«Es ist nicht unser Grundrecht, auf Kosten anderer zu konsumieren»

Die Gastro-Branche in der Schweiz hat ein Problem: Sie ist nicht nachhaltig. Viele Gastronom:innen wissen das. Doch oft fehlen ihnen konkrete Ideen, wie sie ökologischer und sozialer wirtschaften können. Das Netzwerk «GastroFutura» aus Zürich will diese Wissenslücken schliessen. Warum in kleinen Menükarten grosse Chancen liegen, erklären Koch Andi Handke und Projektleiterin Muriel Fischer im Gespräch mit Isabel Brun.

Als ich die Wörter «Gastro» und «Futura» bei Google eingab, landete ich auf einer Webseite, die Küchengeräte vertreibt. Absicht oder Zufall?

Andi Handke: Grosser Zufall. Patrick Honauer, Mitinitiant und guter Freund, mit dem ich das Projekt vor drei Jahren gestartet habe, hat die Domain vor vielen Jahren mal reserviert. Im Unwissen darüber, dass es bereits eine Firma mit ähnlichem Namen gibt. Obwohl ich lange Zeit kein Fan von dem Namen war.

Warum?

A. H.: Er hat mich einfach nicht so gecatched. Mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt und finde ihn sehr passend.

Muriel Fischer: Ich fand ihn von Anfang an super. Der Name vereint alles, was wir mit dem Netzwerk erreichen wollen: Die Gastronomie in der Schweiz zukunftsfähiger machen.

Wie genau soll das funktionieren?

M. F.: Wir begleiten und beraten Gastronomiebetriebe dabei, nachhaltiger zu werden. Dafür ziehen wir auch externe Fachpersonen aus unserem Expert:innenpool bei. 

Zudem wird es die Möglichkeit geben, in sogenannten Erfa-Gruppen seine Erfahrungen zu spezifischen Fragen miteinander zu teilen. Auch werden wir sogenannte Open Kitchens organisieren, bei welchen man hinter die Kulissen eines anderen Gastronomiebetriebs schauen kann. Wie arbeitet ein Küchenteam mit flachen Hie­rarchien? Wie kann ich mit kleinen Tricks Food-Waste vermeiden? Oder wie schafft es ein kleines Restaurant, mit wenig Tischen finanziell zu überleben? 

Die Gastrobranche soll also nicht nur grüner werden?

M. F.: Der ökologische ist ein wichtiger, aber nur einer von drei Aspekten der Nachhaltigkeit, es braucht auch die soziale und ökonomische Ebene. Wir sind uns alle einig: Die Branche steckt in einer Krise. Neben Food-Waste und CO2-Abdruck ist auch der Fachkräftemangel ein grosses Thema. Mit «GastroFutura» wollen wir deshalb auch, dass sich die Arbeitsbedingungen verbessern. 

A. H.: Es soll sich ganzheitlich etwas verändern, schliesslich hängt alles irgendwie zusammen. Mitarbeiter:innen, die bei Entscheidungen miteinbezogen werden und sich mit dem Betrieb identifizieren, tragen beispielsweise mehr Sorge zu den Lebensmitteln und haben mehr Spass bei der Arbeit – was wiederum den Gästen zugutekommt. Immerhin konsumieren wir in der Schweiz 2,9 Millionen Mahlzeiten pro Tag auswärts. Eine immense Zahl, die verdeutlicht, wie gross der Einfluss der Gastrobranche tatsächlich ist. 

Viel Einfluss zu haben, bedeutet auch viel Verantwortung.

A. H.: Das stimmt. Ich glaube, viele Gastronom:innen sind sich dessen sehr wohl bewusst, aber ihnen fehlt eine Art Anleitung, was sie wie genau ändern müssten, um in eine Aufwärtsspirale zu gelangen. Wer viel Verantwortung hat, hat auch viel Potenzial. 

