Daniel Leupi: «Wenn man in zehn Jahren zurückschaut, will ich nicht, dass es heisst, ich hätte da etwas verpasst.» (Bild: Gian Hedinger)

Ein Spieler, aber kein Zocker

Daniel Leupi ist seit fünfzehn Jahren Stadtrat, seit zwölf Jahren Finanzvorsteher und begeisterter Gesellschaftsspieler. Bei den Wahlen im nächsten März tritt er ein letztes Mal an. Ein Spiel in seinem Büro.

Daniel Leupi schüttelt den Becher mit den Würfeln. Auf dem Handy hat er einen Timer auf drei Minuten gestellt. Zum Treffen für diesen Text hat Leupi drei Spiele mitgebracht. Ein schönes, ein taktisches und ein schnelles. Alle davon sind augenscheinlich benutzt. Er sei ein fleissiger Spieler, erzählt Leupi. Seit über zwanzig Jahren treffe er sich ein Mal pro Monat mit Freund:innen zu einem Spieleabend. «In dieser Zeit ist der Abend vielleicht fünf Mal ausgefallen. Wir nehmen das also durchaus ernst.»

Ich entscheide mich für das schnelle Spiel. Leupi packt Boggle aus und beginnt zu erklären: 16 Würfel mit Buchstaben, wenn der Becher fertig geschüttelt ist, beginnt der Timer, drei Minuten Zeit und es werden so viele Wortkombinationen aus aneinandergrenzenden Buchstaben wie möglich gesucht und aufgeschrieben. Leupi holt Stifte und zwei Blätter Papier von seinem Schreibtisch. Wir sind in seinem Büro im 10. Stock des Werdhochhauses. Aus dem Fenster kann man von der Stadt Zürich bis in die Berge blicken.

Bevor Leupi hier für die Grünen Gemeinderat, Stadtrat, Finanzvorsteher wurde, lebte er in Bern und Luzern. Aufgewachsen ist er im Kanton Zug. Seine Eltern hätten immer Suffizienz vorgelebt. «Flugreisen kamen nicht infrage. Wir sind ein Mal mit dem Auto in die Ferien und sonst mit dem Zug. Das hatte auch den Grund, dass mein Vater bei der Bahn arbeitete. Beide Eltern kamen aber aus Familien, wo der Rappen umgedreht werden musste», sagt Leupi. Wenn er an die politische Prägung in seiner Familie zurückdenke, komme ihm vor allem der deutsche Bundestag in den Sinn. «Ich erinnere mich, wie mein Vater die Bundestagsdebatten mit Brandt und Schmidt im Fernseher verfolgte.» Sein Vater ist Christsozialer gewesen. Leupi weiss noch, wie der Vater die Nebenkostenrechnungen der Hausverwaltung genau kontrolliert habe und Fehler gefunden habe, wovon auch die anderen Familien im Haus profitiert hätten. Später sei er manchmal mit ihm aneinandergeraten. «Er wurde konservativer, besonders über Migrationsthemen haben wir uns gestritten. Im Alter wurde er aber wieder sozialer.» 

Vom Velo-Aktivisten zum Stadtrat

Im Gymnasium beginnt sich Daniel Leupi zu politisieren. Es ist die Zeit des Waldsterbens und des sauren Regens und Leupi engagiert sich beim WWF. Nach dem Gymnasium setzt sich Leupi vor allem mit Verkehrspolitik auseinander. Er tritt der Luzerner VCS-Sektion bei, kommt in den Vorstand und wird Finanzchef. Zum Velo-Aktivisten sei er in erster Linie aus praktischen Gründen geworden, sagt Leupi: «Vom Dorf, wo wir wohnten, mussten wir zuerst ins Tal herunterlaufen, um zum nächsten Bus zu kommen. Mit dem Velo war ich etwa doppelt so schnell in der Schule wie ohne.»

