Ein weiterer Anlauf am Rhein

Kommt Calatravas Brücke über den Rhein doch noch? Jedenfalls sei der Regierungrat beim Projekt für die Umfahrung Eglisau «einen entscheidenden Schritt weiter», war am letzten Freitag an einer Medienorientierung zu erfahren.

 

Der Regierungsrat hat eine Machbarkeitsstudie für die Umfahrung Eglisau verabschiedet. Diese ist im Verkehrsrichtplan vorgesehen. Den Wettbewerb für den Brückenentwurf entschied der spanisch-schweizerische Architekt und Bauingenieur Santiago Calatrava bereits 2020 für sich. Nun soll die Baudirektion auf Basis dieser Studie zuhanden des Kantonsrats eine Kreditvorlage ausarbeiten, wie am letzten Freitag an einer Medienorientierung zu erfahren war.

 

Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh sprach von einer «mit grosser Freude» ausgearbeiteten Machbarkeitsstudie. Denn sie zeige auf, wie das «Städtli» Eglisau künftig vom Durchgangsverkehr entlastet werden könne. Der Regierungsrat stehe «voll und ganz» hinter dieser Umfahrung und wolle «vorwärts machen». Sie sprach von Stau, Lärm und vor allem davon, dass es sich um eine wichtige Achse zwischen Zürich beziehungsweise Zürich-Flughafen, Schaffhausen und Deutschland handle. Unter den 22 000 Fahrzeugen pro Tag, die dort verkehrten, seien überdurchschnittlich viele Lastwagen, und der Velo- und Fussverkehr leide massiv unter der «Trennwirkung» der heutigen Durchgangsstrasse. Der Handlungsbedarf sei ausgewiesen.

 

Jahrzehntealtes Projekt

Die ersten Studien für eine Umfahrung von Eglisau datieren aus den 1970er-Jahren. Ein Projekt lehnten die Stimmberechtigten 1985 ab, ein neuer Vorschlag, der 1988 Eingang in den Richtplan gefunden hatte, fiel zu Beginn der 1990er-Jahre einem Sparprogramm zum Opfer. 2012 überwies der Kantonsrat eine Motion, mit der er den Regierungsrat beauftragte, auf der Grundlage des Richtplans ein Ausführungsprojekt für die Umfahrung Eglisau vorzulegen.

 

Ab 2010 habe die Volkswirtschaftsdirektion verschiedene Varianten abklären lassen, führte Markus Traber, Chef des Amts für Mobilität, vor den Medien aus. Es handelte sich um zwei Tunnelvarianten, die eine unterirdische Querung des Rheins östlich des Eglisauer Dorfkerns vorsahen, sowie sieben Brückenvarianten. Die Zufahrten zu letzteren müssten teils offen, teils in Tunneln erfolgen. Die Kosten wurden mit einer Genauigkeit von plusminus 30 Prozent geschätzt: Sie beliefen sich für die Brückenlösungen auf zwischen 190 und 510 Mio. Franken und für die Tunnelvarianten auf rund 780 Mio. Franken. Diese Machbarkeitsstudie wurde der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) zur Begutachtung vorgelegt, und diese zog wegen der historischen Eisenbahnbrücke auch noch die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (EKD) bei. Die Rückmeldung der Kommissionen lautete, dass sämtliche Varianten einer oberirdischen Rheinquerung als «schwerwiegende Beeinträchtigung» einzustufen seien, wenn auch «je nach Variante in Bezug auf unterschiedliche Schutzobjekte bzw. Schutzziele». Denn die Landschaft, durch die gebaut werden müsste, ist als Schutzobjekt im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) eingetragen. Die Kommissionen erachteten denn auch die beiden Tunnelvarianten als «weitaus schonendste» Varianten und beantragten, die Planung «ausschliesslich auf diese Varianten auszurichten».

 

Wie Markus Traber weiter ausführte, wurden seither die Kriterien für BLN-Gebiete klarer definiert: Gemäss früheren Einschätzungen der ENHK von 2013 und 2015 habe eine Brücke unabhängig von deren Lage als schwerer Eingriff in das BLN-Objekt gegolten, während nach Schärfung der Kriterien eine Brücke westlich der geschützten Eisenbahnbrücke vorstellbar geworden sei. Daraufhin entschied die Volkswirtschaftsdirektion, erst die Rheinquerung im Rahmen eines anonymen Brückenwettbewerbs erarbeiten zu lassen. 2020 gewann, wie eingangs erwähnt, das Calatrava-Projekt (siehe Visualisierung) den Wettbewerb. Seither seien im Rahmen der nun vorliegenden Machbarkeitsstudie mögliche Anschlussstrecken an diese Brücke im Detail erarbeitet worden, sagte Markus Traber.

