Eine Arche für Zürcher KünstlerInnen

In den letzten Hallen des ansonsten abgebrochenen Güterbahnhofs Zürich dreht sich alles um die Nachlässe von Zürcher KünstlerInnen. Alles? Nicht ganz: Noch bis am 25. Januar findet im Art Dock Zürich die 67. jurierte Weihnachtsausstellung statt. Wie es zu diesem Wink mit dem Zaunpfahl an die aktuelle Kulturpolitik der Stadt Zürich kam, erklärt Art-Dock-Zürich-Kurator Guido Magnaguagno im Gespräch mit Nicole Soland.

P.S.: Die aktuelle Ausstellung im Art Dock Zürich trägt mehrere Titel; nebst «Visarte presents: Schöne Bescherung» heisst es auf dem Flyer auch «67. Weihnachtsausstellung der Zürcher KünstlerInnen». Dass es das Art Dock schon über 60 Jahre gibt, ist mir neu…

Guido Magnaguagno: Es handelt sich ja auch nicht um eine Art-Dock-Ausstellung, sondern um die Zürcher Weihnachtsausstellung. Wir haben ihr die Nummer 67 gegeben, weil niemand so genau weiss, die wievielte es ist. Aber dass die ersten Weihnachtausstellungen so lange zurück liegen, liess sich feststellen? Weihnachtausstellungen gibt es im Kanton seit den 1950er-Jahren, in der Stadt sogar bereits seit dem ‘Roten Zürich’ der 1930er-Jahre; damals hiess die städtische Weihnachtausstellung noch «Ausstellung für notleidende Künstler». Warum denn das? Jene KünstlerInnen, die zu diesen Ausstellungen eingeladen wurden, erhielten im Anschluss oft Aufträge für Wandbilder, oder die Stadt kaufte ihnen ein Bild oder eine Skulptur ab.

Wie ist die Stadt darauf gekommen, ihre Kunstförderung ausgerechnet über Ausstellungen zu organisieren?

Die Idee hatte ein Adjunkt der Präsidialabteilung namens Dionys Gurny, der zu Stadtpräsident Klötis Zeiten tätig war. Dessen Nachfolger, Stadtpräsident Landolt, war ein Freund der Künste und führte die Tradition fort, es wurde eine Stipendienkommission und eine Ankaufskommission installiert. Unter diesen guten Bedingungen wuchs und gedieh die städtische Kunstszene über viele Jahre.

Das sagt sich rückblickend leicht; wie es die KünstlerInnen damals gesehen haben, wäre eine andere Frage…

Ich habe in beiden Kommissionen viele Jahre lang mitgearbeitet und kenne die hiesige Kunstszene zudem aus meiner über 20-jährigen Tätigkeit erst als Kurator und dann als Vizedirektor des Kunsthauses Zürich gut. Es geht mir nicht darum, dass «früher alles besser» war. Ich stelle einfach fest, dass die mit staatlichen Geldern bezahlte Präsentation des einheimischen Schaffens und der Ankauf von Werken hiesiger KünstlerInnen durch die Stadt offenbar nicht mehr zeitgemäss sind.

Vielleicht hat die Stadt heute einfach andere Prioritäten?

Davon gehe ich aus. Zurzeit wirft ja die Manifesta 11 ihre Schatten voraus, und so, wie dieser Event aufgegleist wurde, ist nicht damit zu rechnen, dass Zürcher KünstlerInnen speziell zum Zug kommen werden. Aber auch diese Geringschätzung einheimischen Schaffens hat in Zürich unterdessen bereits Tradition.

Wie meinen Sie das?

1989 wurde Carlo von Castelberg als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft von Thomas Bechtler abgelöst, und es änderte sich Vieles von dem, was das Kunsthaus zuvor jahrzehntelang ausgezeichnet hatte: Die Zürcher Sektion der Visarte, des Berufsverbands der bildenden KünstlerInnen, die ich heute präsidiere, wurde rausgeschmissen beziehungsweise hatte nichts mehr zu sagen, und Kommissionen wurden mit Wirtschaftsleuten umbesetzt. Die Kunstszene, die sich einst in der Kunsthalle, der Shedhalle und dem Museum für Gestaltung breit machen durfte, wurde immer mehr ausgedünnt. Stattdessen sollte die Idee von «Atelierbesuchen» verfolgt werden, doch damit erreichten die KünstlerInnen natürlich nie mehr die Resonanz, die ihnen einst sicher gewesen war. Vielmehr drohte ihnen endgültig die Vereinzelung. Kurz: 1989 kam eine neue ‘Regierung’ aus dem Umfeld des neuen Sponsors Credit Suisse ans Ruder, und diese neuen Leute krempelten alles um.

