Einfach gut

Jetzt gilt es ernst: Am Sonntag stimmen wir über das neue Stromgesetz ab. Es ist ein waschechter schweizerischer Kompromiss, der nach über zweijährigem Verhandeln im eidgenössischen Parlament zustande kam. Kein Wunder, wurde im Abstimmungskampf schon mal – ob bewusst oder nicht, bleibe dahingestellt – abgekürzt und vereinfacht, um die Stimmberechtigten in die ‹richtige› Richtung zu lenken. Im Flugblatt der Allianz-Stromgesetz, das ich letzte Woche aus dem Briefkasten fischte, steht beispielsweise, die Erneuerung und der Ausbau des Stromnetzes ab 2025 kosteten «laut dem nationalen Parlament 82 Milliarden Franken», das bedeute rund 10 000 Franken Mehrkosten pro Haushalt bis 2050, «bitte budgetieren Sie diese Ausgaben ab 2025». Weiter schreibt die Allianz, es würden in allen Haushalten Smart Meter installiert. Der Stromversorger könne sodann «bei Strommangellagen» die Wärmepumpen, Solaranlagen oder Boiler der Haushalte ferngesteuert abschalten. Zudem dürfe der Netzbetreiber ab dem 1. Januar 2025 den Stromtarif alle 15 Minuten ändern, und zu guter Letzt seien Einsprachen gegen Windanlagen nach Annahme des Gesetzes «zwar noch möglich, aber grundsätzlich aussichtslos».

Nun stimmen wir am Sonntag zwar weder über den Netzausbau noch über Smart Meter ab, und wären Einsprachen gegen Windanlagen «grundsätzlich aussichtslos», dann wäre das Recht darauf sicher nicht in der Vorlage drin. Immerhin ist auf der Webseite Allianz-Stromgesetz.ch aber verlinkt, woher die 82 Milliarden Franken stammen: In einer der Beratungen im Parlament, jener vom 8. Juni 2023, fasste Ständerat Beat Rieder (Die Mitte/VS) eine Netzkostenstudie des Bundesamts für Energie zusammen. Im Szenario «Weiter wie bisher» würden die Investitionen im Netzbereich gemäss dieser Studie bis 2050 45 Milliarden Franken kosten, im Szenario mit dem Ziel Netto-Null bis 2050 wären es 75 Milliarden und inklusive zusätzlichem Ausbau der Photovoltaik 82 Milliarden. Dass SVP-Bundesrat Albert Rösti zu Rieders Votum anmerkte, «wir haben die grossen Zahlen gehört. Vielleicht muss schon immer auch gesagt werden, dass sowieso 45 Milliarden Franken benötigt werden, einfach auch aufgrund der Erneuerungen. Das relativiert vielleicht die grosse Zahlenbasis etwas», ist auf parlament.ch im Protokoll jenes Verhandlungstags nachzulesen. Auf dem Flugblatt der Allianz-Stromgesetz steht es leider nicht.

Aber müsste es das überhaupt? Die überparteiliche Allianz meint es doch nur gut mit uns, sie will uns warnen, dass uns Bundesrat und Parlament jederzeit ohne Vorwarnung etwas Teures und Schädliches andrehen würden, gäbe es nicht aufmerksame Bürger:innen, die uns ganz uneigennützig per Flugblatt darüber informieren. Wer hinter der Allianz steht, ist übrigens auf dem Flugblatt nicht vermerkt, aber auf der Webseite Allianz-Stromgesetz.ch nachzulesen (siehe auch P.S. vom 10. Mai): Namentlich genannt werden fünf Männer, alle mit dem Titel «Dipl. Ing.», aber ohne Hinweis darauf, wer welcher Partei angehört.