 

Das mit der aktuellen Machbarkeitsstudie vorliegende Resultat mit Calatravas Brücke liegt jedoch ausserhalb des Spielraums des aktuell gültigen Richtplans, weshalb der Kantonsrat erst eine entsprechende Richtplanänderung beschliessen muss, bevor er den Kredit für das Bauwerk spricht – so es überhaupt soweit kommt. Denn auch die Varianten der neusten Machbarkeitsstudie wurden im Sommer 2021 der ENHK zur Begutachtung übergeben. Resultat? «Im Ergebnis halten die Kommissionen, ungeachtet der zusätzlichen Überlegungen und der gegenüber den früheren Varianten wesentlich kleineren Eingriffen in bestehende Schutzgüter, an ihrer Einschätzung aus dem Gutachten von 2015 fest», heisst es im jüngsten Regierungsratsbeschluss zur Causa Eglisau, der vom 15. Juni datiert. Und weiter: «Lediglich die vom Regierungsrat aus Kostengründen ausgeschlossenen Tunnelvarianten von 2015 könnten eine schutzzielverträgliche Lösung bieten.»

 

Von nationaler Bedeutung?

Zur Erinnerung: Die Landschaft, in die hier eine Umfahrungsstrasse gebaut werden soll, liegt nach wie vor in einem BLN-Objekt. Im Beschluss heisst es denn auch, ein Abweichen von dessen ungeschmälerten Erhaltung dürfe nur in Erwägung gezogen werden, «wenn ihr gleich- oder höherwertige Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung entgegenstehen». Die mit dem Umfahrungsprojekt verfolgte Absicht, Eglisau vom Verkehr zu entlasten, genügt dafür wohl kaum.

 

Aber für die Volkswirtschaftsdirektion öffnet sich trotz allem ein Türchen: «Aus Sicht des Bundes ist die Mobilität von Personen und Gütern eine wesentliche Voraussetzung für eine prosperierende Schweiz. (…) Der Metropolitanraum Zürich, der unter anderem den gesamten Kanton umfasst, bildet aus Sicht des Bundes ein Verkehrskreuz von nationaler Bedeutung. (…) Eglisau liegt dabei an einer stark frequentierten Verkehrsader zwischen Deutschland und der Schweiz sowie dem Flughafen Zürich», heisst es im Regierungsratsbeschluss. Und deshalb hat der Regierungsrat auf Antrag der Volkswirtschaftsdirektion folgendes beschlossen: «Die Baudirektion wird beauftragt, im Sinne der Erwägungen und auf der Grundlage des Siegerprojekts des Brückenwettbewerbs und Variante 3 der Machbarkeitsstudie vom 22. Januar 2021 zu den Anschlussstrecken und den erforderlichen flankierenden Massnahmen dem Regierungsrat einen Antrag zuhanden des Kantonsrates für einen Objektkredit zu unterbreiten.» 

 

«Sand in die Augen der Bevölkerung»

Damit erfolgt der nächste Anlauf für eine Umfahrung samt Anschlussstrecken, die in Tagbautunneln verlaufen sollen. Denn eine reine Tunnellösung, die rund 800 Millionen Franken kosten würde, schliesst der Regierungsrat ja aus. In einem Beschluss von 2016 mit dem Titel «Umfahrung Eglisau (weiteres Vorgehen)» hält er fest, dass die Tunnelvarianten zwar «schutzgüterverträglich» umgesetzt werden könnten, aber: «Insgesamt stehen die Kosten in einem klaren Missverhältnis zum Verkehrsaufkommen und damit zum erzeugten Nutzen.»

 

Zusammengefasst: Eine reine Tunnellösung wird angesichts von 22 000 Fahrzeugen pro Tag als zu teuer eingestuft. Aber die Volkswirtschaftsdirektion argumentiert gleichzeitig für eine mit rund 275 Millionen Franken weniger teure, aber wohl immer noch nicht schutzgüterverträgliche Brückenlösung, indem sie die «nationale Bedeutung» des Verkehrskreuzes hervorhebt, das der Metropolitanraum Zürich bilde. Für ein Bauwerk von nationaler Bedeutung – so es sich tatsächlich um ein solches handelt – müsste man es sich doch leisten, rund 800 Millionen Franken in die Hand zu nehmen? Im Abstimmungsbüchlein zur Abstimmung vom 9. Februar 2020 über Rosengartentunnel und -tram hiess es ja auch, die dafür veranschlagten Kosten von 1,1 Milliarden Franken seien tragbar, «ohne andere Projekte und Aufgaben zu beeinträchtigen». Im Übrigen hat der Kanton bekanntlich auch Klimaziele: Wäre es vielleicht eine Überlegung wert, Kiestransporte von Lastwagen auf die Bahn zu verlagern und für Arbeitspendler­Innen einen attraktiveren öV bereitzustellen? Die Grünen jedenfalls halten in ihrer Medienmitteilung fest, mit dem Plan zur Umfahrung Eglisau streue Regierungsrätin Carmen Walter Späh «Sand in die Augen der Bevölkerung», indem sie vorgebe, eine Lösung gefunden zu haben, «wo keine Lösung möglich ist». Für die Grünen ist denn auch klar: «Der Verkehr muss stärker auf den öV umgelagert werden.»

 

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