Karin Weyermann: «Wir müssen wieder mehr den Dialog suchen, um unsere Probleme zu lösen.» (Bild: Gian Hedinger)

Eine Speakerin für den Dialog

Karin Weyermann soll für die Mitte einen Stadtratssitz erobern. Bei einem Einsatz als Speakerin erzählt sie, was sie an der Mitte schätzt und wieso Politik für sie wie Schlittenfahren ist.

Karin Weyermann zieht das obere Blatt um eine Linie nach unten. So sieht sie, wer als Nächstes ins Rhönrad steigt. Weyermann holt kurz Luft, nimmt das Mikrofon in die Hand und kündigt eine Turnerin des STV Untersiggenthal an. «Die Wertung der letzten Turnerin: 9,20», sagt Weyermann weiter. Wir sitzen auf einer Holzbank am Rand der Fronwald-Turnhalle in Zürich Affoltern. Hier finden an einem Herbstwochenende Rhönradwettbewerbe statt und die Mitte-Stadtratskandidatin Karin Weyermann ist als Speakerin im Einsatz. «Meine Schwester hat den Wettkampf mitorganisiert und hat mich angefragt», erklärt Weyermann. Sie habe schon immer einen gewissen Redebedarf gehabt und habe kein Problem, vor Leuten zu sprechen. Als die Weltmeisterschaften in Magglingen stattfanden, habe sich der Moderator der Eröffnungsshow, den sie als Act ansagen sollte, nicht wirklich wohlgefühlt, auf Englisch zu sprechen, weshalb Weyermann dann eingesprungen ist und sie die Veranstaltung gemeinsam moderiert haben.

Weyermanns Schwester ist ehemalige Turnerin und ehemalige Nationaltrainerin des Schweizerischen Rhönrad-Nationalteams. Gemeinsam sind die beiden Schwestern auch schon zu einem internationalen Anlass in Japan gereist. Auf die Kandidatur ihrer Schwester angesprochen, sagt sie: «Ich denke, sie hat das Zeug zur Stadträtin. Karin ist eine gute Gesprächspartnerin, die sich pragmatisch für Lösungen einsetzt.»

Sie habe sich schon immer für Politik inte­ressiert, erzählt Weyermann. Auch in der Familie war das immer wieder Thema. «Dann hat mich ein Bekannter angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, bei der CVP mitzumachen.» So wurde Weyermann Listenfüllerin bei den Gemeinderatswahlen 2006. Stück für Stück habe sie sich dann in die Partei eingelebt und rutschte 2011 in den Gemeinderat nach. «Die ersten Jahre musste ich erst lernen, wie der Rat und die Politik funktioniert. Doch ich fand schnell Freude daran, im Gemeinderat zu sprechen und in der Kommission zu arbeiten.» Nach sieben Jahren im Amt ging die erste Zeit als Gemeinderätin für Weyermann abrupt zu Ende. Die CVP verlor bei den Wahlen 2018 ein Prozent Wähler:innenanteil und erreichte in keinem Wahlkreis die Fünf-Prozent-Hürde. Die gesamte Partei flog aus dem Gemeinderat.

Als es 2022 darum ging, wieder ins Parlament einzuziehen, habe sie sich zum ersten Mal eine Stadtratskandidatur überlegt, sagt Karin Weyermann. «Ich hätte Lust gehabt, es zu versuchen. Aber ich fand dann auch, dass die Kandidatur von Josef Widler die bessere Lösung war, um den Sprung zurück ins Parlament zu schaffen.» Widler blieb bei der Stadtratswahl zwar chancenlos, aber die Mitte schaffte es in den Gemeinderat. In drei Wahlkreisen schaffte die Partei die Fünf-Prozent-Hürde. 

