Endlich! Wirklich?

Die Velos sollen runter vom Trottoir: Das verkündete letzte Woche – nein, kein geplagter Rollatorfahrer, der fast von einem Velo über den Haufen gefahren worden wäre, sondern die Zürcher Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart. Die Dienstabteilung Verkehr hatte «in Absprache mit dem Fussgängerverein Zürich», wie es in der Medienmitteilung heisst, ein Gutachten in Auftrag gegeben, und zwar zur Frage, «in welchen Situationen den Velofahrenden die Nutzung des Trottoirs ermöglicht werden kann». Denn «bislang fehlt in der Stadt Zürich eine einheitliche und rechtlich breit abgestützte Praxis». Und ja, das steht auch noch in der Medienmitteilung, «gemeinsame Verkehrsflächen für den Fuss- und Veloverkehr führen immer wieder zu Konflikten und sind für Benutzende oft unbefriedigend.» Die Gutachter sind zum Schluss gekommen, «dass die Anordnung von Rad- und Fusswegen auf Trottoirs nicht zulässig ist».

 

Judihui!, war meine erste Reaktion. Denn auch wenn diese unbefriedigende Lösung logischerweise nicht über Nacht verschwinden wird: Mindestens werden nun keine neuen Rad-/Fusswege auf Trottoirs mehr signalisiert. Das ist ein grosser Fortschritt. Denn die Krux ist ja, dass ich als Velofahrerin auf derart signalisierten Trottoirs fahren muss, wenn ich korrekt fahren will. Und das will und tue ich nicht nur aus Gewohnheit, sondern aus Überzeugung: Mein Velo ist ein Verkehrsmittel, kein ‹Gfätterlizüüg›, kein Lifestyle-Accessoire und auch kein Hipsterkram (gut, dafür wär’ ich eh zu alt …) – also benimmt es sich auch wie ein Verkehrsmittel. Es fährt am liebsten dort, wo der Verkehr hingehört, auf der Strasse. Auf dem Trottoir kommt man nicht voran, wenn es viele FussgängerInnen hat, und man muss sich von einigen unter ihnen auch noch als angeblich «verbotenerweise auf dem Trottoir fahrender Rowdy» beschimpfen lassen, obwohl man im Recht ist. Das ist nicht lustig, aber verständlich: Ich habe es auch nicht gern, wenn ich als Fussgängerin auf dem Trottoir das Gefühl bekomme, den VelofahrerInnen als menschliche Slalomstange zu dienen. Vor allem aber habe ich vollstes Verständnis dafür, dass heutzutage in Zürich bald keine S… mehr weiss, wo Velos auf dem Trottoir fahren müssen, wo sie auf dem Trottoir fahren dürfen und wo sie auf dem Trottoir nichts verloren haben. Es ist das Gebot der Stunde, hier endlich klare Verhältnisse zu schaffen, es ist der erste Schritt in die richtige Richtung.

 

Damit ist allerdings auch gleich festgehalten, dass der zweite, dritte und xte Schritt entscheidend dafür sein werden, ob und wie schnell es gut kommt mit dem Veloverkehr in Zürich. Denn genau genommen sind wir jetzt wieder am selben Punkt angelangt wie am 8. November 2012, als die damalige Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements, Ruth Genner, zusammen mit Stadtpräsidentin Corine Mauch und dem damaligen Sicherheitsvorsteher Daniel Leupi den Masterplan Velo präsentierte. Über die Medienkonferenz schrieb ich damals im P.S. unter anderem folgendes: «Bis im Jahr 2025 soll das Veloroutennetz so ausgebaut werden, dass es aus 97 Kilometern Hauptrouten und 55 Kilometern Komfortrouten besteht. Auf den Hauptrouten soll man schnell vorankommen, sie sollen aus 1,8 Meter breiten Radstreifen und Radwegen bestehen. (…) Den Platz, den diese Routen brauchen, muss man zuerst schaffen: Ruth Genner erklärte, dazu würden beispielsweise Parkplätze umplatziert oder abgebaut, Alleen versetzt oder Bäume gefällt. Trottoirs würden auf Minimalbreite verkleinert, bei Fahrstreifen würden Überbreiten verschmälert oder Spuren abgebaut.» Was dann effektiv passierte, wissen alle, die täglich in Zürich Velo fahren, und die andern haben vielleicht etwas über den Faktencheck von Pro Velo gelesen, zum Beispiel im P.S. vom 2. Februar dieses Jahres: Passiert ist leider nicht besonders viel.

