Gemeinsam für eine grüne Zukunft

Seit dem 24. August haben Selma L’Orange Seigo und Simon Meyer das Co-Präsidium der Grünen Kanton Zürich von Marionna Schlatter übernommen. Wieso sie auf Partizipation setzen und was es mit dem Green New Deal auf sich hat, erklären sie im Gespräch mit Fabienne Grimm.

 

Am 24. August wurden Sie beide als neues Präsidium der Grünen Kanton Zürich gewählt. Wie sind Sie in die Politik und zu den Grünen gekommen?

Simon Meyer: Ich bin bereits als Kind mit grüner Politik und grünen Themen in Kontakt gekommen. Meine Eltern waren bei den Grünen und haben mich oft mit dem Velo an Treffen der Grünen mitgenommen. Bei uns zuhause wurde viel über Politik gesprochen. Wir waren eine sehr politisch denkende und diskutierende Familie. Ausschlaggebend für mich, selbst in der Partei aktiv zu werden, war allerdings Bastien Girod. Er debattierte damals im ‹Kassensturz› mit einem SUV-Fan und hat mich sehr beeindruckt. Daraufhin habe ich mich bei den Jungen Grünen gemeldet und wurde ihr erster Revisor. Kurz darauf wurde ich in Niederweningen Gemeinderat. 

Selma L’Orange Seigo: Meine Geschichte ist etwas kürzer (lacht). Matthias Probst, mit dem ich seit dreieinhalb Jahren zusammenarbeite, fragte mich, ob ich nicht auf der Liste der Grünen für den Gemeinderat kandidieren wolle. Ich liess mich aufstellen, wobei ich wusste, dass die Chancen für eine Wahl sehr gering waren. Vor einem Jahr bin ich dann in den Kantonsrat gewählt worden. Da hat es für mich mit der Politik so richtig angefangen.

 

Selma L’Orange Seigo, Sie sind im Kantonsrat und arbeiten an der ETH. Simon Meyer, Sie sind Co-Geschäftsführer ihrer eigenen Rechtsberatungs- und Treuhandfirma. Jetzt übernehmen Sie das Parteipräsidium und damit viel Arbeit. Wieso tut man sich das an?

S.M.: Ich fühlte mich fast schon verpflichtet dazu, jetzt etwas zu machen. Die Situation ist eindeutig: Es muss gehandelt werden. Mir war klar: Ich habe die finanziellen Möglichkeiten und bin ungebunden. Da erwarte ich von mir, dass ich mich einsetze. 

S.L.S.: Meine Stelle bei der ETH endet im Oktober. Danach beschränkt sich meine Tätigkeit auf den Kantonsrat, das Präsidium und die Betreuung meiner beiden Kinder. Ausserdem habe ich das Glück, dass mein Ehemann mir den Rücken freihält. Einerseits finanziell, andererseits kümmert er sich bei Abendterminen um die Kinder. Viele haben diese Möglichkeiten nicht. Insofern ist es für mich auch ein Privileg, das Amt antreten zu können. 

S.M.: Absolut. Und aus Privilegien folgt auch immer Verantwortung. Wenn man in einer privilegierten Situation ist, hat man die Verantwortung, sich für jene einzusetzen, die nicht dieselben Privilegien haben. 

 

War es für Sie beide klar, dass es ein Co-Präsidium sein soll?

S.M.: Für mich war ganz klar, dass ich das Amt nur im Co und nur zusammen mit einer Frau übernehmen werde. Zwei Männer an der Spitze der Grünen Zürich wäre für mich unhaltbar gewesen.

S.L.S. Ich hätte es theoretisch auch allein gemacht. Dennoch bin ich sehr froh, einen Partner zu haben. Ein Co-Präsidium passt zu den Grünen. Es hat bei uns beiden in Bezug auf die wichtigsten Kernfragen auch gleich gefunkt. Und trotzdem sind wir zwei unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Sichtweisen, Kompetenzen und Erfahrungen. Das macht die ganze Sache spannend und ist sicher bereichernd. 

 

Ist der Druck nach den Wahlerfolgen im letzten Jahr nicht sehr gross? Der potenzielle Fall ist hoch…

S.L.S.: Ich finde es motivierend, eine Partei auf einem Höhepunkt (ich sage bewusst nicht dem Höhepunkt) zu übernehmen. Die Leute haben Energie und Lust darauf, etwas zu verändern. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass es mindestens so gut bleibt, wenn nicht sogar noch besser wird als bisher. Das ist sicherlich keine leichte Aufgabe. Wir können uns nicht einfach zurücklehnen und denken, wir reiten die grüne Welle, die rollt ja sowieso. Wir müssen sicherstellen, dass sie weiterrollt.

