Eliten-Appell

Mit dem Buch «The Crisis of Democratic Capitalism» (Die Krise des demokratischen Kapitalismus) wendet sich Martin Wolf, Chefkommentator der ‹Financial Times›  an jene, die zeitgleich Ursache wie auch Teil der Lösung der von ihm diagnostizierten Krise sind: die Elite. Die Verbindung aus liberaler Demokratie und Marktwirtschaft habe nach dem Zweiten Weltkrieg zu den erfolgreichsten Gesellschaften der Geschichte geführt. Zu einer Gesellschaft, in der sowohl Wohlstand wie auch persönliche Freiheiten für alle gestiegen sind. Das Zusammenspiel zwischen Demokratie und Kapitalismus sei immer ein wenig fragil gewesen und auch durch Widersprüche geprägt: So ist der Kapitalismus kosmopolitisch und Demokratie an Grenzen gebunden. Und das System ist verletzlich, weil sowohl Gefahr drohe durch eine Korrumpierung der Politik durch Geld wie auch durch eine Aufhetzung der Bevölkerung durch Demagogen. 

Das Erfolgsmodell des demokratischen Kapitalismus ist unter Druck. Die Anzahl demokratischer Länder stagniert, einstige Demokratien gleiten ab in autoritäre Systeme. Und auch in den einst erfolgreichen westlichen Demokratien sind populistische Strömungen mit teils autokratischen Tendenzen auf dem Vormarsch. Den Ursprung in der Krise sieht Wolf darin, dass das System Legitimität und Vertrauen benötigt. Und dieses Vertrauen sei nur gegeben, wenn die Mehrheit überzeugt ist, dass das System wirklich das Wohlergehen aller verfolge. Wachsende Ungleichheit, Abstieg und Bedeutungsverlust von unteren und mittleren Einkommensschichten hätten aber dieses Vertrauen infrage gestellt. Ein entscheidender Faktor sei die Finanzkrise von 2008 gewesen. Diese habe die Inkompetenz der politischen und finanziellen Eliten entblösst und die darauf folgenden Jahre der Sparpolitik habe zudem den wirtschaftlichen Fortschritt gebremst und die Lebensbedingungen verschlechtert. Der Aufstieg des «Rentier»-Kapitalismus (was nichts mit Weihnachten zu tun hat) hat entscheidend dazu beigetragen. Ein «Rentier» bezieht Einkommen aus Kapital und nicht aus der Arbeit. Dessen Vermögen und Einkommen ist explodiert, sein Wille, sich am Gesellschaftsvertrag zu beteiligen erodiert. Im Gegenteil hätten die Finanzindustrie und die Vermögenden  ihren Einfluss und ihr Geld dazu verwendet, Gesetzgebung im Sinne ihrer Interessen zu verändern, in dem das Finanzwesen dereguliert und die Steuern gesenkt wurden. Die gesenkten Steuern waren dann aber immer noch zu viel, wie sich immer wieder zeigt, wieviel Geld in Steueroasen abfliesst.  Das alles habe dazu beigetragen, dass die Eliten in Ungnade gefallen sind. Und es habe das Grundprinzip der liberalen Demokratie beschädigt, wonach politische Macht nicht durch Geld bestimmt wird, sondern durch die Menschen. Wolfs Rezept gegen die Misere knüpft bei Franklin Delano Roosevelt an. Man müsse die Eliten und die Politik wieder glaubwürdig machen und dies mit einem Programm, das die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen stärkt, die Chancengleichheit erhöht und die Privilegien der Mächtigen beschränkt. Die These, dass Finanzkrise und wachsende Ungleichheit zum Aufstieg von Populismus führen, ist indes weder neu noch unbestritten. So sieht beispielsweise die Politologin Pippa Norris die Ursache eher im kulturellen Wandel, der seit den 1960er-Jahren stattfindet und frühere gesellschaftliche Hierarchien infrage stellt. Dies zeige sich daran, dass auch relativ reiche Staaten wie die Schweiz oder die skandinavischen Länder starke rechtspopulistische Bewegungen hätten. Wolf sieht diese kulturellen Faktoren durchaus als Mittreiber an, glaubt aber, diese hätten keine Resonanz, wenn eine Politik die Verbesserung der Lebensbedingungen konsequent angehen würde. 

Die Rettung des demokratischen Kapitalismus sei auch im Interesse der Reichen, meint er in einem Podcast mit Martin Reeves, dem Direktor eines Thinktanks der Boston Consulting Group und wendet sich – wie auch bei seinen Kolumnen – sozusagen direkt ans betroffene Publikum. Der Kollaps des demokratischen Kapitalismus sei auch für die Reichen unangenehm. Sie würden zu den Verlierern gehören, wenn fremdenfeindliche und isolationistische Kräfte übernehmen. Denn es sei auch für Reiche nicht angenehm, in einer Diktatur zu leben. Weil man nie weiss, ob man noch in der Gunst der Autokraten steht.  

In der vergangenen Woche beschäftigte sich die Schweizer Politelite in einer ausserordentlichen Session mit der Rettung der Credit Suisse. Es wurde viel debattiert und wenig entschieden. Es war von Anfang an klar, dass der Entscheid des Parlaments für die getroffene Lösung nicht ausschlaggebend ist. Die Ablehnung des Kredits, die das Parlament vorgenommen hat, war also eher eine Unmutsbekundung. «Eine spektakuläre Widerstandsgeste, die allerdings nicht mehr ist als genau das: Spektakel», kommentiert Daniel Binswanger in der ‹Republik›. «Und die die politische Impotenz der Schweizer Legislative eigentlich erst so richtig ins Scheinwerfer­licht rückt.» David Biner stellt nicht die Impotenz, sondern die Inkompetenz in der NZZ ins Zentrum und konstatiert: «Denn sie wissen nicht, was sie tun.» Es zeigte sich rasch, dass der Willen, einen erneuten Fall Credit Suisse zu verhindern und eine effektive Bankenregulierung vorzunehmen oder mindestens die falschen Anreizsysteme, die durch die Boni-Kultur geschaffen wurden, sich auf verbale Verlautbarungen in Interviews oder in grossen Inseraten beschränkt. Und so ist zu befürchten, dass auch jetzt wie nach der Rettung der UBS so lange auf Zeit gespielt wird, bis jegliche Lust an griffiger Regulierung vergangen ist.

Der Zufall wollte es, dass ich kurz nach den Ereignissen rund um die Credit Suisse an einem Podium war, zu der das UBS Center for Economics eingeladen hatte. Das Thema hatte nichts mit Banken, sondern mehr mit Demokratie zu tun, der Föderalismus stand im Zentrum. Neben Podien gab es Fragen ans Publikum: Eine davon war, ob man es gut findet, wenn der Bundesrat per Notrecht handelt. Nun ist es nicht weiter erstaunlich, dass eine grosse Mehrheit befürwortet, dass die Exekutive in einer Krisensituation schnell entscheiden kann. Die Mehrheit fand allerdings auch, der Bundesrat sollte dies öfter tun können.  Das mag ein wenig an der Situation und an der Fragestellung liegen. Aber ein leiser Verdacht besteht dennoch, dass durchaus etliche Menschen, gerade aus einer wirtschaftlichen Elite, den Normalbetrieb der Demokratie nicht als sonderlich nützlich empfinden. Das könnte sich dereinst rächen. Zu hoffen ist es nicht. 

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