Neben dem politischen Interesse ist Leupi auch sportlich engagiert. Angefangen habe es, als er mit anderen Kindern aus der Nachbarschaft mit abgewetzten Eishockeyschlägern und Tennisbällen Hockey gespielt habe. So habe er begonnen, sich für Landhockey zu interessieren, und ist dem Luzerner Verein beigetreten. «Als Landhockey-Spieler war ich einigermassen unbegabt», sagt Leupi über seine sportliche Karriere. «Ich spielte vor allem in der zweiten und dritten Mannschaft.» Mehr Erfolg hatte Leupi als Funktionär. Er habe gesehen, wie der Verein seine Nachwuchsarbeit vernachlässigte. Also übernimmt er als 20-Jähriger die Jugendabteilung. «Die älteren Herren, mit denen ich ihm Vorstand sass, waren vor allem zu Beginn kritisch mir gegenüber. Ich hatte unkonventionelle Ideen, spielte den Sport nicht seit Kindesbeinen und eckte immer wieder an.» Doch er habe viel gearbeitet, brachte talentierte Jugendspieler zum Verein und half mit, den Erfolg zu erreichen, den er selber als Spieler nie hatte, erzählt Leupi. «Die ältere Generation im Verein wurde viele Jahre vor meiner Zeit Schweizer Meister. Meiner Generation ist das nicht gelungen. Viele waren zu undiszipliniert und kifften lieber, als noch einmal eine Extraschicht auf dem Platz hinzulegen. Deshalb fehlte immer etwas zur nationalen Spitze. Die Jugendlichen, die ich geholt hatte, waren motiviert und erfolgreich.» Der Verein wurde wieder Meister und Leupi einer der Baumeister des Erfolgs. Es zieht sich durch Daniel Leupis Biografie: Er kommt, sieht und übernimmt Verantwortung.

So war es auch, als er mit dreissig Jahren 1996 nach Zürich zog. Schnell war Leupi im Vorstand von Pro Velo Zürich, ein Jahr später gar Präsident. «Ich kannte damals weder die Strassen noch Leute in Zürich, da war ein Präsidium eine ziemliche Herausforderung. Die Aufgabe und der Handlungsspielraum haben mir aber sehr gefallen.» Als Präsident von Pro Velo lernt Leupi die politische Landschaft der Stadt kennen und tritt später den Grünen bei. Die SP sei für ihn keine Option gewesen, nachdem der damalige Präsident Peter Bodenmann und sein Generalsekretär im ‹Tagesanzeiger› geschrieben hätten, dass es links der SP keine andere Partei mehr brauche. Der Artikel war bei einer kurzen Recherche für diesen Text nicht auffindbar. Daniel Leupi hat ihn aber noch klar vor Augen. «Ich fand das arrogant. In so einer hegemonistischen Partei wollte ich definitiv nicht sein.»

So kam Leupi also zu den Grünen und zog 2002 in den Gemeinderat ein. Dort war er ab 2006 Fraktionspräsident und wurde 2010 in den Stadtrat gewählt. 

Ernsthafte Arbeit und fehlende Vision

Auch in unserem Spiel ist Leupi erfolgreich. Ich höre immer wieder das Kritzeln von seinem Bleistift auf dem Papier. Selber verzweifle ich langsam an den immergleichen Buchstaben, die bei mir auch nach drei Minuten Betrachtung nicht wirklich viele Wortkombinationen ergeben. Am Ende komme ich auf vier Wörter, es zählen allerdings nur diejenigen, die nicht auch vom Gegenüber gefunden wurde. Leupi hat währenddessen sechs Wörter aufgeschrieben, von denen zwei zählen. Die Wörter «Los» und «Flur» hatte ich im Würfelgemisch nicht gefunden. Zwischenresultat also: Daniel Leupi hat 2 Punkte, ich 0. «Ich habe aber auch deutlich mehr Übung in diesem Spiel», sagt Leupi bescheiden und wir spielen eine Revanche. 

Wieder schüttelt Leupi den Becher. Dieses Mal habe es mehr Vokale, das sei für das Spiel meist besser, erkennt er und startet wieder den drei Minuten-Timer. Wieder höre ich das Kritzeln auf dem Papier, dass mir in dieser Runde noch schneller erscheint. 

