängen die Pauschalkürzung beim VLZ von 2012 und Ihr Engagement als Vorstandsmitglied und Präsident zusammen?

Ueli Nagel: Weil der Kürzung damals die vierteljährliche Publikation des Verbunds, die ‹Grünzeit›, ebenso zum Opfer fiel wie die Grossveranstaltung, welche VLZ und GSZ jährlich unter dem Titel ‹Grünforum› organisierten, stellte sich die Frage, wofür denn die Mitglieder des Verbunds überhaupt noch ihre Beträge bezahlten. Als ich 2012 im Gemeinderat aufhörte, war ich bereits seit zwei Jahren pensioniert und hatte Zeit für etwas Neues. Zusammen mit dem damaligen VLZ-Präsidenten Hans-Peter Stutz machte ich mir, damals noch als Vizepräsident, Gedanken, wie es weitergehen sollte. Wir organisierten einen Zukunfts-Workshop der Mitglieder sowie Veranstaltungen mit den Quartiervereinen in Oerlikon und im Seefeld. Eines Tages hatte ich eine Idee, oder besser gesagt, ich liess mich inspirieren.

Von was bzw. wem?

U.N.: Vom «Langen Tag der Stadtnatur» in Berlin. Mir schwebte eine ähnliche Veranstaltung hier in Zürich vor, an der sich alle Vereine und Institutionen, die beim Verbund Mitglied sind, präsentieren könnten und mit der sich gleichzeitig die Zürcher:innen ansprechen und für die Stadtnatur sensibilisieren lassen würden. Bis das erste Festival «Abenteuer StadtNatur» auf die Beine gestellt war, – das neunte dauert dieses Jahr vom 21. – 25. Mai 2025 – verging aber noch einige Zeit, und es gab viel zu tun.

Wie haben Sie die Anfänge des Festivals erlebt?

Monica Sanesi: Ich war beim VLZ ebenfalls in der Spurgruppe, die sich nach der Pauschalkürzung Gedanken zur Zukunft des Verbunds machte. Wir haben etwa ein halbes Jahr lang alle möglichen Varianten durchdiskutiert. Dabei erfuhren wir auch, dass auf gesamtschweizerischer Ebene ein Festival angedacht war, das «Festival der Natur» zum internationalen Tag der Biodiversität. Es findet dieses Jahr zum neunten Mal statt. Nebst dem Vorbild von Berlin, das Ueli erwähnt hat, gab uns der internationale Tag der Biodiversität den nötigen Schub, und so ging 2016 das erste «Abenteuer StadtNatur» über die Bühne. Ich bin Umweltnaturwissenschaftlerin und habe damals beim WWF gearbeitet. Auf meinem Tisch landeten immer wieder Anfragen und Einladungen, aber eine Plattform für alle angeschlossenen Vereine, wie sie das «AbenteuerStadtNatur» bietet? Das gab es noch nicht. Mich hat das überzeugt, es hat einfach gepasst. Zudem konnten wir das ‹Grünforum› in dieses neue Festival integrieren.

Wie schwierig war es angesichts des breiten Spektrums, in dem die Mitglieder des Verbunds angesiedelt sind, sich auf das neue Format zu einigen?

U.N.: Früher war der Vorstand tatsächlich eher politisch ausgerichtet und weniger auf die Vermittlung an ein möglichst breites Publikum. Bei der Gründung wurde darauf geachtet, dass aus allen im Gemeinderat vertretenen Fraktionen Politiker:innen dabei waren. Heute ist der Vorstand auch sehr fachlich aufgestellt. Der VLZ hatte sich mit der ‹Grünzeit› und dem ‹Grünforum› schon vorher auch an ein breiteres Publikum gewandt. Neu war somit nicht die Interaktion mit den Menschen in Zürich an sich, sondern die Form, also der Grossanlass «Abenteuer StadtNatur».

M.S.: Um diesen Grossanlass durchzuführen, erhalten wir seit diesem Jahr auch mehr Geld: Früher lag der Beitrag der Stadt bei jährlich 30 000 Franken. Für die Jahre 2025–2029 hat der Stadtrat dem VLZ jährlich 80 000 Franken (davon 5000 als Arbeitszeit von GSZ-Mitarbeitenden) für die Durchführung des «Abenteuers StadtNatur» bewilligt.

Soll der Anlass damit grösser werden?

U.N.: Ja und nein. Es geht nicht darum, das Festival zu verlängern oder um mehr Events, sondern um eine breitere Ausstrahlung. Das Festival soll mindestens so breit abgestützt bleiben, wie es jetzt ist, was die Veranstalter:innen der einzelnen Programmblöcke betrifft. Sogar Firmen machen mit, sie dürfen einfach nicht kommerziell tätig sein: Einen Workshop anzubieten geht gut, etwas zu verkaufen hingegen wäre nicht möglich.

M.S.: Die Firmen haben trotzdem etwas davon: In den ersten Jahren hat beispielsweise das Gartencenter Hauenstein einen Workshop angeboten. Wer daran teilnahm, erinnert sich eher an diese Firma, wenn er oder sie wieder mal etwas für den Garten braucht.

