Entscheidet euch!

Und es hub ein grosses Heulen und Zähneklappern im Lande an, denn bei den letzten Kantonalwahlen gingen noch weniger Leute an die Urnen als je. Das wurde im Nachgang von vielen ernst zu nehmenden Menschen als ernsthaftes Problem eingestuft, auch wenn das Phänomen nicht neu ist und man sich ja eigentlich fragen muss, ab wann es nicht mehr nur ernst, sondern hoffnungslos ist, ab wann die Demokratie nicht mehr spielt oder in Gefahr oder bereits am Boden zerstört ist.

 

Aber mich beschäftigt das schon auch, weil es einmal mehr darauf hinweist, wie unbeliebt Politikerinnen und Politiker im Allgemeinen sind. Brauchen tut man sie nicht, mögen schon gar nicht, geschweige denn wählen. Aber ein Taucher, der nicht taucht, taucht nix, und ein Politiker, der nicht gewählt wird, noch weniger.

 

Zugleich entpolitisiert sich die Gesellschaft schleichend, auch bei Wahlen. Dazu gehört nicht nur die destruktive Verbreitung von Umfragen und Hochrechnungen oder dass die Medien gar keine inhaltliche Wahlkampfberichterstattung mehr liefern, sondern es gehören auch Instrumente wie smartvote oder die unsäglichen Wahlbörsen dazu: Infotainment, wo man hinguckt. Die Wirkung ist, dass man sich der Bedeutung des Parteiensystems immer weniger bewusst ist, sondern ganz wie am Salatbuffet und häppchenweise seinen Wahlzettel à la carte zusammenstellt. Weil der Grillabend mit dem SVP-Nachbarn so gemütlich war oder die FDP-Schulpflegerin letzten Elternabend durchaus kinderfreundlich schien – rauf auf den Zettel, denn man ist ja nicht so ideologisch festgefahren! Und abends kauft man noch schnell ein paar Kägi-Aktien, weil: ist ja nur ein Game. (Wogegen sich die Spielleiter übrigens damit brüsten, sie bildeten die Realität besser ab als alle Fliegenträger dieser Welt zusammen.)

 

Aber wie der Volksmund sagt: «In Gefahr und grosser Not ist Ausgewogenheit der Tod.» Und plötzlich wundert man sich kräftig, dass die Dinge so laufen, wie sie laufen. Die Kinderkrippen, welche die freundliche FDP-Frau befürwortet hatte, sind soeben aus Spargründen gestrichen worden, und der nette SVPler hat sich mit keinem Wort von den neusten Asylgrüselein seiner Partei distanziert. Entpolitisierung äussert sich hier in einem erschreckenden Mangel an Kenntnis, wie Realpolitik in einer parlamentarischen Demokratie funktioniert. Es mag ja toll sein, dass der neue SVP-Shooting-Star Vogt persönlich gegen die zweite Gotthardröhre ist, wir sind auch ganz hingerissen. Nur ist es dann halt einfach so, dass ein künftiger Ständerat Vogt bei einer entsprechenden Abstimmung im Rat selbstverständlich für die zweite Röhre stimmen würde. Man nennt das Fraktionsdisziplin, und niemand ist darin so gut wie ausgerechnet die SVP.

 

Oder nehmen wir einmal mehr die Energiewende. Während die NGO im ökologischen Bereich an Mitgliedern zunehmen, während also offenbar in breiten Kreisen der Rückhalt für dieses vernünftige und nötige Projekt durchaus vorhanden scheint, werden die grünen Parteien im Regen stehen gelassen, schwindet der wahlpolitische Support für Ökothemen. Ist das nun vornehme Zurückhaltung von Verbänden, die es sich mit ihren bürgerlichen Mitgliedern nicht verscherzen wollen, oder schon schiere Dummheit dem politischen System gegenüber?

 

Gefährlich ist das, weil die Linke schon immer auf soziale Bewegungen angewiesen war, bzw. sich schon immer zu einem guten Teil aus sozialen Bewegungen rekrutiert hat. Wo sich aber die Zivilgesellschaft und die Politik auseinanderdividieren, triumphiert die Seite, die noch gut funktioniert, nämlich diejenige der Verbände, der Lobbies und der Top-Fives.

 

Politischen Erfolg gibt es nicht ohne Parteinahme, schon gar nicht in polarisierten Zeiten wie diesen. Es reicht nicht mehr, sich zu empören, man muss sich entscheiden.

 

 

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