«Einfach zu sparen ist noch keine Finanzpolitik»

Der frühere Gemeinderat Kaspar Bopp tritt nach dem überraschenden Rücktritt von Yvonne Beutler als Stadtratskandidat für die SP Winterthur an. Welche finanzielle Zukunft er für die Stadt sieht, wo man seiner Meinung nach nicht mehr sparen kann und wieso er sich für Winterthur etwas mehr Mut wünscht, erklärt er im Gespräch mit Zara Zatti.

 

Die Geschäftsleitung der SP Winterthur hat Sie als Kandidaten für die Nachfolge von Yvonne Beutler nominiert. Wurden Sie von der SP angefragt oder haben Sie ihr Interesse angemeldet?
Kaspar Bopp: Als ich vom Rücktritt gehört habe, war mein erster Gedanke, dass es eine Frau braucht, und ich hätte mir im ersten Moment für eine männliche Kandidatur keine Chance bei einer internen Ausscheidung ausgerechnet. Auf der Schützenwiese in Winterthur traf ich dann zufällig auf einen Vertreter der Findungskommission. Durch das Gespräch wurde mein Interesse geweckt und ich habe eine Kandidatur ins Auge gefasst. Nachdem ich auch aus dem privaten Umfeld Zuspruch erhalten hatte, habe ich mich schliesslich beworben, denn ohne private Rückendeckung wäre so etwas nicht möglich.

 

Hatten Sie schon vor dem überraschenden Rücktritt von Yvonne Beutler Ambitionen, Stadtrat zu werden oder wäre auch eine Rückkehr in den Gemeinderat eine Option gewesen?
Mein damaliger Rücktritt vom Gemeinderat war kein Abwenden von der Politik, sondern hatte familiäre und berufliche Gründe. Mir war immer klar, dass ich eines Tages in die Politik zurückkehren will, den Gemeinderat habe ich nie ausgeschlossen. Zum Thema Stadtrat gibt es eine Geschichte: Noch vor meiner Zeit als Gemeinderat traf ich den zurücktretenden Stadtpräsidenten Ernst Wohlwend an dessen Abschlussfeier und er sagte zu mir: «Du wirst sehen, eines Tages wirst auch du noch Stadtrat.» Von diesem Moment an hat sich der Gedanke irgendwo festgesetzt. Die Partei hat mich auch schon früher angefragt, doch der Zeitpunkt hat einfach noch nicht gepasst.

 

Was reizt Sie am Amt des Stadtrats?
Ganz generell an der Politik reizt mich die hohe Wirkung und die grosse Sinnhaftigkeit der Arbeit, sich für die Gesellschaft und unsere sozialdemokratischen Anliegen einsetzen zu können. Ich denke, dass die Hebel im Stadtrat nochmals grösser sind, auch weil man sich voll und ganz auf seine Aufgabe fokussieren kann. Im Gemeinderat merkte ich den grossen Spagat zwischen Beruf und Politik.

 

Was sind denn Ihre sozialdemokratischen Kernanliegen?
Ich bin überzeugt, dass es der Umgang mit den Schwächsten ist, der bestimmt, wie eine Gesellschaft zusammenhält und unter anderem auch Einfluss auf die Sicherheit innerhalb einer Gesellschaft nimmt. Auch ein sorgfältiger Umgang mit der Umwelt ist mir ein grosses Anliegen, ich selbst lebe mit einem verhältnismässig kleinen Fussabdruck, fahre zum Beispiel häufig mit dem Velo. Auf der anderen Seite komme ich aus einem Grossunternehmen, kenne also auch die wirtschaftliche Seite. Ich hege eine gewisse Faszination dafür, was in einem marktwirtschaftlich kompetitiven Umfeld entstehen kann, bin aber wiederum stark der Überzeugung, dass ein solches Umfeld nur in gewissen Bereichen gewinnbringend ist und vielerorts eingeschränkt und kontrolliert werden muss.