M. F.: Deshalb sind die anfangs erwähnten
Erfahrungsgruppen so wichtig. Dort sollen sich Restaurantbetreiber:innen über konkrete Fragen austauschen und von jenen Gastronom:innen lernen können, die diese Hürde bereits genommen haben. Das Wissen ist da, aber bisher konnten noch nicht alle davon profitieren.

Grosse Städte wie Zürich gelten diesbezüglich als relativ fortschrittlich. Aber wie wollen Sie eine Beiz auf dem Land erreichen?

M. F.: Das ist wohl eine der grössten Herausforderungen für uns. Der Schritt aus der Bubble ist enorm wichtig. Wir möchten unbedingt auch Betriebe erreichen, die sich noch gar nicht oder nur wenig mit nachhaltiger Gastronomie ausei­nandergesetzt haben. 

Liegt das Interesse auf beiden Seiten?

A. H.: Fakt ist: Man kann vor Tatsachen nicht einfach die Augen verschliessen. Die Gesellschaft wandelt sich. Zum einen wollen immer mehr Menschen wissen, woher ihr Essen kommt, zum anderen ist es auch auf dem Land nicht mehr zeitgemäss, keine fleischlose Alternative anzubieten. Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass auch Landgasthöfe und Bergrestaurants nachziehen werden.

Und wenn die Gäste das gar nicht wollen?

A. H.: Dieses Argument halte ich für überholt. Die Gastronomie kann mit ihrem Angebot auch mitsteuern, dass Menschen auch mal etwas Neues ausprobieren und statt einem Stück Fleisch ein pflanzenbasiertes Gericht wählen. Ich als Koch und Gastgeber sehe es als meine Aufgabe, meine Gäste auf solche Themen behutsam zu sensibilisieren. 

M. F.: Dabei spielt die Kommunikation eine entscheidende Rolle. Manchmal hilft es, sich nicht «all vegan» auf die Fahne zu schreiben. Wir würden uns wünschen, dass es einfach normal wird, auch fleischlose Menüs im Angebot zu haben. Auch geht es nicht darum, einem Restaurant zu verbieten, sein beliebtes Schnitzel von der Menükarte zu streichen. Aber man braucht nicht zwingend noch zehn weitere Fleischgerichte auf der Karte. 

«Weniger ist genug», lautet auch eines der Mottos von «GastroFutura». Das erinnert mich an meine Besuche in Grotti, die meist nur zwei, drei Menüs auf der Karte stehen haben.

M. F.: Ja, es wirkt wie ein Schritt zurück, aber in Wahrheit ist es der einzig richtige Weg nach vorne. Mehr Menüs auf der Karte bedeuten zum Beispiel auch mehr Zutaten, die ich lagern und schlimmstenfalls wegschmeissen muss. Das ist weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll. 

A. H.: Suffizienz ist das Wort der Stunde. Immerhin landen noch immer 40 Prozent unserer Lebensmittel im Abfall. Gleichzeitig stehen an der Langstrasse in Zürich Menschen in einer Schlange, um gratis an Nahrungsmittel zu kommen, weil sie zu wenig Geld haben. Das ist doch absurd. 

Aber die Logik unseres Systems.

A. H.: Eines, das eine grundlegende Veränderung benötigt. 

M. F.: Vive la Gastronomie! Unser Slogan kommt nicht von ungefähr. Die Branche braucht einen strukturellen Wandel, eine Revolution.

Das hört sich ganz schön politisch an.

A. H.: Essen ist hochpolitisch. In Zeiten, in denen über Ernährungsunsicherheit debattiert wird und die Klimakrise unser Wasser, unsere Böden und unsere Biodiversität bedroht, lässt sich das nicht leugnen. 

Müsste also die Politik stärker eingreifen?

A. H.: Ich bin dagegen, irgendwas verbieten zu lassen. Mir ist es vor allem wichtig, dass man sich mit den Konsequenzen seines eigenen Handelns auseinandersetzt.

