«Es braucht mehr Umverteilung»

 

Die Rentenreform gibt zu reden: Was müssen wir jetzt tun, um die Renten kommender Generationen zu sichern? Elena Marti, Nationalratskandidatin der Grünen, nimmt sich im Gespräch mit P.S. dieser Frage an.

 

Letzte Woche hat die Ständeratskommission ihren Vorschlag zur Rentenreform präsentiert. Sie möchte unter anderem das Rentenalter der Frauen bereits in drei statt erst in sechs Jahren auf 65 erhöhen. Was halten Sie davon?

Elena Marti: Das Rentenalter der Frauen zu erhöhen, finde ich grundsätzlich schwierig, solange die Frauen nach wie vor mit der Doppelbelastung von Beruf und Familie leben müssen. Die Frauen bekommen die Kinder, sie machen mehr im Haushalt – und obendrein verdienen sie für ihre Arbeit ausser Haus auch Jahre nach Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes immer noch weniger als die Männer. Angesichts dieser Tatsachen kann eine Erhöhung des Frauenrentenalters – egal ob schon in drei oder erst in sechs Jahren – sicher nicht das sein, was wir in Sachen Rentenreform als erstes anpacken müssen.

 

Die Menschen werden immer älter, und ohne die jetzt dringend nötige Rentenreform werden Sie dereinst gar keine Rente mehr kriegen – das behaupten zumindest die Bürgerlichen.

Deswegen mache ich mir keine Sorgen: Die AHV funktioniert seit vielen Jahren, und sie funktioniert gut; ich sehe keinen Grund, weshalb sie das nicht auch in 40 Jahren noch tun sollte. Dass es nun plötzlich so zentral sein soll, dass Frauen künftig erst mit 65 statt bereits mit 64 Jahren pensioniert werden müssen, leuchtet mir nicht ein – das allein ist sicher nicht matchentscheidend. Zudem bin ich fixen Altersgrenzen gegenüber grundsätzlich kritisch eingestellt.

 

Wie meinen Sie das?

Ich werde im Wahlkampf oft auf mein Alter angesprochen, wenn nicht gar darauf reduziert. Damit tue ich mich schwer: Fixe Altersgrenzen allein sagen noch gar nichts aus. Ich weiss, dass ich «jetzt schon» Nationalrätin werden will; ich habe lange darüber nachgedacht und mit vielen Leuten geredet, bevor ich mich entschieden habe, zu kandidieren. Darüber, ob ich dereinst bereits mit 60 pensioniert werden beziehungsweise bis 67 weiterarbeiten möchte, kann ich im Moment noch nichts sagen.

Was ich aber sicher weiss: Ich glaube nicht, dass wir grundsätzlich besser fahren, indem wir ein bereits fixiertes Pensionsalter, das für alle zu gelten hat, um ein Jahr erhöhen. Wir sind doch alle verschieden; es hat keinen Zweck, festschreiben zu wollen, was ‹man› in welchem Alter schon bzw. noch macht oder nicht. Deshalb sollten wir meiner Meinung nach auch das Rentenalter flexibel handhaben, und zwar für Frauen wie für Männer.

 

Haben wir angesichts der höheren Lebenserwartung wirklich die Wahl, nichts zu ändern?

Wer redet denn von «nichts ändern»? Das Rentenalter und die Lohnabzüge zu erhöhen, ist ja nicht das Einzige, was wir machen können. Auch wenn die Erbschaftssteuerinitiative abgelehnt wurde, ist der Gedanke dahinter immer noch aktuell: Der Reichtum in diesem Lande ist ungerecht verteilt. Natürlich wäre es zum jetzigen Zeitpunkt eine schlechte Idee, nochmals zu fordern, dass eine Erbschaftssteuer erhoben wird und ein Teil des dadurch zusammenkommenden Geldes der AHV zugute kommen soll. Aber das schliesst ja nicht aus, weiterhin auf mehr Umverteilung von oben nach unten zu pochen und auch entsprechende Vorlagen zu bringen, wenn sich die Gelegenheit bietet.

 

Der Bundesrat möchte die Mehrwertsteuer um 1,5 Prozent erhöhen, die Ständeratskommission um 1 Prozent, um so zusätzliche Einnahmen für die AHV zu schaffen: Eine gute Idee?

Nein. Ich bin gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer, da sie eine unsoziale Steuer ist: Alle zahlen gleich viel, egal, wie viel oder wenig sie verdienen. Das widerspricht dem Gedanken der Umverteilung, also dem, worum wir uns meiner Meinung nach als erstes kümmern sollten.

 

So unsozial ist die Mehrwertsteuer auch wieder nicht: Für das, was alle brauchen, Essen beispielsweise, ist der Satz reduziert – und kaufen sich die Reichen mehr Luxus als Normalsterbliche, ist es doch in Ordnung, dass sie auch mehr Mehrwertsteuer zahlen müssen.

Das mag ein Stück weit stimmen, aber es überzeugt mich dennoch nicht. Aus meiner Sicht ist es immer noch wichtiger, dass wir es nicht zulassen, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer.

 

Sie sind 20 Jahre alt: Machen Sie sich ausserhalb Ihres politischen Engagements überhaupt schon Gedanken zur AHV?

Sicher: Die AHV ist ein Thema, das uns Junge direkt betrifft, denn auch wir wollen unseren Lebensunterhalt gesichert haben, wenn wir dereinst aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Ich bin aber wie gesagt zuversichtlich, dass wir das auch schaffen.

 

Die Zukunft der AHV bereitet Ihnen also keine Sorgen: Blicken Sie auch sonst so zuversichtlich in die Zukunft?

Es geht. Sorgen mache ich mir insbesondere wegen des zunehmenden Fremdenhasses sowohl in Europa als auch hierzulande, und auch die Umweltpolitik entwickelt sich leider in die falsche Richtung.

 

Inwiefern?

Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass die Bürgerlichen am 18. Oktober Sitzgewinne verbuchen können, dann bedeutet das unter Umständen das Ende der Energiewende, und das kann mir als Grüne natürlich nicht egal sein. Und migrationspolitisch sind die Grünen nun mal die mit Abstand progressivste Partei im Parlament. Es muss Schluss sein mit Ausschaffungen und Abschottung!

 

Wir könnten nun mal nicht alle Flüchtlinge aufnehmen, sagen die Bürgerlichen…

Und ich entgegne: Die meisten Flüchtlinge sind jung, und sie möchten gern arbeiten. Worauf warten wir noch? Nehmen wir sie auf und geben ihnen Arbeit – und sorgen damit erst noch dafür, dass wieder mehr Leute in die AHV einzahlen und mithelfen, diese fit zu machen für die kommenden Herausforderungen.

Ausserdem: Die Flüchtlingszahlen werden bloss medial aufgebauscht: In der Balkankrise waren es wesentlich mehr, und gemessen an der gesamten Immigration machen sie einen lächerlich kleinen Teil aus. Was die Schweiz angesichts der Lage im Nahen Osten tut, ist beschämend.

 

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Wahlen 2015
Bis zu den Nationalratswahlen vom 18. Oktober stellen wir an dieser Stelle jede Woche Kandidierende vor, die dem Nationalrat noch nicht angehören. Wer zum Zug kommt und zu welchem aktuellen Thema er oder sie befragt wird, entscheidet die Redaktion. Es werden nur KandidatInnen mit intakten Wahlchancen berücksichtigt. Heute mit: Elena Marti (Grüne, Zürich) zum Thema Rentenreform.

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