Sind Sie bezüglich dieses Wechsels nicht etwas voreingenommen? Immerhin wurde 2001 Christoph Becker Kunsthaus-Direktor und nicht Guido Magnaguagno…

Dass ich Kunsthaus-Direktor werden wollte, ist ein altes Gerücht, das auch dadurch nicht wahrer wird, dass es der damalige Stadtpräsident in Umlauf gebracht hat. Richtig ist: Ich war die perfekte Nummer 2 hinter Felix Baumann, und ich wäre auch die perfekte Nummer 2 hinter Christoph Vitali gewesen. Aber Christoph Vitali wurde nicht zum Direktor gewählt, weshalb er auch keine Nummer 2 brauchte. Stattdessen trat mit Christoph Becker ein Direktor an, für den es offenbar nie zu international zu- und hergehen kann.

Dass die Kunstszene immer internationaler wird, ist allerdings nicht nur in Zürich zu beobachten.

Dagegen ist ja grundsätzlich auch nichts einzuwenden. Aber in Zürich breitet sich die internationale Szene immer stärker auch an jenen Orten aus, die einst noch den Einheimischen vorbehalten waren. Die Shedhalle etwa stufen einige KünstlerInnen unterdessen als eine Art Sekte ein. In der Kunsthalle stellen heute in erster Linie internationale KünstlerInnen aus, auch wenn das ursprünglich nicht so gedacht war. Und im Helmhaus wird zwar noch einheimische Kunst ausgestellt, was die Zürcher KünstlerInnen entsprechend zu schätzen wissen – doch vom Umfang her ist das, was dort passiert, längst nicht mehr mit früheren Zeiten zu vergleichen: Es werden lediglich zwölf KünstlerInnen aufs Mal für eine Gruppenausstellung berücksichtigt, und das logischerweise auch nur, wenn sie gerade etwas auf Lager haben, was ins Konzept für die jeweilige Ausstellung passt sowie zu dem, was die andern elf zu bieten haben.

Und deshalb wurden die städtischen Weihnachtsausstellungen nun still und leise privatisiert und ins Art Dock gezügelt?

So kann man es natürlich auch ausdrücken… Tatsache ist, dass es in den vergangenen Jahrzehnten jeweils alle drei Jahre eine unjurierte Weihnachtausstellung gab und in den zwei Zwischenjahren zwei jurierte. Die letzte jurierte datiert allerdings von 1988, und die letzte unjurierte fand 2011 auf dem Zollfreilagerareal statt. Seither wurde Eva Wagner, welche diese Ausstellungen zuletzt organisierte, pensioniert, und es sieht nicht danach aus, als plane die Stadt, die Tradition weiterzuführen. Deshalb hat Visarte Zürich die Initiative ergriffen, und das Art Dock hat den Raum zur Verfügung gestellt.

Sie inszenieren somit im Art Dock einen Wink mit dem Zaunpfahl an die Adresse der Präsidialabteilung?

Der Titel «Schöne Bescherung» lässt natürlich mehr als eine Lesart zu… Uns ging es aber in erster Linie darum, den Zürcher KünstlerInnen endlich wieder eine grosse, jurierte Ausstellung zu bieten und damit die eingefrorene Tradition wiederzubeleben.

Manchmal schlafen Traditionen zu Recht ein…

Auch das kann man verschieden sehen. Tatsache ist, dass die Tradition im Art Dock gerade am Weiterleben ist. Das Bedürfnis der KünstlerInnen nach solchen Ausstellungen ist offensichtlich gegeben.

Das stimmt – doch weil die Ausstellung derart kurzfristig anberaumt wurde, war es etlichen Interessierten schlicht nicht möglich, ihre Dossiers rechtzeitig parat zu haben.

Die Zeit war tatsächlich knapp, allerdings auch für die Jury, die Klaus Born, Jérémie Crettol, Daniela Minneboo und Alessandra Ruggieri (mit einer Stimme), Chantal Wicki und ich bildeten. Nichtsdestotrotz gingen über 200 Anmeldungen ein, aus der wir 144 Werke auswählten. Angesichts dieser Resonanz stellt sich die Frage eigentlich nicht mehr, ob die Stadt sich nicht nach wie vor um Ausstellungsmöglichkeiten für einheimische KünstlerInnen kümmern müsste…

Das Art Dock tut es – doch wie kann sich der kleine private Verein diesen Effort eigentlich leisten?

Gar nicht; wir machen mit der Weihnachtsausstellung ein Riesendefizit. Weil wir der Meinung sind, dass wir etwas anbieten, was genau genommen die Stadt anbieten müsste, sind Gesuche hängig. Wir haben aber noch keine Antwort darauf erhalten.

