Bild: Baugeschichtliches Archiv / Juliet Haller

Eine jüdische Sammlung

Voraussichtlich bis Mitte Juli wollen die Auftraggeber:innen der unabhängigen Überprüfung der bisherigen Provenienzforschung der Stiftung Sammlung E. G. Bührle ihrerseits Stellung zum am letzten Freitag vorgestellten Abschlussbericht beziehen.

Wie bereits der Forschungsbericht zur Entstehung der Sammlung Emil Bührle im historischen Kontext eines Fachgremiums rund um Matthieu Leimgruber ist auch der Forschungsbericht der Überprüfung der eigenen Provenienzforschung der Stiftung Sammlung E. G. Bührle eines Fachgremiums rund um Raphael Gross eine betont sachliche Aufarbeitung des aktuell neusten erlangten Wissensstandes. Anhand von fünf ausgesuchten Werken wurden die stiftungseigenen Vorarbeiten auf deren Haltbarkeit hin überprüft. Entgegen der Provenienzforschung der Bührle-Stiftung, die sich auf das Einzelwerk fokussierte, stellt der Bericht die Geschichte der Vorbesitzer:innen und Vermittler:innen in den Mittelpunkt der Recherche und schärft damit die Kontextualisierung der Verkäufe. Eine vertiefte weitere Untersuchung der während der Recherche zutage getretenen Unzulänglichkeiten in Gründlichkeit, Methodik und Fazit vonseiten Bührle-Stiftung hält der Bericht dezidiert für nicht zielführend. Was die ursprünglich 204 als Dauerleihgabe ans Zürcher Kunsthaus gelangten Kunstwerke anbelangt, sieht der Bericht ein weiterhin gesteigertes Interesse an fürderhin zu erbringender Provenzienzrecherche. Der Bericht stellt darüber hinaus die Frage zur Disposition, ob die Präsentation der Ergebnisse dieser sehr viel weitreichenderen Geschichtsschreibung als bis anhin nicht besser in einem darauf spezialisierten Haus statt in den Räumen eines Kunstmuseums fliessen sollten.

Drei zentrale Empfehlungen

Zuhänden der Auftraggeber:innen spricht der Bericht drei Empfehlungen aus: «1. Es muss weitere Provenienzforschung unternommen werden, die sich auf die Aufklärung des jüdischen Vorbesitzes und des verfolgungsbedingten Entzugs der Werke aus der ‹Sammlung Emil Bührle› konzentriert. 2. Die Zürcher Kunstgesellschaft sollte ein multiperspektivisch besetztes Gremium einsetzen, das ein Prüfschema für NS-verfolgungsbedingten Entzug entwickelt und dann sowohl für die eigene Sammlung des Kunsthauses Zürich wie auch für die Dauerleihgaben anwendet. 3. Der Zürcher Kunstgestellschaft wird nahegelegt, eine (ggf. öffentlich geführte) Auseinandersetzung mit dem Titel ‹Sammlung Emil Bührle› zu führen.» Dies, weil anhand der fünf vertieft untersuchten Stichproben mehrere Annahmen und die daraus geschlossenen Folgerungen als nicht haltbar erscheinen. «Die insoweit bislang unternommenen Anstrengungen reichen nicht aus, um die von der Kunstgesellschaft Zürich und ihren Zuwendungsgeber:innen im Subventionsvertrag festgelegten Standards zu erfüllen.»

Die gewichtigsten Themenkomplexe zur Zeit sind: Die Trennschärfe der Definitionen von «Fluchtgut» und «NS-verfolgungsbedingt entzogen» inklusive der daraus folgenden Einstufung in derzeit zwei verschiedene zur Anwendung gelangende Ampelsysteme der Kennzeichnung/Einordnung. Die von der Stiftung Bührle angewendete Zuschreibung wiewohl die Bemühung um eine restlose Aufklärung hat sich im Zweifel als nicht belastbar herausgestellt. Insbesondere bezüglich der nur unzulänglich nachverfolgbaren Provenienzen, die in einer umfassenderen Kontextualisierung mittels des Einbezugs der Lebensgeschichten der Vorbesitzer:innen bislang zu leichtfertig als unproblematisch eingestuft worden waren. Während der Recherchen hat sich herausgestellt, dass zum aktuellen Stand des Wissens mindestens 62 Werke jüdische Vorbesitzer:innen hatten. Die Vermutung liegt nahe, dass sich diese Zahl noch als zu tief veranschlagt herausstellen wird, dass sich die Gesamtzahl der Leihgaben nach weiterer Forschung demzufolge noch weiter verringern dürfte. Mindestens die 90 Werke aus der bisherigen Kategorie B empfiehlt das Gremium einer erneuten vertieften Untersuchung zu unterziehen.

Zig verschränkte Komplexe

Was in Laienkreisen allenthalben augenscheinlich war, dass Bührle, der seine Sammlung zwischen 1936 und 1956 aufgebaut hatte, was ihm einerseits die steile Vermögenssteigerung durch Waffenverkäufe an die Agressoren und andererseits die galoppierende Notlage für jüdische Personen, ihre Werke – unter welcher Prämisse auch immer – überhaupt auf den Markt zu bringen, erst ermöglichten, führt die bisherige stiftungsseitige Bemühung, allein formaljuristische Spitzfindigkeiten für entscheidend zu erklären, aufs Abstellgleis. Handkehrum betont der Bericht, dass allein die Feststellung, ein Werk sei nachweislich oder höchstwahrscheinlich NS-verfolgungsbedingt entzogen worden, kein Präjudiz oder Automatismus nach sich zieht, wenn es um Fragen der Restitution oder weiterführender Vereinbarungen mit den Erb:innen geht. Die Entscheidung darüber fällt letztlich der Eigentümer, was nicht die Zürcher Kunstgesellschaft, sondern die Sammlung Bührle ist. Was indes vonseiten Subventionsgeber:innen und Kunstgesellschaft in der jüngsten Subventionsvereinbarung verschärft formuliert worden ist, bezieht sich auf die Bereitschaft, unter denen das Ausstellen der Kunstwerke akzeptabel ist. Der jetzt vorliegende Bericht hat sich entlang eng gefasster Fragestellungen darauf konzentriert, ein tragfähiges Fundament für die weitere Beurteilung der anschliessend notwendigerweise zu treffenden Massnahmen zu erarbeiten. Salopp zusammengefasst lässt sich aber bereits jetzt feststellen, dass die sogenannte Sammlung Bührle zu einem bedeutenden Teil eine jüdische Kunstsammlung ist.

Bezüglich der seit 1989 am Leben erhaltenen «Zweifel» ob der Gerechtfertigung für eine Schweizerische Institution zur Provenienzforschung von unrechtmässig erlangten Vermögenswerten, wird der Kunstgesellschaft empfohlen, davon unabhängig tätig zu werden, und in einer der raren über die diplomatische Ausgewogenheit der Wortwahl hinausreichenden Voten von Raphael Gross  stellte er ebendieses «Zweifeln» grundsätzlich infrage: «Der Vertrag (Washingtoner Erklärung) ist unterschrieben». Damit ist das Einverständnis und die Anerkennung von dessen Notwendigkeit «offensichtlich». Die Frage, wer unter welcher Prämisse eine Entscheidung herbeiführen werde und insbesondere, wer für die bis dahin anfallenden Kosten aufkommen soll, nannte Raphael Gross «eine politische Frage», die zu beantworten sein Mandat bei weitem überschreite.

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