Kurz zusammegefasst, ging die Geschichte der Gegner:innen im Abstimmungskampf so: Man will euch etwas aufs Auge drücken, was euch teuer zu stehen kommt und eh nix bringt. Man will euch für dumm verkaufen! Die Befürworter:innen hingegen wiesen uns darauf hin, dass wir mit dem Ja zur Energiestrategie 2050 beschlossen haben, dass wir die Produktion erneuerbarer Energien stark ausbauen wollen. Dies gelte es nun umzusetzen, und zwar dort, wo der Ertrag am höchsten ist und gleichzeitig die (potenziellen) Schäden am geringsten sind.

Natürlich wissen alle, dass es den Fünfer und das Weggli – neue Anlagen für mehr erneuerbare Energie, die null Spuren hinterlassen – nicht gibt. Es gibt ja nicht einmal Anlagen für die nicht-erneuerbare Stromproduktion, auf die das zutrifft. Oder seit wann sind Gaskraftwerke oder AKW dafür bekannt, sich harmonisch in die Natur und Landschaft einzufügen? Also sagen die einen, wenn ich nicht den Fünfer und das Weggli haben kann, dann lasse ich lieber ganz die Finger davon. Die anderen wollen die Herausforderung annehmen, auch wenn sie wissen, dass es nicht einfach wird.

Doch zum Glück gibt es nicht nur Schwarz oder Weiss auf dieser Welt, und es gibt auch Menschen, die selbst dann für neue Anlagen sind, wenn diese in ihrer Nachbarschaft entstehen. Das zeigt eine aktuelle Serie zur Energiewende auf beobachter.ch: «Gegen nachhaltige Energiegewinnung hat in der Schweiz kaum jemand etwas – bloss nicht vor der eigenen Haustür. Wir besuchen drei Gemeinden, die trotzdem Ja gesagt haben zu Anlagen für erneuerbare Energien», ist dort zu lesen. Vorgestellt werden die Windräder in Saint-Imier im Berner Jura, der Solarpark in Visperterminen im Wallis und eine «riesige» Energiezentrale in Glarus Süd («Es gab keine einzige Einsprache»).

Interessant auch, dass es im ‹Beobachter›-Artikel heisst, die Windräder in Saint-Imier seien Teil des dortigen touristischen Angebots, was Arbeitsplätze und Verdienst vor Ort einschliesst. Umgekehrt lehnten beispielsweise die Stimmberechtigten der Bündner Gemeinde Surses den vom EWZ geplanten Solarpark unter anderem deshalb ab, weil sie befürchteten, mit einer solchen Anlage wäre ihre Gemeinde nicht mehr attraktiv für Tourist:innen. Da sind sie wieder, der Fünfer und das Weggli: Man kann nicht gleichzeitig das Geld für den Solarstrom nehmen und die Anlage im eigenen Dorf ablehnen. Doch auch das ist nichts Neues: Egal, wo in den Bergen ich schon am Wandern war – die ‹Fahne› über dem Kühlturm von Gösgen sieht man von überall her. Gehen wir deswegen nicht mehr in die Berge? Sicher ist: Wer Solarpaneele auf das Dach seines Hauses montiert, kann während der nächsten mindestens 25 Jahre Strom ernten, ohne Brennstoff in irgend einer Form nachkaufen zu müssen. Wer vom Geschäft mit nicht-erneuerbaren Energien lebt, hat daran logischerweise keine Freude. Für ihn oder sie wäre es viel besser, wenn die Menschen nicht – oder jedenfalls nicht rasch – auf Erneuerbare umstellten. Wem nützt es also, wenn die SVP pausenlos warnt, die erneuerbaren Energien reichten nirgends hin?

Über das Stromgesetz habe ich deutlich mehr Artikel geschrieben als über andere Abstimmungsvorlagen. Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass Technik selten so elegant daherkommt wie in Form von Solarpaneelen und Windturbinen: Die Sonne scheint einfach, der Wind weht einfach, wir brauchen sie bloss zu ernten. Und sind es nicht oft die einfachen Dinge im Leben, die einem am meisten Freude bereiten? Feine Pasta, ein gutes Buch, ein bequemes Velo – und als Sahnehäubchen obendrauf am Sonntag ein deutliches Ja zum Stromgesetz: Was will man mehr?