S.M. Ich finde, wir müssen uns auf Sachfragen konzentrieren. Die grüne Wende muss jetzt kommen. Wenn die anderen Parteien dies nicht begreifen, dann müssen wir Grünen deutlich grösser werden, damit wir die Wende auch tatsächlich durchbringen können. Wenn die anderen Parteien allerdings mitziehen, kann ich auch mit Verlusten leben. Mir geht es um grüne Themen und wenn alle Parteien grüne Politik machen, zahle ich gerne den Preis, weniger Stimmen zu erhalten.

 

Kann es also sein, dass es die Grünen vielleicht irgendwann gar nicht mehr braucht?

S.L.S.: Die Rolle der Grünen ist es, mehr zu fordern als die anderen. Wir müssen neue Ideen entwickeln und diese voranbringen. Nur weil die anderen mitziehen, können wir nicht aufhören. Die anderen Parteien sind, was Klimafragen anbelangt, jetzt mittlerweile dort, wo wir vor zehn Jahren hinwollten. 

S.M.: Wenn wir jetzt den Erdölausstieg schaffen, die lebensbedrohliche Klimaerwärmung eingedämmt haben und alle gesellschaftlichen Probleme in den nächsten zehn Jahren gelöst haben, dann werden wir vielleicht obsolet (lacht). Dann nehmen wir es gern in Kauf, wenn wir nur noch acht Prozent der Stimmanteile haben. 

 

Sie haben gerade den Erdölausstieg und gesellschaftliche Probleme angesprochen. Was genau sind Ihre zentralen Anliegen?

S.L.S.: Wir sind die Grüne Partei, wir bleiben die Grüne Partei. Wir setzen uns für Umweltanliegen und das Klima ein. Ein weiterer Fokus ist für uns sicher auch die Gleichstellung.

S.M.: Ein wichtiges Anliegen ist der Green New Deal, mit dem sich momentan ja viele beschäftigen. Eigentlich handelt es sich dabei um ein staatliches Investitionsprogramm in Bildung, in nachhaltige In­frastruktur aber auch in die Sozialverträglichkeit der grünen Wende. Bei einem fossilen Ausstieg ist immer auch mit sozialen Problemen zu rechnen. Was macht man beispielsweise mit jenen Menschen, die im fossilen Sektor arbeiten? Die können nicht alle Solaringenieure werden. Diese Faktoren und Probleme können mit einem Green New Deal abgefedert werden. Grundlegend im Green New Deal ist ein antizyklisches, respektive antikonjunkturelles Handeln des Staates. Das heisst, dass der Staat dann investiert, wenn die Konjunktur fällt, und dann Geld abschöpft, wenn sie steigt. So hat er für Krisensituationen einen Puffer. Wie wichtig das ist, hat die Coronapandemie deutlich gemacht. Ich bin dafür, dass man die sechs Milliarden, mit denen Frau Amherd neue Kampfjets kaufen will, in den Green New Deal investiert. Dann hätten wir ein wahnsinnig gutes Programm und wären der grünen Wende bereits sehr nahe.

S.L.S.: Wir haben gerade, was den Green New Deal betrifft, viele Fragen aufgeworfen, aber noch nicht alle Lösungen gefunden. Es wird unsere Aufgabe sein, die Grundsätze des Deals auf Kantonsebene herunterzubrechen und konkrete Vorschläge auszuarbeiten. Dies können wir nicht allein entscheiden, sondern zusammen mit der Geschäftsleitung, mit dem Vorstand und mit interessierten Mitgliedern. Wir wollen keine Partei sein, in der die Parteizentrale vorschreibt, was Mitglieder zu sagen und machen haben.

 

Es geht Ihnen also auch um Inklusion und Partizipation?

S.L.S.: Absolut. Wir wollen Mitglieder einbinden und den gegenseitigen Austausch fördern. Gerade Vernetzung spielt eine wichtige Rolle. Wir wollen, dass die Mitglieder nicht nur Ideen, sondern auch Inspiration, Erfahrungen und Motivation miteinander teilen. Die Leute sollen sich weniger als Einzelkämpfer fühlen. 

S.M.: Gerade auf dem Land fühlt man sich als Grüner oft als Einzelkämpfer. Ich finde es wichtig, dass wir diesen Leuten den Rücken stärken. Wenn wir mit den Sachthemen vorankommen wollen, ist es nützlich, gute Vorstösse miteinander zu vernetzen. 

S.L.S.: So ist es. Und das heisst für mich auch, dass wir auch nicht-institutionelle Politik pflegen müssen. Es gibt viele Regionen, in denen es schlicht keine grünen Amtsträger gibt. Und trotzdem setzen sich die Grünen vor Ort für coole Sachen, wie beispielsweise für Renaturierung ein. Diese Leute müssen wir unterstützten. 

 

Es soll also einfacher werden, sich im Kleinen und auf seine Weise zu engagieren?