Politik als Schlittenfahrt

Grund für den Erfolg dürfte auch der Namenswechsel gewesen sein. 2021 fusionierten CVP und BDP und nennen sich seither «Die Mitte». «Gerade in der Stadt Zürich war dieser Namenswechsel ausschlaggebend», meint Karin Weyermann. Nun könne man bei Standaktionen endlich nur über Politik sprechen und müsse nicht noch über Religion diskutieren. Sie selber habe sich am christlichen «C» nicht gestört. «Ich bin katholisch aufgewachsen und habe auch ministriert. Unsere Kirchgemeinde war aber ziemlich progressiv, mit der Kirche aus dem Vatikan konnte ich nie etwas anfangen», sagt Karin Weyermann und muss kurz unterbrechen, um zu schauen, wer als Nächstes an der Reihe ist.

Es warten noch zwei Turnerinnen in der Kategorie Spirale, zeigt die Liste von Weyermann. Dort versucht man, das Rad querzustellen und nur auf einem der beiden Räder zu fahren. Im Kinderwettbewerb, der an diesem Nachmittag ausgetragen wird, bekommen wir dabei immer wieder Stürze zu sehen. Während ich als Rhönrad-Neuling noch bei jedem Sturz zusammenzucke, nimmt ihn der Rest der Halle einigermassen gelassen zur Kenntnis. Es sind etwa 150 Menschen anwesend. Wer kein Turnkleid trägt, ist meist Elternteil eines der Kinder, die im Rhönrad durch die Halle fahren. Während der Vorführungen ist es still. Auch Karin Weyermann und ich unterhalten uns nur im Flüsterton. Wenn die Turner:innen ihre Übungen beendet haben, hält die Jury eine Note nach oben, die dann von Weyermann verlesen wird. «Wie schwierig einzelne Teile sind und was genau Abzüge gibt, ist für mich auch nach mehreren Jahren an Rhönrad-Wettkämpfen noch nicht ganz klar», sagt Weyermann.

Am liebsten seien ihr die Wettkämpfe mit Musik, die dann am nächsten Tag stattfinden. Weyermann ist schon lange begeisterte Musikerin und spielt Klarinette bei der Polizeimusik Zürich-Stadt. Beruflich ist sie aber nicht bei der Polizei tätig. Sie ist Bezirksratsschreiberin und stellvertretende Statthalterin im Bezirk Pfäffikon. Weyermann hätte auch das Anwaltspatent. «Aber das ist definitiv nicht, was ich machen möchte. Mir gefällt es besser, eine vermittelnde und überprüfende Rolle einzunehmen, als einen Pol zu vertreten.»

Das hörte man auch, als Weyermann von der Mitte einstimmig zur Kandidatin nominiert wurde. Eine Delegierte sagte damals zum Regionaljournal Zürich Schaffhausen von Radio SRF: «Karin Weyermann ist eine geeignete Kandidatin, weil sie den Fuss mal links und mal rechts raushalten kann.» Darauf angesprochen sagt Weyermann: «Es ist wie beim Schlittenfahren: Wenn man nur einen Fuss raushält, landet man links oder rechts im Graben. Wer ans Ziel kommen will, braucht beide Richtungen.» Das fehle ihr aktuell im Gemeinderat, wo Grüne, AL und SP eine Mehrheit haben. «In der Zeit von 2011 bis 2018 gab es mehr Kompromisse, es wurde mehr diskutiert. Heute sind viele Abstimmungen schon entschieden, bevor sie überhaupt begonnen haben. Linksgrün dominiert einfach. Im Stadtrat sind gar sechs von neun Personen links, da ist das Ungleichgewicht noch grösser.» 

Um das zu ändern, unterstützen Mitte, FDP und SVP ihre Kandidaturen. Auf die Frage, ob die Mitte neben den lauten und deutlich grösseren anderen bürgerlichen Parteien nicht etwas untergeht, sagt Weyermann: «Wir haben eine gute Zusammenarbeit und die Mitte profitiert sicher davon, im Stadtratswahlkampf von den anderen Parteien unterstützt zu werden.» Besonders mit Përparim Avdili und Marita Verbali, die sie aus dem Gemeinderat kennt, habe sie eine gute Zusammenarbeit. Dass die SVP mit Ueli Bamert nach der Nomination von Avdili auch noch einen Kandidaten für das Stadtpräsidium aufstellte, habe sie «irritiert», sagt Weyermann. «Wenn wir der Linken das Stadtpräsidium streitig machen wollen, müssen wir geeint auftreten.» Deshalb verzichtet die Mitte auf eine eigene Kandidatur und unterstützt Avdili als Stadtpräsidenten. Sie selber würde jedes Departement nehmen, das sie bekomme. «Im Sozialdepartement würde ich mich aufgrund meines beruflichen Hintergrunds sicher wohl fühlen. Mich würde es aber auch reizen, mich in ein Thema einzuarbeiten.»