Gleichzeitig habe ich es satt, dass es Menschen gibt, die anscheinend ohne schlechtes Gewissen ein deutsches Masthuhn essen. Es kann mir niemand sagen, dass sie nicht wissen würden, wie diese Tiere leiden müssen und was so eine Produktionsart mit sich zieht, bevor das Huhn auf dem Teller landet.

Vielleicht wissen sie es, aber die Pouletbrust eines Schweizer Freilandhuhns wäre ihnen zu teuer.

A. H.: Aber man könnte statt dreimal pro Woche Billigfleisch einmal pro Woche Fleisch aus der Region essen. Das wäre nicht nur besser für das Tier, sondern auch für die eigene Gesundheit und die Umwelt. Hinzu kommt, dass es nicht ein Grundrecht ist, auf Kosten anderer zu konsumieren – egal, ob bei einem Stück Fleisch oder einer Mango, die mit dem Flugzeug aus Südamerika eingeflogen wird. Das gilt sowohl für Konsumierende im Privaten als auch in der Gastronomie.

M. F.: Früher war Fleisch ein Luxusgut: Man hat alles vom Tier verwendet, nichts weggeworfen. Ein Tier von der Nase bis zum Schwanz zu verarbeiten, wird heute in Gastrobetrieben wieder häufiger praktiziert.

In Zürich werden solche Gastro-Erlebnisse oft teuer angepriesen. Führt ein solcher Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit in der Branche nicht auch dazu, dass am Schluss nur noch Menschen mit einem dicken Portemonnaie auswärts essen gehen können?

A. H.: Ist das nicht jetzt schon so? Aber ja, ich sehe Ihren Punkt. Tatsächlich ist es momentan – zumindest in der Stadt Zürich – so, dass pflanzenbasiertes Essen in Restaurants oft sehr teuer ist. Zu Unrecht, wie ich finde, denn eigentlich müssten fleischlose Menüs gar nicht immer so ‹fancy› und speziell sein, sondern könnten auch einfach, günstig und gut daherkommen. Etwas weniger elitär und zugänglicher.

M. F.: Genau deshalb ist der niederschwellige Austausch zwischen den Gastronom:innen auch so wichtig. Die einen haben sich damit vielleicht bereits beschäftigt oder ihre Menükarte umgestellt und können diese Erfahrungen nun mit anderen Interessierten teilen.

Werden Ihre Angebote die teilnehmenden Gastronom:innen etwas kosten?

M. F.: Noch ist alles kostenlos, da wir uns noch im Pilotjahr befinden. Danach sind ein jährlicher Mitgliederbeitrag und allfällige weitere Kosten für Beratungen angedacht. Momentan wird unsere Arbeit vom Migros-Pionierfonds ermöglicht, der uns beim Aufbau der Plattform unterstützt.

Die Stadt Zürich hat vergangenen Monat eine Charta lanciert, die ein ähnliches Ziel verfolgt wie Ihr Projekt: Die Gastronomie in der Stadt soll nachhaltiger werden. Sie sehen sich aber nicht als Konkurrenz, nehme ich an?

M. F.: Tatsächlich waren wir bei der Lancierung dabei. Deshalb sind wir der Charta grundsätzlich sehr positiv eingestellt. Die Kräfte zu bündeln, hat noch nie geschadet.

Die Pilotphase wird noch bis kommenden November andauern. Was passiert, wenn Sie merken, dass das Interesse seitens der Branche für ein solches Netzwerk doch nicht vorhanden ist? 

M. F.: Ich bin davon überzeugt, dass die Zeit für eine zukunftsfähige Gastronomie reif ist – und dass das mittlerweile auch die Betriebe bemerkt haben. Dass seit dem Aufschalten der Webseite Anfang April bereits einige Gastronom:innen und Restaurants bei uns angeklopft haben, bestärkt dieses Gefühl.

A. H.: Wir brauchen eine Veränderung. Ich glaube fest daran, dass dies gelingen kann, wenn viele am gleichen Strick ziehen. «Zäme isch besser», lautet die Devise.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.