 

Bei einer Wahl Ihrerseits in den Stadtrat sind nur noch zwei Frauen in der Exekutive vertreten. Wie sehen Sie das?
Man hat Gespräche mit sehr qualifizierten Frauen geführt, diese standen aber aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Verfügung. Wir haben in der SP viele sehr gute und starke Frauen und ich bin stolz darauf für eine solche Partei zu kandidieren. Die SP Winterthur hat mit Mattea Meyer im Nationalrat, Jacqueline Fehr im Regierungsrat oder Sarah Akanji starke Frauen auf verschiedenen Ebenen. Ausserdem hat die SP Winterthur vor zehn Jahren letztmals einen Mann bei einer Vakanz im Stadtrat nominiert – seither ausschliesslich Frauen. Ich glaube, dass wir mit gutem Gewissen jetzt einen Mann bringen können.

 

Bei den kantonalen Wahlen in Zürich waren die Frauen und die grünen Parteien die grossen Gewinnerinnen. Wie stark schätzen Sie diesbezüglich ihre Konkurrentin Annetta Steiner von der GLP ein?
Die Stärke meiner Kandidatur liegt im grün-sozialen Lager, das ich hinter mir habe. Bei den Regierungsratswahlen haben diese Kräfte hervorragend abgeschnitten, das grün-soziale Lager wurde dort gestärkt. Zudem muss man auch die lokale Ausgangslage betrachten. Mit Yvonne Beutler tritt eine Sozialdemokratin zurück, die überzeugte und bei den Gesamterneuerungswahlen vor einem Jahr hervorragend abgeschnitten hat. Ich bringe das nötige Werkzeug mit, um ihre Arbeit weiterzuführen und vertrete eine ähnliche Position wie Yvonne Beutler.

 

Was für eine Position ist das?
Ich vertrete zum einen überzeugt die Grundwerte der SP. Dann aber auch meine sehr rationale Sicht, die mir schon als Parlamentarier sehr wichtig war, wo ich mich für pragmatische und vor allem auch umsetzbare Lösungen eingesetzt habe.

 

Auf Ihrer Wahlhomepage fordern Sie lokales Handeln beim Klimaschutz. Welche konkreten Möglichkeiten sehen Sie in Winterthur?
Ich bin der Meinung, dass die Stadt in Bezug auf ihren Strombezug konsequent sein und vollständig auf Strom aus fossilen Brennstoffen verzichten muss. Da sehe ich auch die Stadtverwaltung in der Verantwortung, sich konsequent auf ökologische Vorsätze auszurichten, gerade was die Stromherkunft, aber auch den -verbrauch angeht. Das grösste Potenzial liegt in Wärmeverbünden – allerdings muss man auch bereit sein, in solche zu investieren. Wenn nötig auch mit Mitteln aus dem steuerfinanzierten Bereich. Im Bereich der Bauvorgaben können wir gute Vorgaben in Bezug auf den Baumbestand oder die Freiraumgestaltung machen. Ein grosses Thema ist natürlich der Verkehr. Die Stadt wird weiterwachsen, und es muss uns gelingen, ÖV, Velo- und Langsamverkehr zu stärken und so den motorisierten Individualverkehr in der Stadt zu reduzieren.

 

Die Chancen sind intakt, dass Sie bei einer Wahl das Finanzdepartement Ihrer Parteikollegin übernehmen würden. Ist das auch Ihr Wunschdepartement?
Ich würde mich natürlich auf jedes Departement freuen, aber aufgrund meines Werdegangs wäre ich für das Finanzdepartement prädestiniert. Durch mein Studium und meine Arbeit als Risikoanalyst, aber auch durch meine analytische Denkweise, meine Zahlenaffinität und meine Fähigkeit, auch in grossen Zahlenmengen das Wesentliche zu erkennen, bringe ich das nötige Rüstzeug mit und würde die Aufgabe mit Freude übernehmen.