Geld hat man normalerweise dann, wenn man etwas wirklich will. Die letzten Weihnachtsausstellungen fanden zudem auf Brachen statt, die unterdessen überbaut sind.

Es würde mich nicht erstaunen, wenn man bei der Stadt so argumentierte. Dass eine Ausstellung in fünf Züspa-Hallen wie anno 1972 heute viel zu teuer wäre, ist uns schon klar. Einfach gar nichts mehr zu machen, kann es aber auch nicht sein.

Wäre es nicht einfacher, sich bei der Stadt für eine Wiederaufnahme der Weihnachtsausstellungen einzusetzen, statt sich die ganze Arbeit selbst aufzuhalsen?

Klar, nur: Das haben wir versucht. Seit rund vier Jahren nehme ich etwa zweimal pro Jahr an einer Sitzung teil, an der es um solche Themen geht. Aber die Leute in der Verwaltung, die dafür zuständig wären, können sich offenbar in den von ihnen subventionierten Kunstinstituten nicht durchsetzen. Das ist auch der Grund, warum wir unsere Ausstellung im Art Dock «67. Weihnachtsausstellung» getauft haben: So erfahren die BesucherInnen, dass sie gerade Kunst geniessen, die ihnen eigentlich die Stadt hätte zugänglich machen müssen. Für die Manifesta 11 hat sie ja auch genügend Geld. Oder für das Dada-Jubiläum nächstes Jahr.

Sie schauen zum Rechten, weil es sonst niemand macht?

Uns geht es einfach gegen den Strich, dass die KünstlerInnen immer weniger zu melden haben. Der Kunsthandel und die Galerien blühen, und Grossanlässe wie die Manifesta 11 sind als Vehikel des Standortmarketings und als Geldesel des lokalen Tourismus gern gese- Guido Magnaguagno hen. Aber die lokalen KünstlerInnen werden bestenfalls noch als BittstellerInnen wahrgenommen.

Und das wollen Sie mit einer Ausstellung in einer zwischengenutzten Halle ändern, die in zwei, drei Jahren platt gemacht wird?

Zürich braucht eine lebendige Kunstszene, und die findet nicht nur in extra gebauten Kunsthäusern statt. Sie ist der Humus, auf dem alles gedeiht. Es würde deshalb auch nicht schaden, wenn Zürich eine die ganze Region umfassende Kunstszene pflegte, wie es etwa in Bern oder Basel der Fall ist: Die Basler Szene erstreckt sich bis nach Freiburg im Breisgau, also über die Landesgrenze hinaus. Auch rund um Zürich herum, sowohl im Kanton Zürich wie auch in den angrenzenden Kantonen, gäbe es noch viel gute Kunst zu entdecken – so man denn Augen hätte, zu sehen. Kunst ist Widerspruch und nie platt.

Bild: Alessandro Ligato

«Schöne Bescherung»

Unter dem Titel «Visarte presents: Schöne Bescherung. 67. Weihnachtsausstellung der Zürcher KünstlerInnnen» sind im Art Dock Zürich noch bis am 25. Januar 2015 144 Werke von Zürcher KünstlerInnen ausgestellt. Zu sehen gibt es von Gemälden über Skulpturen und Videoinstallationen bis hin zu Konzeptkunst (fast) alles, was das Herz begehrt. Die Ausstellung erstreckt sich über die letzten zwei Hallen des ansonsten abgebrochenen Güterbahnhofs, und sie ist das ideale Ausflugsziel über den Jahreswechsel für alle, die nach all dem Shopping und feinen Essen Lust haben auf Genuss, der weder den Geldbeutel noch die Silhouette ungebührlich belastet. nic.

Weihnachtsausstellung im Art Dock Zürich, Hohlstrasse 258, 8004 Zürich, bis 25. Januar 2015.
Öffnungszeiten: Mo-Fr von 15 bis 20 Uhr, Sa-So 14 bis 18 Uhr, Feiertage (24./25. Dezember und 1. Januar) geschlossen. Finissage mit Auktion, Glühwein und Requiem am 25. Januar von 15 bis 24 Uhr. Zu den Hallen gelangt man von der Bushaltestelle (Bus 31) unter der Hardbrücke her; wer mit dem öV anreist, kann auch die Busse 33 und 72 oder das Tram 8 nehmen oder die paar Schritte von einem der Züge, die am Bahnhof Hardbrücke halten, zu Fuss gehen.
www.art-dock-zh.ch, www.visarte-zuerich.ch, www.demut-mueller.ch

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