Einstimmung auf eine Abstimmung

72 Prozent Ja oder «eher Ja» gab die SRG bei der Klimaschutzvorlage nach ihrer ersten Umfrage zum Besten. Kurz danach kam eine Tamedia-Erhebung, mit gleicher Tendenz, aber weniger Grün und mehr Grau, das für «keine Angaben» steht. Zudem bescherte der ‹Tages-Anzeiger› zunehmend Irritierendes zum Thema.

Jein? Zweifel säen genügt!

Mit einem Ankündigungsmail sorgte der «Redaktionsleiter SonntagsZeitung» am 7. Mai für Spannung. «Bald steht die nächste Abstimmung an – und einmal mehr spaltet die Debatte das Land: Rettet das Klimaschutzgesetz die Welt oder verteuert es nur unseren Strom?» Sie hätten «den wohl grössten Experten für erneuerbare Energien in der Schweiz» befragt. Der «habe sich noch nicht festgelegt, ob er im Juni Ja oder Nein stimmen werde». Wenn sogar der die Antwort nicht kennt, wer dann? Jedenfalls sei nun klar: «Man ist mit seinen Zweifeln nicht allein.» Und eine Woche später ging es in diesem Stil weiter: «Zwei ETH-Professoren sprechen sich gegenseitig Kompetenz bei der Energiewende ab.» Streit um das Klimaschutzgesetz! «Klimaforscher Reto Knutti greift seinen ETH-Kollegen Andreas Züttel und dessen Forschungsarbeit öffentlich an. Dieser kontert.» Genau so wurde seit Jahrzehnten operiert. Um trotz wachsendem Konsens der Fachwelt punkto Klima das politische Handeln zu behindern, säten Lobbygruppen permanent Zweifel. Das genügt, letzte Wahrheit ist nicht nötig. Was immer kommen mag, die Basis für Bauchentscheide scheint gelegt, individuelle Interessenlagen, oft blanker Egoismus dürften dabei wahrscheinlich das Nein-Lager stärken.

Mit einem sarkastischen Beitrag unter dem Stichwort «Klimagerechtigkeit» befeuerten die Tamedia-Blätter diese Stimmung weiter. «Am Schweizer Himmel fliegen so viele Privatjets wie nirgendwo sonst in Europa. Gewisse Jets stossen in nur drei Flugstunden so viel CO2 aus wie ein Durchschnittsschweizer in einem ganzen Jahr.» Ein vierköpfiges Rechercheteam stützte die Schlagzeile: «Superreiche belasten Klima.» Es war gar zu erfahren, «wer zu den Vielfliegern gehört». Um sich das Echo an den sonntäglichen Frühstückstischen vorzustellen, braucht es wenig Phantasie. Schliesslich waren aus dem SVP-Umfeld zuvor schon die «Energie News» mit passenden Parolen gekommen und erste Nein-Plakate hängen: «Noch mehr bezahlen?», «Benzin-Autos verbieten?» 

«Schützen, was uns wichtig ist»

Die vom Verein Klimaschutz Schweiz am Tag danach geschaltete Anzeige wirkte dagegen fast rührend. «Jetzt informieren und engagieren.» Darüber ein Alpenpanorama: «Schützen, was uns wichtig ist.» Natürlich sprach mir das aus dem Herzen. Auch was im Begleitbrief zur Maiausgabe von ‹umverkehRen› stand: Wenn der Flug- und der Autoverkehr für die Hälfte des Klimaeffektes verantwortlich sind, sei es «höchste Eisenbahn, das zu ändern». Zudem bietet die «für eine zukunftsfähige Mobilität» postulierte Vision der Begrünung und Belebung von lärmenden Fahrzeugen befreiter Flächen mehr als nur Netto-Null. Eine zur Klima-Kampagne lancierte Postkarte und jede Ausgabe des Umverkehr-Magazins machen das deutlich. Diesmal geht es um «kinderfreundlichen Strassenraum», der beim Umbau zu gewinnen wäre. «Was ist wichtiger? Das Klima oder die Mobilität? Autos oder Kinder?» Die meisten müssten da kaum lange überlegen. «Das hindert sie aber nicht daran, im täglichen Leben die Prioritäten genau anders herum zu setzen.» So das Editorial, und die Frage zum Klimaschutzgesetz klingt noch weit drastischer: «Katastrophe oder Zukunft?» Auch hier hätten wir – immer offensichtlicher – zwischen dem einen oder andern zu wählen. Bei einem Nein am 18. Juni dürfte der nächste Termin, welcher allen zum Vormerken ans Herz gelegt wird, ein schwieriger sein. Liesse sich in dem Fall am 30. September wirklich «wieder eine grosse Klimademo in Bern» organisieren?