 

Die Rechnung 2018 fiel mit einem Plus von 37 Millionen Franken besser aus als erwartet. Wie positiv schauen Sie in die finanzielle Zukunft von Winterthur und welche Heerausforderungen sehen Sie?
Ich weiss aus Erfahrung, dass man einen solchen positiven Abschluss nicht überbewerten darf. Häufig ist das durch Einmaleffekte verursacht, etwa durch überraschende Steuereinnahmen oder ausserordentliche Erträge aus Grundstückgewinnen. Langfristig bin ich überzeugt, dass sich Winterthur gut entwickelt – auch finanziell. Kurz- und mittelfristig sehe ich aber grosse Herausforderungen finanzieller Natur auf die Stadt Winterthur zukommen. Ähnlich wie bei anderen grossen Städten im Kanton mit Zen-
trumswirkung, wo die für den Kanton notwendigen Wachstumsentwicklungen stattfinden. Wir sind dadurch mit Kostentreibern konfrontiert, bei denen nur wenig Handlungsspielraum besteht, etwa bei der Schule.

 

Was sind nebst der Schule die anderen grossen Kostentreiber?
Die Pflegefinanzierung sowie die Ergänzungsleistungen und die Sozialhilfe. Bei allen haben wir ebenfalls wenig Spielraum, weil sie auf übergeordneten gesetzlichen Vorgaben beruhen und hohe Kosten zur Folge haben, die von der Stadt selbst getragen werden müssen. Im Kanton wird momentan diskutiert, wie man den Soziallastenausgleich anders gestalten kann. Das ist sehr wichtig und wir müssen schauen, dass wir darauf Einfluss nehmen können.

 

Den Soziallastenausgleich als einen grossen Hebel. Gibt es noch andere?
Laut einer Studie kann man den Kostenanstieg bei der Sozialhilfe dämpfen, wenn man die Fallzahlen pro Kopf, also die Anzahl Fälle, die von einem Sozialarbeiter betreut werden, senkt. Dabei führt jeder investierte Franken zu Minderausgaben von rund einem Franken und fünfzig Rappen. Solche Massnahmen muss man prüfen, sie sind aber sehr beschränkt. Dort, wo wir keinen Einfluss nehmen können, sind wir auf den Dialog mit dem Kanton angewiesen.

 

Auf Ihrer Homepage sagen Sie, alleine die Ausgaben zu reduzieren sei noch keine Finanzpolitik. Wie sieht eine erfolgreiche Finanzpolitik Ihrer Meinung nach aus?
Für mich braucht es eine ausgeglichene und ehrliche Budgetierung. Dabei muss man immer zuerst über die Leistungen sprechen, die die Stadt erbringen muss, über die Bedürfnisse der Bevölkerung. Danach werden die finanziellen Bedürfnisse abgeleitet. Es ist klar, dass die Einnahmen und die Ausgaben übereinstimmen müssen, das ist absolut zentral. Was aber nicht geht, sind pauschale Sparanträge, wie das die GLP einst versucht hat. Damals wurde ein pauschaler Sparantrag auf die einzelnen Produktegruppen aufgeteilt, was am Schluss zu unzähligen Sparanträgen in der Höhe von 0,6631 Prozent führte. Einfach zu sparen ist noch keine Finanzpolitik. Wenn man sparen muss, dann muss man sagen, welche Leistungen gekürzt werden sollen, die Diskussion muss sich um Leistungen und nicht um Frankenbeträge drehen.

