«Ein Seetunnel führt automatisch zu mehr Autoverkehr im übrigen Netz»

Die Co-PräsidentInnen und GemeinderätInnen Gabriela Rothenfluh und Marco Denoth verlangen von der Partei mehr Innovation und greifen auf Uralt-Ideen zurück. Im bürgerlichen Hofblatt vertreten sie Positionen, die auf falschen Fakten beruhen. Das ist zum Heulen.

 

Peter Hotz*

 

Solche Stellungnahmen, wie sie die Co-PräsidentInnen der SP Stadt Zürich kürzlich in der NZZ abgegeben haben, verhindern die offenbar wieder dringend notwendig gewordene SP-interne verkehrspolitische Diskussion und Weiterbildung von MandatsträgerInnen. Dies ist meine Entgegnung/Stellungnahme zum Tabubruch Seetunnel/ U-Bahn der SP-Führung in der NZZ vom 15. September. Zuerst zu den Fakten:

 

1. Der Autoverkehr in die Stadt hat nur unwesentlich zugenommen, der Verkehr aus der Agglomeration wird am Stadtrand dosiert; die grösste Zunahme an Personenverkehr konnte durch Tram und Bus und vor allem durch das S-Bahnsystem aufgenommen werden. Das System des Autoverkehrs wurde und wird immer ineffizienter. Am Beispiel der Westtangente kann gezeigt werden, dass immer weniger Personen (ca. minus 10 bis 15 Prozent ) transportiert werden, obwohl die Zahl der Fahrzeuge leicht zunahm. Der Grund dafür: Der Besetzungsgrad der privaten Fahrzeuge sank in den letzten Jahren stark. Das Ziel unserer Verkehrspolitik kann nicht sein, mehr Blechkisten in die Stadt zu schleusen, sondern es geht darum, den Personenverkehr effizienter und umweltfreundlicher zu gestalten.

 

2. Die Zahl der autofreien Haushalte liegt bei knapp 50 Prozent; immer weniger junge Erwachsene sind im Besitz eines Führerscheins. Sie brauchen keinen Seetunnel und auch keine U-Bahn.

 

3. Dank der bisher umsichtigen Verkehrspolitik der SP («historischer Kompromiss») liess sich unter anderem auch die Anzahl der öffentlichen Parkplätze stabilisieren, indem u.a. deren Benützungspreis diesem Ziel dienend angepasst werden konnte. Die bestehenden privaten Parkplätze sind nach wie vor die grossen Verkehrserzeuger, doch wurde deren Zunahme mindestens bei Neubauten mit den neuen Parkierungsvorschriften leicht gebremst.

 

4. Nach wie vor wird eine sehr grosse Anzahl von BewohnerInnen durch zu hohe Lärm- und Luftschadstoffwerte gesundheitlich belästigt. Die durch den Autoverkehr verursachten Klimaverschlechterungen lassen sich nicht durch enorm teure Infrastrukturausbauten beheben. Zudem sind solche auch sinnlos, dürfte doch das ineffiziente System Auto mit seinem sehr tiefen Wirkungsgrad von 18 Prozent (Energie- und Landverbrauch etc.) früher oder später seine Dominanz verlieren.

 

5. In Zürich sind neun von zehn Autofahrten Ziel- und Quellverkehr, d.h. diese Fahrten haben ihr Ziel oder ihre Quelle in der Stadt (dies im Gegensatz zu einem ländlichen Dorf, z.B. im Bündnerland, wo eine Umfahrung wegen einem Anteil von 95 und mehr Prozent an Durchgangsverkehr sinnvoll sein kann).

 

6. Jede Kapazitätserhöhung, wie z.B. durch einen Seetunnel, führt automatisch zu mehr Autoverkehr im übrigen Strassennetz. An Verkehrsknoten wie Bellevue und Bürkliplatz kann die Zahl der Fahrspuren wegen dem notwendigen Auto-Stauraum zugunsten der Tramprioritäten und dem nach wie grossen (umgelenkten) Ziel- und Quellverkehr nicht entscheidend reduziert werden.

 

7. Eine U-Bahn würde unverhältnismässig viel kosten, aber aufgrund aller internationaler Erfahrungen nicht zu einer markanten Verbesserung des Modalsplits (Aufteilung des öffentlichen und privaten motorisierten Verkehrs und des nicht motorisierten Verkehrs) beitragen. Zudem würde die mit der Planung und dem Bau einhergehende Boden- und Immobilienspekulation viel Wohnraum verdrängen. Ob im Verlaufe dieses Prozesses frei werdende Verkehrsflächen für mehr Fussgänger- und Veloverkehrsflächen genutzt werden könnten, ist mehr als fraglich. Viel mehr wäre zu erwarten, dass dem Autoverkehr noch mehr Raum zur Verfügung gestellt würde.

 

8. Der Mischverkehr funktioniert dort gut, wo die Autofahrgeschwindigkeiten tief sind und die Velofahrenden nicht auf zu schmale Trottoirs ausweichen müssen. Das ist nicht nur auf Quartierstrassen möglich, sondern auch auf Hauptachsen mit Tempo 30, wie das Beispiel der Schwarzenburgstrasse in Köniz, Bern zeigt.

 

Autoverkehr: So langsam wie nötig

 

Die Lösungsansätze für eine stadtgerechte und soziale Mobilitätspolitik müssen sich an der bestehenden Stadt- und Verkehrsstruktur orientieren und mit sorgfältig dosierten Massnahmen an den besonders heiklen Strassen und Plätzen unter Mitwirkung der unmittelbar Betroffenen schrittweise messbare Verbesserungen für alle erbringen (Akupunkturansatz).

 

Die tragende und zentrale Säule der städtischen SP-Verkehrspolitik ist und bleibt die Forderung nach Befriedung des Autoverkehrs. Das heisst: statt so schnell wie möglich, so langsam wie nötig. Prioritär ist innerorts generell Tempo 30 auch auf Hauptachsen einzuführen, um die hohen Lärm- und Luftschadstoffbelästigungen auch nachts zu reduzieren. Die Stadtpartei hat zur Vorbereitung der Initiative «Hauptstrassen für Alle» für jeden Teil der Stadt konkrete Massnahmenpläne erarbeitet. Die Zeit ist reif, um diese aus den Schubladen zu holen, zu aktualisieren und in die Politik einfliessen lassen!

 

Mit dem von den SP-PräsidentInnen einseitig in der bürgerlichen Presse präsentierten «Neuansatz» (notabene ohne Rückendeckung durch die Partei) können keine Wahlstimmen gewonnen werden. So werden wir nur welche verlieren!

 

 

* Peter Hotz, Master of Science ETHZ, internationaler Verkehrsexperte, SP 6

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