Eine gerechte Repräsentation bringt die SP weiter

Islam Alijaj

 

Am 20. Oktober haben wir einen grünen Tsunami erlebt. Dank der Klimawahl ist unser Parlament nicht nur grüner, sondern auch weiblicher und jünger geworden. Das ist gut so. Betrüblich ist jedoch die Tatsache, dass dieser Linksrutsch ohne die SP über die Bühne gegangen ist. Schlimmer noch: Unsere Partei hat eine historische Niederlage eingefahren. Doch lamentieren hilft nichts, klar ist: Wir müssen über die Bücher. Das gilt für alle, von der Führungsspitze bis zur Basis. Dabei geht es nicht darum, unsere Parteifarbe zu ändern, wie es die FDP getan hat, indem sie das Blau mit einem Schuss Grün gemischt hat – dazu betreiben wir schon zu lange grüne Politik. Vielmehr müssen wir das inzwischen etwas verblichene Rot wieder zum Leuchten bringen.

 

Betrachten wir das Ganze etwas genauer. Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, geht es doch um eine zentrale Frage: Wie können wir uns als Zivilisation weiterentwickeln und gleichzeitig die Diversität von Mensch, Tier und Umwelt in Einklang bringen? Sicher nicht, indem wir mit einer überhasteten Klimapolitik das Gefälle zwischen Reich und Arm vergrössern oder mit einer profitorientierten und exzessiven Wirtschaft unseren Lebensraum weiter zerstören. Die SP verfügt über sämtliche Voraussetzungen, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern und eine Politik für alle statt nur für wenige zu machen. Das Parteiprogramm ist eins a, und keine Basis widerspiegelt die Vielfalt der Bevölkerung besser als jene unserer Partei. Eigentlich müssten wir längstens die Marke von 25 Prozent erreichen. Eigentlich. Das Problem ist jedoch, dass die Diversität auf dem Weg von der Basis in die höheren Gefilde der SP markant abnimmt und unser Versprechen für eine vielfältige Gesellschaft zu einer Floskel verkommt. Und das, liebe Genossinnen und Genossen, ist ein echtes Problem.

 

Die Lösung liegt in einer gerechteren Repräsentation. Dass diese Strategie äusserst erfolgreich ist, zeigen die Errungenschaften in der Gleichstellung von Mann und Frau. Also soll mir niemand in unserer Partei sagen – und erst recht nicht jene, die lediglich ihre Macht gefährdet sehen –, dass wir mit dieser Haltung in den Gremien und Listen keine besseren Lösungen finden. Überhaupt liegt in diesen Machtansprüchen der (rote) Hund begraben. Es darf nicht sein, dass sich eine Gruppierung mehr Einfluss sichert und auf einem oder gar zwei Augen blind für eine gerechte Repräsentation ist. Nur wenn wir wieder eine SP schaffen, die ein Ohr für unsere vielfältige Basis hat und diese Anliegen umzusetzen versteht, können wir unser Potenzial – das nach wie vor da ist – heben. Das ist anspruchsvoll, aber nicht unmöglich. Dabei hilft uns etwa intersektionelles Denken. Was ich damit meine, zeigen zwei Beispiele.Nehmen wir die Verkehrspolitik. Gerade in der SP Zürich wird das Auto gerne verteufelt, während man den öV in den Himmel hebt. Man kann die Limmatstadt durchaus autofrei machen, aber das bedeutet, dass der öffentliche Verkehr für alle zu jeder Zeit zugänglich ist. Was aber geschieht, wenn wir das Auto aus der Stadt verdrängt, das öV-Angebot aber nur halbherzig barrierefrei ausgebaut haben? Dann stehen viele Zürcherinnen und Zürcher buchstäblich auf der Strasse und verfluchen die Politikerinnen und Politiker, die für diesen Schlamassel verantwortlich sind. Und das wären in diesem Fall nicht nur die Bürgerlichen.

 

Oder betrachten wir die Familienpolitik. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird weiter an Wichtigkeit zunehmen. Zwar schiessen Tagesschulen und Kitaplätze wie Pilze aus dem Boden, nur leider richtet sich die Mehrzahl der Angebote an Paare, die dem gängigen Profil entsprechen und sich einen Krippenplatz leisten können. Alleinerziehende, gleichgeschlechtliche Paare oder Familien mit Kindern mit Behinderungen stehen oft vor verschlossenen Türen. Dabei hätten gerade sie diese Unterstützung bitter nötig. Deshalb gilt es, eine Basis zu legen, die von Anfang an für alle Familien gilt. Diese zwei Beispiele zeigen, wie viel im intersektionellen Denken steckt. Das sollten wir bei der Weiterentwicklung unserer Strukturen nutzen, bevor es andere tun.

 

Nach wie vor ein zentrales Anliegen ist die Gleichstellung. Dabei geht es nicht nur um jene von Mann und Frau, sondern ebenso um jene von Menschen ohne und solchen mit Behinderungen. Denn eine Behinderung ist für die Betroffenen immer noch ein Armutsrisiko, und auch zahlreiche Mütter, die sich jahrelang um ihr behindertes Kind kümmern, stehen zum Schluss ohne Altersvorsorge da. Und was, wenn diese Kinder im Erwachsenenalter kein selbstbestimmtes Leben führen können, weil die Angebote fehlen?

 

Wir dürfen nicht länger nur davon reden, eine Partei der Vielfalt zu sein, wir müssen das mit einer nachvollziehbaren Politik beweisen – ansonsten werden wir erneut scheitern. Deshalb ist für mich klar, dass unsere Parteiverantwortlichen Strukturen schaffen müssen, die eine gerechte Repräsentation ermöglichen. Kurz: Die SP muss offener, agiler und interessanter werden und wieder eine glaubhafte Partei für alle statt nur für wenige werden.

 

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