 

In Ihrer Zeit als Gemeinderat haben Sie zwei massive Sparprogramme miterlebt, das eine in der Aufsichtskommission selbst mitbetreut. Was haben Sie daraus gelernt?
Für mich ergaben sich ein paar wichtige Erkenntnisse aus diesen Sparprogrammen. Was die Stadt damals sehr gut gemacht hat und sich rückblickend auch bewährt hat, ist die Festlegung von gewissen Bereichen, bei denen man nicht sparen wollte. Bevor man in das Sparprogramm gestartet ist, hat man festgelegt, dass etwa die Frühförderung nicht tangiert werden soll. Das müsste man meiner Meinung nach wieder so machen. Eine weitere Erkenntnis ist die Tatsache, dass man die Auswirkungen von solchen Sparmassnahmen nicht immer genau abschätzen kann. So wurde beispielsweise sehr viel beim Personal eingespart, etwa im Sozialbereich oder im Departement Bau. Viele städtische Investitionen sind nun ausstehend, weil wir nicht genügend Personal haben, um die Projekte zu planen. Das sind Sparübungen, die uns teuer zu stehen kommen. Das darf nicht sein. So würgen wir wichtige Entwicklungen in unserer Stadt ab, die sich langfristig auszahlen – auch finanziell.

 

Sie haben von festgelegten Spartabus gesprochen – wo sehen Sie solche?
Ich finde es immer schwierig, wenn man bei den Ärmsten spart. Es ist richtig, dass die SP mit Verbündeten im grünsozialen Lager das Referendum gegen die Kürzung der Beihilfen zur AHV und IV ergriff – und in der Volksabstimmung haushoch gewann. Was mich persönlich sehr stört, ist, dass die Steuerhinterziehungen nicht zu einem grösseren Aufschrei geführt haben, während die Sozialhilfe unter Dauerbeschuss steht. Dem Staat sind Milliardenbeträge entgangen, da ist der gesamte Sozialhilfemissbrauch – den es natürlich konsequent zu bekämpfen gilt – ein Tropfen auf den heissen Stein. Wer in der Stadt Winterthur schon lange unter die Räder kommt, ist das Personal. Das ist für mich, nach dem langjährigen Druck, mittlerweile ein rotes Tuch. Beim Personal können wir nicht mehr sparen, im Gegenteil: Wir müssen wieder zu einem attraktiveren Arbeitgeber werden. Die Stadtverwaltung ist angewiesen auf gutes Personal, für gutes Personal braucht es attraktive Arbeitsbedingungen und diese sind in der Stadt Winterthur definitiv nicht gegeben.

 

Sie sind in Winterthur aufgewachsen. Was schätzen Sie an Winterthur besonders und was fehlt Ihrer Meinung nach?
Mir gefällt, dass Winterthur eine Stadt mit vielen Bäumen und Grünflächen ist. Innerhalb von 15 Minuten ist man ausserdem von jedem Punkt der Stadt im Wald – ich finde das eine hohe Qualität und profitiere selbst davon. Neben dem grünen Charakter hat Winterthur ein vielfältiges kulturelles Angebot und ist sehr lebendig: Das merkt man, wenn man an einem Sommerabend durch die Steinberggasse geht, dort pulsiert es richtiggehend. Winterthur ist eine Stadt für alle, trotzdem glaube ich, dass es Verbesserungspotenzial gibt: Der Umgang mit Mitarbeitern muss besser werden aber auch in die Quartierzentren müssen wir investieren. Diese Stadt wird wachsen und da braucht es Strukturen, die dieses Wachstum auffangen und den sozialen Zusammenhalt fördern. Dies soll meiner Meinung nach auf Quartiersebene geschehen. Denn wir haben in Winterthur bereits wahnsinnig schöne und lebhafte Quartiere, nun gilt es dafür zu sorgen, dass diese zu starken Zentren werden, wo sich die Menschen treffen und vernetzen. Das stärkt den sozialen Zusammenhalt. Zuletzt wünschte ich mir manchmal ein etwas mutigeres Winterthur. Ein Beispiel ist der Verkehr, wo ich finde, dass wir noch zu behutsam vorgehen, um den Agglomerationsverkehr aus der Stadt zu verdrängen. Die Entwicklung der Stadt ist auch eine Chance, dass wir vermehrt Genossenschaftswohnungen bauen können – alle Faktoren zeigen, dass dort auch die Steuerkraft wächst und eine Stadt lebendiger wird.

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