Negativemissionstechnologie

Viele warten passiv auf technische Lösungen. Wer sich dazu intensiv einlesen will, kann beim ‹vdf›, dem ETH-Verlag, kostenfrei einen Band herunterladen, in dem «Chancen und Risiken von Methoden zur Entnahme und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre» – kurz Negativemissionstechnologien (NET) genannt – differenziert gesichtet werden. Dazu kommen Empfehlungen, formuliert «aufgrund der Analyse des Wissensstandes und einer systematischen Befragung von Fachleuten in der Schweiz». Wobei einleitend festgestellt wird, dass keine der NET ohne Risiken sei, «weder in technisch-ökonomischer noch in sozial-ökologischer Hinsicht.» Aber die durch den Klimawandel induzierten Risiken seien ungleich grösser. In der Schlussbilanz steht deutlich: «Die übergreifende Einschätzung ist, dass die Negativemissionstechnologien kein Allheilmittel für den Klimaschutz darstellen und kein ‹Weiter-wie-bisher› ermöglichen.» Sie reichten allenfalls aus, im Jahr 2050 noch verbleibende, schwer vermeidbare Emissionen auszugleichen. Emissionsminderung «in allen Wirtschaftszweigen und Konsumbereichen» müsste erste Priorität haben. Je früher und je stärker reduziert wird, desto mehr Kosten würden gespart «und Risiken für die Gesellschaft und Umwelt» vermieden. Für den Bund und alle Beteiligten sollte «im Einklang mit dem Ziel des globalen Klimaabkommens» weiterhin Netto-Null bis 2050 die Leitlinie sein.

Umfassender war die Formulierung des Problems beim nationalen Forschungsprogramm «Nachhaltige Wirtschaft», dessen Schlussbericht jetzt ebenfalls erschienen ist: Wie kann, ja kann überhaupt wirtschaftlicher Fortschritt mit sozialer und ökologischer Verantwortung in Einklang gebracht werden? Das sei zu schaffen – «ressourcenschonend, zukunftsorientiert, innovativ». Und wieder sind die Empfehlungen des interdisziplinären Teams «sowohl an politische Entscheidungstragende als auch an den Privatsektor und die Öffentlichkeit» gerichtet. Da wären zwar noch Grundsatzdebatten zu führen, aber die Ansätze aufzunehmen dürfte sich lohnen.

Anpassen und Chance nutzen?

Eigentlich müsste in dem Zusammenhang auch ‹die umwelt› empfehlenswert sein, wo aus Bern quasi offiziell über «natürliche Ressourcen der Schweiz» berichtet wird. «Klimawandel – wie gehen wir damit um?» Der junge Mann auf dem Cover von Heft 2/2023 wirkt locker, obwohl der Zürichsee beim Bellevue nach Starkregen über die Ufer trat. Nur keine Panik! «Heisse Fragen, kühle Antworten.» So stimmt die Direktorin des Bundesamtes für Umwelt, das nun einem SVP-Bundesrat unterstellt ist, auf eine kon­struktive Anpassungsstrategie ein, denn «die Klimaerwärmung ist auf mittlere Frist nicht zu stoppen». Und das hat ja für «Sommermenschen» angenehme Seiten. Für die Städte, wo Hitze vielen zum Problem werden könnte, sind bereits «Cool City»-Pilotprojekte aufgegleist. Auch der Landwirtschaft wird beim Umstellen geholfen. Motto: «Anpassung als Chance.» Alle sollen «mit Wissen zum Wandel» beitragen und gegen Informationslücken, Ohnmacht oder Resignation kann vielleicht landesweit eine «Clim-Expo» starten. Denn die «gute Nachricht» der Bafu-Chefin lautet: «Die Menschen, gerade jene im Alpenraum, haben seit Urzeiten eine Meisterschaft darin entwickelt, sich an Umweltbedingungen anzupassen, die sich verändern.» Sogar auf die bevorstehende Abstimmung geht Katrin Schneeberger im einleitenden Text ein. Dort gehe es um die Frage: Was tun wir, um den Klimawandel zu begrenzen? Weder ein Ja noch ein Nein folgt. «Ich wünsche Ihnen bei Ihrer Entscheidung einen kühlen Kopf. Und uns allen einen grossen Sommer.» Damit bleibt sie sogar unbestimmter als ihr neuer Vorgesetzter.

