- Kultur
Entrümpelung
Das Fremdschammoment während des Kunstjuchzers im Zügli vom Dok-E zurück an den Flughafen ist kaum zu übertreffen, was aber nicht automatisch meint, dass es Hüttengaudikommerzschlagertitel nicht noch weiter übertreiben könnten mit dem Heileweiltjuchhee. Das aufsässig gutgelaunte, herzenswarme, lebenskluge Bergmeiteli von Johanna Spyri hat längst die Deutungshoheit über die eigene Figureninterpretation abgeben müssen und fristet schon lange ein Dasein als Projektionsfläche für beinahe alles in annähernd jeder Absicht. Lena Reissners «Heidi» ist letztlich ein Befreiungsakt, selbst wenn das Ensemble in höfischen Schäferkostümen des 18. Jahrhunderts zuallererst eine ganz schlechte Nachricht zu verkünden hat: Heidi ist tot. Chady Abu-Nijmeh, Yara Bou Nassar, Challenge Gumbodete und Melina Pyschny winden sich zuerst wortreich aus der Verantwortung dieser unendlich überhöhten, also auch reihum (zum Teil auch ideologisch) vereinnahmten Figur darstellerischen Ausdruck zu verleihen. Lieber verlegen sie sich auf die Zerpflückung dieser Überfigur in ihre Einzelteile, derer sie entlang der Originalerzählung etliche ausmachen, derer genauere Betrachtung lohnt. Ein Waisenkind, das niemand aufnehmen will, das nirgends dazugehört und zum vermeintlich eigenen Vorteil ungefragt hin- und hergeschoben wird, soll dank seiner brutalnaiven Unbekümmertheit Heilandqualitäten entwickelt haben und für die idyllische Unberührtheit der paradiesischen Bergschweiz stehen? Also Liebe, die exzessiv daherkommt. Also Kommerz, der ohrenbetäubend daherkommt. Also Naturverbundenheit, die als Kunstdruck an der Wand hängt. Also Heimattümeltum, das zuerst definiert gehört. Was ist Heimat genau? Woraus nährt sich Sehnsucht? Was hat Nostalgie hier verloren? Ist erinnern ein Akt oder eine Heimsuchung? Und wo lässt sich eine Grenze zwischen all dem ziehen, die nicht ausgrenzt, sondern einschliesst? Also beispielsweise Menschen mit Nichtzugehörigkeitserfahrung, deren paradiesisches Idealbild einer Heimkehr in einen sogenannten sicheren Schoss nicht direkt dem Abziehbild des Kitschheidi entspricht. Die sich anstrengend, statt bloss zu trötzeln, um sich in der Fremde heimisch fühlen zu lernen und mitunter geradezu umzingelt von Fräulein Rottenmeyers primär gemassregelt, zurechtgewiesen und anstandbelehrt werden. Geht mich alles gar nichts an, so als Bioschweizer, liesse sich all diese theatrale Bemühung weit von sich weisend locker behaupten, aber es entginge damit eine weitreichende Aussicht auf einen schier endlosen Horizont.
«Heidi», bis 12.6., Theater Neumarkt, Zürich.