Polarisierung überall

In der Halle laufen nach einer kurzen Pause mittlerweile zwei Wettkämpfe gleichzeitig. Im hinteren Teil der Halle springen die Turner:innen über oder durch das Rhönrad auf eine dicke Matte, vorne wird in der Kategorie «Gerade» geturnt, in der das Rhönrad auf beiden Rädern bleibt und die Turner:innen währenddessen in verschiedenen Positionen auf oder im Rhönrad sind. Weyermann, die sonst sehr ruhig und trotzdem eher ausschweifend antwortet, kommt neben dem Gespräch und der doppelten Speakerinnenaufgabe einmal kurz aus dem Konzept. War es nun die Turnerin aus Frauenfeld oder jene aus Waldstatt, die gerade beim Sprung war? Kurz darauf hat sie den Überblick wieder und nutzt die weitangereisten Turner:innen gleich, um zu zeigen, wo sie mit der Verkehrspolitik der Stadt Zürich nicht überall einverstanden ist. 

«Es wird einfach ideologisch immer gegen das Auto politisiert. Jedes Mal, wenn wir im Gemeinderat über eine Turnhalle sprechen, werden gleich noch ein paar Parkplätze gestrichen. Wie soll jemand aus dem Thurgau oder aus dem Appenzell mit dem öffentlichen Verkehr an einem Samstag um 9 Uhr hier in die Halle kommen?», sagt Weyermann. Ihr gefalle an der Mitte die Mischung aus einer bürgerlichen Politik in Finanz- und Verkehrsfragen und einer etwas linkeren Haltung bei der Sozialpolitik. «Mir ist es wichtig, dass Menschen, die zu wenig haben, unterstützt werden. Einfach allen Geld nachzuschiessen, wie es die Linken teilweise machen, widerstrebt mir.»

Zudem schätze sie an der Mitte, dass es in Zürich eine kleine, familiäre Partei sei, bei der man sich schnell einbringen kann. Eine andere Partei wäre für sie zwar denkbar, aber nicht nötig. «Klar gibt es Überschneidungen mit der GLP und der FDP. Aber ich wäre wohl bei der FDP eher zu links und bei der GLP eher zu rechts. Also passt die Mitte perfekt.» Passenderweise ist das wichtigste Thema für Weyermann die Polarisierung. Geht es nach ihr, nimmt sie überall in der Gesellschaft und auch im Gemeinderat zu. «Wir müssen wieder mehr den Dialog suchen, um unsere Probleme zu lösen.» Etwa bei der Gewalt, die sie als Fussballfan und GC-Unterstützerin umtreibe. Oder auch bei Demonstrationen: «Ich habe das Gefühl, immer öfter gibt es dabei nur schwarz und weiss. Entweder ist die Polizei böse und die Demonstranten super oder die Polizei absolut fehlerfrei und die Demonstranten an allem schuld. Ich bin der Meinung, dass es da mehr Differenzierung braucht.» Die Drogenpolitik habe gezeigt, dass es manchmal auch etwas Repression brauche. Es sei aber wichtig, auch andere Mittel einzusetzen, und vor allem: im Dialog zu bleiben, sagt Weyermann. So ist es im gesamten Gespräch. Wenn es um Probleme geht, ist Weyermanns Lösung, miteinander zu reden.

Denn für Karin Weyermann ist der Dialog nicht nur ein politisches Mittel, sondern auch gleich politischer Inhalt.

Stadtratswahlen 2026

An dieser Stelle portraitieren wir bis Ende Januar alle 16 Kandidat:innen der Gemeinderatsparteien für die Stadtratswahlen 2026. Diese Woche ist es die Mitte-Gemeinderätin Karin Weyermann.