Wirre esoterische Querfronten

Neben den vor Abstimmungen gewohnten Darstellungs-, Fund- und Begegnungsorten konträrer Positionen sind die angeblich Sozialen Medien für die Stimmung zunehmend wichtig. Ein weites, mir eher fremdes Feld. Doch ich bekomme mit, wenn alte Bekannte in bunten Umzügen mit finsteren Trychlern für Frieden und Freiheit demonstrieren, sich die Regenbogen- mit den Schweizerflaggen mischen. Eine meiner Quellen zum Beobachten solcher Prozesse ist der ‹Zeitpunkt›, dessen jüngste Ausgabe ein Alarmsignal. Christoph Pfluger, der als Herausgeber den esoterischen Rand der Alternativbewegung immer mit einbezog und zu Coronazeiten zu einem Netzwerker der eidgenössisch Querdenkenden wurde, stellt nämlich «plötzlich» fest, diese hätten «die Klimadebatte verpasst». Also soll jetzt, wo es «ernst gilt», Versäumtes nachgeholt werden. Mit einem wirren Paket voller alternativer Fakten wird – wie beim «Impfzwang» zum entschlossenen Kampf aufgerufen, denn «die Umweltbewegung rudert im Boot der Finanzelite, gesteuert wird in den Hinterzimmern der Wallstreet und von Davos». Ein paar Seiten weiter ist ungefähr das Gegenteil zu lesen. Da wird ein Mitbegründer von Greenpeace zitiert: «Mitte der 1980er-Jahre wurden wir von der extremen Linken gekapert.» Die geschürte Klimaangst solle zur CO2-Besteuerung führen und so den Reichtum der Welt umverteilen. Wie ohne fossile Brennstoffe die Menschheit ernährt oder Lebensmittel in Städte gebracht werden sollen, wisse niemand. Zudem nähmen die Temperaturen nicht nur auf der Erde, «sondern im ganzen  Sonnensystem» zu. Letzteres verkündet ein anderer Kronzeuge, von dem Pfluger als Verleger sogar ein Buch vertreibt. Die «anthropogene globale Erwärmung» sei eine unbewiesene Hypothese, die sich auf willkürlich programmierte Computermodelle stütze. Darauf basierende Forschungen lieferten entsprechende Resultate, sonst bezahlten die «Auftraggeber» einfach «jemand anderen, um die gewünschten Ergebnisse zu erhalten». So läuft das halt in Verschwörungskreisen …

Hinzu kommt die tröstliche Botschaft, dass sich alles auf wundersame Weise irgendwie wenden wird, wenn «wir Erwachten» zusammenhalten, unser Wertesystem sich wandelt. Doch zuerst braucht es nun das Nein am 18. Juni, für das Pfluger mit eigenem Porträt in zwei Anzeigen wirbt. «Ich bin öko, sozial und gegen die Abschaffung des CO2», lautet die abstruse Schlagzeile des einen. Dieses sei schliesslich «der wichtigste Nährstoff der Erde». Im zweiten wird das CO2 als «der Borkenkäfer des Klimas» bezeichnet – «seine Ausrottung wird scheitern». Nein-Propaganda ist auch im Newsletter eines frühen Propagandisten von Permakultur aus Winterthur zu finden, dessen rasanten Weg an den rechten Rand ich seit Längerem ungläubig verfolge. Er belegt den zu erwartenden «positiven Wandel ab 2030» neuerdings mit obskuren Prophezeiungen aus «Palmblattbibliotheken». Bei ihm führt ein Link direkt zum Flyer der SVP-Kampagne gegen das «Stromfresser-Gesetz», aber mit der zusätzlichen Warnung verbunden, nicht per Brief abzustimmen, sondern selbst zur Urne zu gehen. «Wenn das viele tun, haben sie ein Problem beim Fälschen des Abstimmungsergebnisses.»

