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Eine andere Asylpolitik ist möglich

In der schweizerischen Asylpolitik ist der Verschärfungswettbewerb in vollem Gange. In der fünften und letzten Folge dieser Serie steht die gegenteilige Frage im Zentrum: Wie können wir die Situation von Schutzbedürftigen verbessern? Welche Verbesserungen wären bereits heute möglich? Und wo müssten wir dazu unsere Gesetze ändern?

Die Asylpolitik der letzten Jahre brachte praktisch nur Verschärfungen. Darum absorbierte der politische Abwehrkampf viele Kräfte der Asylbewegung. Dieser letzte Beitrag will dagegen das Potenzial für reale kleine und grössere Verbesserungen ausloten.

Beat Jans: sichere Flucht stärken!

Schon ohne Gesetzesänderungen könnte der Bundesrat sichere Fluchtwege für mehr Bedrohte schaffen. Drei Möglichkeiten: 

1. Humanitäres Visum gesetzeskonform umsetzen. Ist eine Person unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet, so kann sie auf der Schweizer Botschaft vorsprechen und sollte ein humanitäres Visum erhalten, um legal einreisen und in der Schweiz ein Asylgesuch stellen zu können. In einer Weisung hat das SEM allerdings festgehalten, für ein solches Visum sei ein aktueller und enger Bezug zur Schweiz von wesentlicher Bedeutung. Diese massive Einschränkung steht aber weder im Ausländer- und Integrationsgesetz noch in der Verordnung dazu!

2. Kontingentsflüchtlinge aufnehmen. Das UNHCR sucht verzweifelt Plätze für besonders verletzliche Flüchtlinge, z.B. alleinerziehende Frauen mit kleinen Kindern, die als anerkannte Flüchtlinge in einem Flüchtlingslager sind, aber eine definitive neue Heimat brauchen. Über grosse Resettlementkontingente entscheidet der Bundesrat in eigener Kompetenz, kleinere liegen sogar in der alleinigen Kompetenz von EJPD-Vorsteher Beat Jans. Heute führen die Schwankungen der Gesuchszahlen zu einem ständigen Auf- und Abbau von Strukturen, Fach- und Betreuungspersonal. Vernünftiger wäre es, die Resettlementkontingente jeweils entsprechend zu erhöhen, wenn im Vorjahr weniger als 25 000 Gesuche anfallen. Hätte dieser Mechanismus schon in den letzten Jahren gegolten, hätte die Schweiz gesamthaft gut 39 000 Resettlementplätze für besonders Verletzliche geschaffen, dies im Vergleich zum tatsächlich gewährten Asyl für Gruppen für 6778 Personen.  

3. Mehr Dublin-Selbsteintritte. Die Souveränitätsklausel ermöglicht es jedem Dublin-Land, in Härtefällen und für den Familienzusammenhalt auch dann auf Asylgesuche einzutreten, wenn die Geflüchteten bereits in einem anderen Land Fingerabdrücke hinterlassen haben. Der 2017 landierte Dublin-Appell fordert dementsprechend, dass das SEM auf die Rückweisung von Familien mit Kleinkindern oder bereits eingeschulten Kindern, von Personen mit medizinischen Problemen und regelmässigem Betreuungsbedarf sowie von all denjenigen, die in der Schweiz Familienangehörige haben, verzichtet – er wurde von 33 000 Menschen und über 200 Organisationen unterstützt. Die Schweiz macht das Gegenteil: Sie ist eines jener Länder, welche die Dublin-Verordnung am härtesten umsetzt. 

Würdiger Umgang in der Schweiz

Auch eine würdigerer Umgang mit den Schutzbedürftigen ist schon ohne Gesetzesänderungen möglich. Drei Beispiele:

1. Traumabehandlungen statt chemischer Keule. Wie die ‹Sonntagszeitung› am 28.9.24 schrieb, werden in Bundesasylzentren verbreitet auch ungeeignete Psychopharmaka verschrieben, um Personen ruhigzustellen, statt posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Angstzustände kompetent zu behandeln. Auch braucht es genügend Dolmetschende – sogar ein Bericht des BAG kritisierte diesen Mangel. All dies braucht keine Gesetzesänderungen, sondern die nötigen Prioritäten und Ressourcen. 

2. Kinderbetreuung stärken. Die grösste einzelne Gruppe Geflüchteter in der Schweiz sind aktuell die Ukrainer:innen, oft Frauen mit Kindern. Wenn sich der Bund schon – erfreulicherweise – das äusserst ambitionierte Ziel einer Erwerbsquote von 40 Prozent setzt, müsste er auch entsprechend in den Kantonen und Gemeinden intervenieren: Ohne ein ausreichendes Kinderbetreuungsangebot können hier alleinerziehende Ukrainer:innen keiner Erwerbsarbeit nachgehen. 

3. Diplomanerkennung verbessern. Dass vorhandene Berufsqualifikationen nicht mit schweizerischen Diplomen kompatibel sind, ist ein Dauerthema der Integrationspolitik. Es ist wenig sinnvoll, wenn ausgebildete Ärzte, die aus Syrien geflüchtet sind, im McDonalds Burger braten. Und dennoch lancierte das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation erst diesen Frühling entsprechende Pilotprojekte. Da braucht es schnell mehr!

Gesetze für Schutz statt Hetze

Erst mit Gesetzesänderungen möglich wären die folgenden Verbesserungen: 

1. Ein einheitlicher humanitärer Schutzstatus mit den gleichen Rechten wie ein Flüchtlings-B für heute vorläufig Aufgenommene ebenso wie für die Ukraineflüchtlinge würde lange Jahre Wartezeit unter hohem psychischem Druck überflüssig machen. 

2. Die Verpflichtung der Fluggesellschaften in Art. 92 AIG, nur Passagiere aufzunehmen, die ein Visum haben, muss ergänzt werden mit dem Verbot, Personen abzuweisen, die glaubhafte Asylgründe vorbringen. 

3. Eine jahrelange Verelendung abgewiesener Asylbewerber:innen führt offensichtlich nicht zum von rechts erwünschten Ausreisedruck – zumindest jene 700 Personen, die seit über fünf Jahren in Nothilfe leben, müssen regularisiert werden. 

Unrealistischer sind leider Fortschritte auf der EU-Ebene. Darum hier nur ein paar Stichworte, wie eine positive Alternative zum neuen gemeinsamen europäischen Asylsystem Geas aussehen könnte: Die Carrier-Sanctions-Richtlinie würde um eine Asylklausel erweitert. Ein einheitliches EU-Asylverfahren würde Geflüchtete allen Ländern nach einem Verteilschlüssel zuweisen – möglichst unter Berücksichtigung der individuellen Länderpräferenzen, und mit Freizügigkeit nach fünf Jahren. Und eine visafreie Einreise für Arbeitsmigrant:innen aus dem Maghreb würde die historisch bewährte Zirkulärmigration mit den Südstaaten Europas wieder ermöglichen.