U.N.: Für den VLZ war es immer wichtig, breit aufgestellt zu sein, nicht nur politisch, sondern auch gegenüber der Wirtschaft. Die Bildung und der Lerneffekt standen und stehen dabei im Mittelpunkt.

M.S.: Und im Vordergrund steht nach wie vor die die Biodiversität in der Stadt.

Was plant der Verbund zurzeit, also abgesehen vom Festival?

U.N.: Unsere Überlegungen gehen in die Richtung, die Abläufe zu professionalisieren und eine Geschäftsstelle zu schaffen. Das Geld der Stadt ist ein Leistungsauftrag für das Festival, und seit sie den Betrag aufgestockt hat, wird von den Mitgliederbeiträgen nichts mehr fürs Festival abgezwackt. Wir können das Geld der Mitglieder also freier verwenden.

M.S.: Zurzeit planen wir, wie wir in Zukunft das «Abenteuer StadtNatur» sichtbarer machen können.  Wir könnten beispielsweise beim nächsten Mal unsere Präsenz erhöhen, indem wir ein Festivalzelt als Treffpunkt aufstellen. So könnten wir Passant:innen erreichen und für unser Thema begeistern, die gar nicht wussten, was das «Abenteuer StadtNatur» ist und dass es gerade stattfindet. Auch die Mitglieder könnten profitieren, indem sie einen Ort mehr hätten, an dem sie sich treffen und noch besser vernetzen könnten.

U.N.: Eine weitere Idee lautet, das ‹Grünforum› wieder aus dem Festival herauszulösen. Es hat zuvor als Fokusthema ein paar Jahre lang funktioniert, die Veranstaltung fand stets im Kulturpark der Hamasil-Stiftung statt. Mit der Verschiebung hätten wir einen zusätzlichen Fixpunkt in unserem Jahresablauf.

M.S.: Seit 2021 trägt der VLZ auch die «Lunch­talks Zukunft Stadtnatur» mit, die Flurina Gradin als Zoom-Veranstaltung organisiert. Dort stellen Aktueur:innen aus Wissenschaft und Praxis beispielsweise aktuelle Projekte zur Siedlungsökologie und zur Biodiversitätsförderung im Zeichen des Klimawandels vor. Diese Online-Veranstaltungen finden weiterhin statt, jeweils von November bis März 14-täglich donnerstags von 12-13 Uhr.

Wie geht es weiter?

U.N.: Einige unserer Themen sind heute allgegenwärtig, allen voran die Biodiversität: Es ist noch nicht so lange her, dass wir dieses Wort erklären mussten. Wahrscheinlich liegt es sogar ein bisschen an uns, dass es heute verstanden wird …

M.S.: …‹dranbleiben› ist sowieso unser Motto: Manchmal rennt man gefühlt jahrelang gegen die Wand, und plötzlich tut sich eine Tür auf.

U.N.: Das Bewusstsein dafür, wie wichtig die Biodiversität auch im Siedlungsraum ist, hat zugenommen, und mit unserem Festival erzielt die Stadt eine breitere Wirkung, als es die Stadtverwaltung allein könnte. Diese hat sich zudem gewandelt: Vor Jahren biss Pro Natura mit der Forderung auf Granit, doch unter den Bäumen wachsen zu lassen, was dort wachsen wollte. Unkraut?, geht gar nicht!, lautete die Antwort der Verwaltung.

M.S.: Unterdessen tragen die Stadtgrün-Beratungen, die Grün Stadt Zürich anbietet, dazu bei, dass viele Gärten in der Stadt ökologischer gestaltet sind als früher. Grün Stadt Zürich holt vermehrt Menschen ab, die nicht besonders ‹grün› sind, aber sich gern von neuen Ideen inspirieren lassen. Sie lernen, dass der Rasen nicht jeden Samstag gemäht werden muss, und vielleicht ersetzen sie ihn irgendwann gar durch eine Naturwiese und lernen am Stadtnatur-Festival mit der Sense zu mähen.

Zum Abschluss zurück zum Festival: Was ist Ihr persönliches Highlight?

U.N.: Die Pitch-Night, die der VLZ auch dieses Jahr mit Tsüri.ch organisiert. Mir gefällt daran, dass dieses Format andere Menschen anzieht als jene, die uns schon kennen. Gerade jüngere Menschen bekommen so einen Einblick in unsere Arbeit und besuchen danach vielleicht die eine oder andere Veranstaltung.

M.S.: Mein Highlight ist das aktuelle Festival-Thema «Nacht»: Nachtaktive Tiere haben etwas Mysteriöses an sich, seien es Fledermäuse, Igel, Füchse oder Glühwürmli… wobei letztere kaum  zu sehen sein werden, sie sind erst ab Mitte Juni wieder zu beobachten.

Weitere Infos und Festivalprogramm auf abenteuer-stadtnatur.ch und auf vlzh.ch