Es beelendet mich

Was mich beelendet: Es braucht ein ganz besonderes Ausmass an Verderbtheit, um sich einen Anlass zu eigen zu machen, der noch gar nicht soweit ist. Ich glaube, dass es grundsätzlich gar nicht schwierig wäre zu erkennen, wie lange man warten müsste mit einer Reaktion, um nicht pietätlos zu sein, wann man etwas in­strumentalisiert und wann nicht und bis zu welchem Zeitpunkt alle gemeinsam trauern möchten, bevor die Politik anfängt. Ich glaube, dass es nicht so schwierig ist, das zu wissen. Aber man muss es wollen, und das tun längst nicht alle. 

So wie in Solingen. Die AfD nämlich stand viel, viel zu früh keinen Meter neben jenen, die kamen und gingen mit Blumen, Briefen und Kerzen, um den Toten zu gedenken, die gerade eben erst niedergestochen worden waren an diesem Stadtfest, das Blut, so musste man vermuten, noch feucht auf dem Boden des Tatorts, jetzt an den Sohlen der Politiker:innen. Man meinte kurz, ein solches Auftreten, eine solche Pietätlosigkeit, eine derart plumpe Inszenierung müsste Folgen haben. Aber nein! Gemäss neuester Umfragen sind die Bürger:innen der Meinung, die AfD habe die besten Konzepte zur Extremismusbekämpfung. Obwohl die ja gar nicht mehr die Einzigen sind mit den wirklich billigen Ideen, man hätte jetzt durchaus eine Auswahl. Der Ruf nach einem Waffenverbot in gewissen Zonen ist dabei noch harmlos, weil ebenso hilflos. Vor allem ist es insgesamt makaber, irgendwie, denn Solingen ist auch das Zentrum der deutschen Schneidwarenindustrie, insbesondere der Herstellung von Klingen und ausgerechnet hier also fand die Messerattacke statt, die drei Todesopfer und teils Schwerverletzte forderte. Wie schmerzhaft, bis ins Innerste zerreissend ironisch das richtige Leben sein kann. 

Aber kommen wir zurück zu den Forderungen. Und zum Elend. Friedrich Merz, CDU-Chef, geht da schon weiter als ein läppisches Waffenverbot. Er will pauschal Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan abweisen, sie also erst gar nicht mehr aufnehmen. Das ist rechtlich allerdings nicht so einfach umsetzbar beziehungsweise gar nicht. Es gilt das Recht auf Asyl, das im deutschen Grundgesetz verankert ist, und auch wenn man dieses mit einer Zweidrittelmehrheit kippen möchte im Bundestag, dann gäbe es immer noch das Völkerrecht und die EU, beides kann man nicht einfach so über den Haufen werfen. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention verpflichten zu Schutz und erfordern von einem Rechtsstaat wie Deutschland Einzelfallentscheidungen, damit eben über das Schicksal eines jeden Menschen nicht willkürlich und pauschal entschieden wird. In Momenten wie diesen wird deutlich, wie sehr Demokratie vor Barbarei oder auch einfach nur Dummheit schützt, indem sie es nämlich verunmöglicht, aus einem Gefühl der Wut und Ohnmacht oder auch Heuchelei heraus leichtfertig und hastig Grundrechte aufzuheben, um Lösungen zu ermöglichen, die schlussendlich keine sind. 

Denn auch wenn offiziell keine Menschen aus Syrien oder Afghanistan mehr aufgenommen werden dürften, würden sie trotzdem kommen. Nur Menschen in freundlichen und bequemen Demokratien meinen, ein Verbot sei stärker als die Angst vor Verfolgung, Folter und Gewalt im Herkunftsland. Man kann Migration nicht durch Gesetze aufhalten. Zumal die grosse, grosse Mehrheit vor dem flüchtet, vor dem auch wir uns fürchten: Terror. 

Das weiss auch der CDU-Chef. Aber es ist natürlich gerade sehr opportun, es trotzdem zu fordern, in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen die Landtagswahlen wortwörtlich vor der Tür. Die populistischen Forderungen seitens CDU sind nicht minder billig als die der AfD, die neben niedergelegten Plüschtieren und weinenden Bürger:innen ihre Parolen ins Megaphon brüllt. Nur weil etwas ein wenig eleganter daherkommt, ist es noch lange nicht besser. Das beelendet mich. 

Und auch, dass es im Moment nicht einfach ist, eine Lösung zu haben, damit so etwas nicht wieder passiert. Man kann mit klarem Verstand erkennen und benennen, was sicher keine Lösung ist. Obwohl das gerade in dieser Situation so wichtig ist, setzt man sich damit dem Vorwurf aus, zu verharmlosen. Das, genau das beelendet mich am meisten.