Ermächtigung

Ursina Greuel erweist sich einmal mehr als begnadete Arrangeurin von Inhalt und Form.

Die anfänglich raumfüllende Stimme kommt von ganz tief unten und steigert sich bis über die Kopfstimme hinaus bis in ein nur noch hervorwürgbar hohes, kaum mehr vernehmbares Krächzen. Ein Sinnbild für Göttinnen, das während der performativ-konzertanten Würdigung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte für sieben Stimmen und zwei Klangerzeuger:innen «Mensch, du hast Recht!» im Sogar Theater die Zerrissenheit zwischen der immensen Bedeutung dieser dreissig Artikel und deren latenter Gefährdung in der politischen Realität als ewige Dissonanz in Szene setzt. Der Abend vergegenwärtigt den historischen Kampf um diplomatische Spitzfindigkeiten in der Formulierung, die nicht zu überschätzende Teilhabe von Frauen und geht trotz der mehrheitlich emotional eindringlichen Ermahnung auch dramaturgische Wagnisse einer Grenzwertigkeit ein, schreckt also auch auf, womit das Wohlgefühl einer Sonntagspredigt subversiv unterwandert wird. Will heissen, das Projekt geht weit über einen rein bestätigenden Trost der Gewissheit um die eigene Rechtschaffenheit eines Publikums hinaus, sondern fordert zudem alle einzelnen dazu auf, neben der Zurkenntnisnahme dieses humanistischen Regelwerks auch die kontinuierliche Arbeit an der Selbstreflexion des eigenen Handelns zu beherzigen. Letztlich vermittelt diese kurze Stunde Einhalt den Zuhörer:innen, welch ausgeprägte Macht in allen Einzelnen steckt und lädt bis zum Drängen dazu ein, sich dessen nicht nur gewahr zu werden, sondern sich ihrer auch zu bedienen. Im ganz profanen Alltag noch mehr als bei Sonntagsreden für die Galerie. Die Tonspur von Anna Trauffer ist mehr Rhythmus, der den der Sprache bestärkt. Es ist ein Lehrstück zur Selbstermächtigung, ein Mahnmal der Eigenverantwortung und eine dringende Bitte, dem Humanismus den ihm gebührende Stellenwert einzuräumen und zu verteidigen. Eine von einem Tränchen sekundierte Schauer lässt sich nicht verhindern. froh.

«Mensch, du hast Recht!», bis 15.11., Sogar Theater, Zürich.

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