 

Geht es jetzt, wo die Velos nicht mehr aufs Trottoir geleitet werden dürfen, endlich vorwärts? Werden jetzt Trottoirs und Fahrspuren verschmälert, Spuren abgebaut, Parkplätze aufgehoben? Auf den ersten Blick sieht keine dieser ‹Massnahmen› von 2012 danach aus, als wäre sie heute politisch machbarer als damals, rot-grün regierte Stadt hin oder her. Und selbst wenn das der Fall wäre, würde es wohl Einsprachen hageln. Dennoch: Ich habe es zum Beispiel noch nie verstanden, weshalb es möglich sein muss, sein privates Auto in einer Blauen Zone, also im öffentlichen Raum, zu parkieren. Wer sein altes Sofa auf dem Trottoir entsorgt, wird, so man ihn erwischt, gebüsst. Die gestresste Büroangestellte, die ihren Coffee-to-go-Becher einfach ins Gebüsch wirft, begeht damit «Littering», und auch das ist nicht erlaubt. Aber ein privates Auto darf jahraus, jahrein am Strassenrand Platz brauchen, und das für 300 Franken pro Jahr. Ein Parkplatz belegt eine Fläche von zirka 13 Quadratmetern, also etwa so viel wie ein Kinderzimmer in einer Mietwohnung. Wer mir in Zürich eine Wohnung zeigt, in der es für 25 Franken im Monat 13 Quadratmeter Fläche gibt, der kriegt… nein, sorry, so viel Geld hab’ ich gar nicht, wie dieser «Finderlohn» kosten müsste… Vor allem aber konkurrenziert die Stadt mit dem Blaue-Zone-Angebot sich selber als Wohnungsvermieterin – und alle privaten VermieterInnen obendrein. Denn Tiefgaragenplätze und im Freien markierte MieterInnen-Parkplätze kosten ein Vielfaches einer Anwohnerparkkarte für die Blaue Zone. Bleiben diese Plätze leer, was in Zürich vielenorts der Fall ist, sind sie ein Verlustgeschäft für die VermieterInnen. Diese holen das fehlende Geld normalerweise wieder herein, indem sie die Wohnungsmieten erhöhen. Damit aber zahlen die Autolosen dafür, dass die AutobesitzerInnen es sich leisten können, die Tiefgarage zu teuer zu finden: Denn die Stadt stellt ja eine billige Alternative zur Verfügung – für die obendrein via Steuern erneut auch die Autolosen zur Kasse gebeten werden. Kurz: Es wäre nichts als vernünftig, bei der Blauen Zone anzusetzen, die im übrigen auch im revidierten kommunalen Richtplan Verkehr ein Thema ist (siehe Artikel Seite 14).

 

Die Dienstabteilung Verkehr mache nun zusammen mit dem Tiefbauamt erst mal eine Bestandesaufnahme, heisst es in der Medienmitteilung weiter. Danach würden «adäquate und sichere Lösungen für den Veloverkehr» gesucht. «Die neue Praxis darf nicht zu negativen Auswirkungen bei der Sicherheit der Velofahrenden führen», wird die Direktorin der Dienstabteilung Verkehr, Esther Arnet, zitiert. Es kommt also gut. Wobei: Es ist, wieder einmal, erst angekündigt – noch längst nicht angerichtet. Kommt es gut?

 

Nicole Soland

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