Verunsicherung allenthalben

Diesmal könnten tatsächlich durch Corona hysterisierte Querdenkende, die ja noch gegen das Covid-19-Gesetz mobilisieren, den Ausschlag geben. Aber auch andere tragen ihren Teil zur allgemeinen Verunsicherung bei. Der einstige Alpenschützer Peter Bodenmann etwa mit seinem «Make Grengiols great again». Für das Monster-Solarprojekt im Wallis wurden erst Umweltbelange ausgehebelt, dann zurückgekrebst, als sich nebst eher lauer Begeisterung auch lautes Entsetzen, sogar Widerstand bemerkbar machten. Worauf der schon als SP-Schweiz-Präsident sprunghafte Politakrobat jetzt «das Kindertheater nicht mehr mitmachen» mag. In der Schweiz werde einfach zu wenig gross gedacht. Doch er wird seine «rosa Zukunft» ohne Verzicht im gewerkschaftlichen ‹work› wohl weiter propagieren und als Kolumnist der ‹Weltwoche› kaum schweigen. Polemik, Polarisierung, Verunsicherung. Gift für vernünftige Klimapolitik. Eine deutsche Redakteurin wettert im ‹Zeitpunkt› zudem gegen eine kleine Broschüre, die «Erscheinungsformen der extremen Rechten zwischen Ökologie & Esoterik» unter die Lupe nimmt. Darin würden kritische Menschen, die «einem anderen Lebensentwurf» folgten, gar «Linksalternative», als rechtsextrem diffamiert – «auf Staatskosten»! Denn die Publikation wurde im Rahmen der politischen Bildungsarbeit mit öffentlichem Fördergeld unterstützt. Für ihren Hinweis auf die exemplarische Betrachtung des sich allenthalben verbreitenden Phänomens ist der Kritikerin zu danken. Obschon die Basis der Recherchen das ländliche Hessen ist, finden sich darin Bezüge zur Schweiz, und der ‹Zeitpunkt› selbst zeigt, wie sehr Kreuz- und Querfronten auch hierzulande die Köpfe verwirren.

Die offizielle Auslegeordnung

In den offiziellen «Erläuterungen des Bundesrates», die dieser Tage mit dem Stimmcouvert ins Haus flattern, finden sich vorab zwei Seiten, wo die Klimavorlage «in Kürze» vorgestellt wird. Klimaschutz, Innovation, Energiesicherheit ist eine geschickte Kombination. Sie legt bereits im Titel ein Ja nah, wie von Regierung und Parlamentsmehrheit empfohlen. Weiter hinten, wo «im Detail» die für unser Alpenland durchaus dramatische Ausgangslage sowie die vorgeschlagenen Schritte skizziert werden, ist die Argumentation überzeugend. Der vom Referendumskomitee beigesteuerte Text wirkt phrasenhaft, die «Stromfresser»-Parole kurzsichtig aufs Angstmachen ausgerichtet. Ob und was verboten würde, bleibt allerdings unklar. Aussage steht gegen Aussage, und wer Einschränkungen befürchtet, wird durch die gut sechs Seiten mit kleingedrucktem Gesetzestext kaum noch zum Ja bekehrt. Eher könnten zur Abmilderung eingebaute Relativierungen – wenn «technisch möglich und wirtschaftlich tragbar» – bei Befürwortenden die Begeisterung bremsen. Aber die Etappierung ist plausibel. Einfach wird es nicht.

Wer sich nicht wie ich trotz Vorbehalten zum Ja entschlossen hat, dürfte durch diese Drucksache kaum restlos überzeugt werden. Doch fürs nächste P.S. bereitet Nicole Soland noch eine Sichtung der komplizierten Materie vor.

Literatur

Chancen und Risiken von Methoden zur Entnahme und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre. Hrsg. von Martin Cames u.a. VDE, Zürich 2023, 236 Seiten, 44 Franken. Digital kostenfrei abrufbar.

Nachhaltige Wirtschaft: ressourcenschonend, zukunftsfähig, innovativ. White Paper mit Politikempfehlungen. Schweizerischer Nationalfonds, Bern 2023, 50 Seiten. Infos und PDF: www.nfp73.ch

Klimawandel: Wie gehen wir damit um? Die Umwelt 2 / 2023. Hrsg. vom Bundesamt für Umwelt, Bern, 52 Seiten. Digital abrufbar bei www.bafu.admin.ch

Klima: null Debatte, keine Lösung. Zeitpunkt 173, Mai-Juli 23. Solothurn, 128 Seiten, 15 Franken

Erscheinungsformen der extremen Rechten zwischen Ökologie & Esoterik. Ein Einblick in ländliche Räume Nordhessens. MBT Hessen, Kassel 2022, 32 Seiten. Digital abrufbar.

Volksabstimmung 18. Juni 2023. Erläuterungen des Bundesrates. Hrsg. von der Bundeskanzlei, Bern 2023, 56 Seiten.uch digital abrufbar.

UmverkehRen. Zeitschrift für eine zukunftsfähige Mobilität. Nummer 138 / Mai 2023: Kinderfreundlicher Strassenraum. www.umverkehr.ch

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