S.L.S.: Wir müssen die Leute befähigen, ihre eigenen Ideen umzusetzen. Wir können das Gefäss und die Strukturen schaffen, mit Hilfe derer engagierte Menschen zusammenkommen und sich für grüne Themen einsetzen können. Hier gilt es auch die Ressourcen von verschiedenen Menschen zu nutzen. Jemand der beispielsweise gut programmiert, kann uns helfen, die parteiinterne Arbeit effizienter zu gestalten. Die Möglichkeiten, die Partei weiterzubringen sind unendlich.

S.M. Ich finde die Idee einer Willkommenskultur für engagierte Leute sehr schön.

 

Will man die Leute so mehr in ihrer individuellen Alltagsrealität abholen?

S.L.S.: Das fände ich schön. Viele Leute wissen doch gar nicht genau, was in der Kantonspolitik läuft. Trotzdem wollen sie sich für etwas Grünes einsetzen. Unterstützen wir diese Leute, bleibt auch das Momentum weiter erhalten. Dennoch müssen wir uns weiterhin auf die grossen Themen fokussieren und nach Aussen Schwerpunkte setzen. 

S.M.: Wir sind uns natürlich auch bewusst, dass wir allein schon mit dem Alltagsgeschäft viel zu tun haben werden. Da reicht die Zeit nicht aus, alle Ideen umzusetzen. Man darf das «daily business» nicht unterschätzen.

 

Die Klimajugend kritisierte die Grüne Partei in den letzten Wochen stark. Haben sich die Grünen zurückgelehnt nach den letzten Wahlen?

S.L.S.: Nicht alles, was die Klimajugend fordert, ist umsetzbar in der institutionellen Politik. Sind die Forderungen zu radikal, wird man nicht mehr als ernstzunehmender Partner wahrgenommen. Ich muss auch mit FDP verhandeln können. Daran sind Sechzehnjährige, die vor dem Rathaus demonstrieren, natürlich nicht gebunden. Sie können und sollen ruhig mehr fordern. Der Druck von der Strasse gibt uns Legitimation. Trotzdem finde ich es wichtig, dass unsere demokratischen Institutionen respektiert werden. Und wenn wir unsere Demokratie wahren wollen, kann man gewisse Dinge einfach nicht von heute auf morgen entscheiden.

S.M. Ich finde es schade, wenn man sich in Bezug auf ökologische Fragen gegenseitig zerfleischt. Alle Mitstreiter der grünen Wende müssen zusammenarbeiten, sei es die Politikerin, der Klimaaktivist oder einfach jemand, der bewusst kein Fleisch mehr isst. Aber ich bin schon auch der Meinung, dass wir radikalere und grundlegende Veränderungen fordern müssen. Wie wichtig der Druck von der Strasse ist, hat der Frauenstreik und die Einführung der gesetzlichen Lohngleichheitsanalyse deutlich gezeigt. Wenn viele Menschen demonstrieren und Forderungen stellen, geht es meist auch gesetzlich vorwärts. 

 

Wir haben über Alltagsrealitäten gesprochen. Wie kommuniziert man ökologische Themen wie die Klimakrise, die die Alltagsrealität der Menschen teilweise noch nicht direkt betrifft? 1,5 Grad wärmer klingt für viele zuerst mal nicht so schlimm.

S.M.: Das ist tatsächlich schwierig, denn beim Klimawandel fühlt man die Bedrohung nicht. Deshalb ist wichtig, dass man immer wieder darüber spricht und auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam macht. Ich will nicht sagen, dass wir den Leuten Angst machen müssen, aber das Bewusstsein dafür, was der Klimawandel für uns alle bedeutet, muss geschaffen werden.

S.L.S.: Wir Menschen sind generell nicht gut darin, unsere Handlungen zu ändern für etwas, das vielleicht in 40 Jahren stattfinden wird. Doch der Klimawandel ist bereits jetzt spürbar, man denke an die Hitzesommer. Abgesehen davon finde ich positive Botschaften sehr wichtig. Wir müssen nicht nur betonen, wie schlimm es sein wird, wenn wir nichts machen, sondern auch, wie schön es sein kann, wenn wir etwas ändern. Eine Stadt, in der man zu Fuss überall hinkommt, in der es nicht viele Autos gibt, in der Kinder draussen spielen können, in der es Pärke gibt, ist eine lebenswerte Stadt. Ich glaube, es braucht eine positive Vision. Eine Vision, die klimafreundlich, umweltfreundlich und sozialverträglich ist. Dabei geht es nicht um Technologiefeindlichkeit oder um eine Rückkehr in die Steinzeit, wie es oftmals angedeutet wird. 

S.M.: Absolut! Die grüne Zukunft ist nicht Verhinderungspolitik. Sie ist topmodern, schön und lebenswert.

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