So konzentriert Leupi beim Spielen ist, so ernsthaft sei er auch in seiner politischen Arbeit, erzählen Gemeinderät:innen. Als wohl einziger Stadtrat kontrolliere er sämtliche Kommissionsprotokolle aus dem Gemeinderat. Darauf angesprochen zeigt sich Leupi etwas überrascht: «Ich spreche im Gemeinderat und in der Kommission jeweils frei und halt auch mal zu salopp. Deshalb stelle ich einfach sicher, dass ich im Protokoll richtig wiedergegeben wurde. Das ist mein Qualitätsanspruch.» Dass es Leupi wegen seiner genauen Art auch einmal etwas an Ideen mangeln könne, will er nicht so stehen lassen. «Klar bin ich nicht der, der jeden Tag mit zig neuen Ideen kommt, aber mir ist es wichtig, vorwärtszumachen, wenn ich etwas erreichen kann. Dafür kann man mich an meinen Ankündigungen messen.» Wenn dann Projekte mit vorgeschobenen Argumenten blockiert würden, dann könne ihn das auch mal «triggern», sagt Leupi. «Da gibt es andere, die da vielleicht souveräner sind.»

Das Erbe verteidigen

Beim Spielen ist Daniel Leupi hingegen sehr entspannt. Auch verlieren bereite ihm keine Mühe, sagt Leupi. Gegen mich muss er das nicht unter Beweis stellen: Die zweite Runde, in der ich immerhin neun Wörter finde, gewinnt Leupi noch deutlicher. Von meinen neun Wörtern hat er bis auf zwei ebenfalls alle gefunden und noch fünfzehn weitere dazu. Weil lange Wörter noch einmal mehr Punkte geben, ist das Resultat überdeutlich. 22 Punkte holte sich Leupi, ich kam auf 2. Wir verzichten auf eine genauere Analyse und sprechen stattdessen über Leupis aktuelles Lieblingsthema: die Finanzen der Stadt Zürich.

Nach Jahren der Millionenüberschüsse sei es um die längerfristige finanzielle Zukunft der Stadt schlechter bestellt, ist sich der Zürcher Finanzvorsteher sicher. Da gehe es ihm aber nicht darum, ob im Jahresabschluss am Ende ein Überschuss resultiert oder nicht. Leupi sorgt sich um die überdurchschnittlich steigenden Investitionen der Stadt: «Unsere Investitionen verdoppeln sich innert weniger Jahre und bleiben dann auf diesem hohen Niveau.» Und diese Ausgaben seien nicht gedeckt. Wenn die Stadt weiter so viel Geld ausgebe und dafür stark Schulden mache, dann könnte es bei der Kapitalbeschaffung schwierig werden. «Wir leben nunmal in einem kapitalistischen System, und wenn uns die Finanzanbieter kein Geld mehr geben, weil wir nicht mehr ein Top-Schuldner sind, dann laufen wir auf ein grosses Problem zu.» 

Nachdem Leupi an der Medienkonferenz zum Budget seine Überlegungen zur Finanzlage der Stadt teilte, schrieb die SP in einer Medienmitteilung: «Der Stadtrat budgetiert immer weiter an der Realität vorbei.» Leupi wirkt genervt, wenn er darüber spricht. «Es ist eine billige Masche uns vorzuwerfen, dass wir nicht rechnen könnten. Der Vorwurf kommt jedes Jahr von der NZZ, aber doch nicht von der SP.» Es erstaune ihn auch, wenn es heisse, dass er aus Wahlkampfgründen vor der Überschuldung warnen würde. Schliesslich sei es immer so, dass das Budget im September vorgestellt werde. «Zudem sind Schulden keine good news. Ich warne trotz und nicht wegen des Wahlkampfs.»

Vielleicht geht es Leupi tatsächlich nicht um den Wahlkampf, sondern um sein Erbe. Bei den Wahlen im nächsten März tritt er ein letztes Mal an. «Am Ende der nächsten Legislatur wäre ich 64 und ich will nicht noch im Pensionsalter Stadtrat sein.» Schaut man in Zukunft auf den Stadtrat Leupi zurück, wird man ihn auch daran messen, wie er Zürichs Finanzen weitergegeben hat. Im Gespräch sagt er: «Wenn man in zehn Jahren zurückschaut, will ich nicht, dass es heisst, ich hätte da etwas verpasst.» Geht es um sein Vermächtnis ist Leupi nicht nach spielen zumute.