- Kantonsrat
Ein schrecklicher Polizeinachmittag
Es war wirklich ein mühsamer Nachmittag. Weder die linke noch die rechte Ratsseite sowie Regierungsrat Mario Fehr waren bei den meisten Voten in Form. Das Resultat dieser Unterform: Der Kantonsrat verabschiedete mit grossem Mehr gegen die Vertreter:innen der SP, der Grünen und der AL das neue Gesetz zur Umsetzung des Gegenvorschlags zur «Anti-Chaoten-Initiative», der am 3. März 2024 von den Stimmberechtigten mit 63,8 Prozent und in allen Gemeinden angenommen worden war. Der Gegenvorschlag hat zwei Kernelemente: Er verlangt für Demonstrationen von den Gemeinden eine Bewilligung und ein Teil der entstehenden Polizeikosten muss unter bestimmten Bedingungen bezahlt werden: Wenn der Einsatz über den Grundauftrag hinausgeht, wenn Demonstrant:innen randalieren oder wenn eine gewalttätige Demonstration organisiert wird. Im Gesetz wird festgehalten, dass die Kostenregelung keinen Abschreckungseffekt haben darf. Das Grundrecht des Demonstrierens wird also erschwert, aber gewahrt. Nach Meinung der Befürworter:innen der Vorlage. Nach Ansicht der Gegner:innen widersprechen die Ansätze zu einer Kollektivstrafe dem Grundrecht auf eine Demonstration.
Die Tatsache, dass die Stimmberechtigten der Vorlage deutlich zustimmten, sei noch keine Rechtfertigung für ein Gesetz, das den Menschenrechten widerspreche, führten vor allem Leandra Columberg (SP) und Silvia Rigoni (Grüne) aus. Das Bundesgericht habe weniger weit gehende Gesetze anderer Kantone zurückgenommen. Es brauche eine Vorlage, die die Grundrechte einhalte und darum müsse das Gesetz zur Überarbeitung zurückgewiesen werden. Dem widersprach unter anderen Angie Romero (FDP). Dass gegen das neue Gesetz Klagen vor Bundesgericht eingereicht werden könnten, sei nicht zu verhindern. Sie, aber auch Regierungsrat Mario Fehr sind überzeugt, dass dieses Gesetz vor Bundesgericht halte. Und wenn nicht, dann werde es halt angepasst. Der Antrag auf Rückweisung sei lediglich ein Vorwand zum Zeitgewinn, um ein Gesetz, das man nicht wolle, wenigstens hinauszuschieben.
Das ist es sicher auch, aber die Befürworter:innen nehmen die Einwände etwas gar locker, vor allem die praktischen. Ziel des neuen Gesetzes ist es, die Zerstörungen während Demonstrationen durch eine bessere Organisation, klare Verantwortungen und Beteiligung an übermässigen Kosten einzudämmen. Dazu existiert zunächst eine Einschränkung, die nicht nur Leandra Columberg hervorhob: Sachbeschädigungen sind eine Straftat und müssten geahndet werden. Die Teilnahme an einer illegalen Demonstration ist lediglich ein Vergehen. Dafür kann es eine tiefe Busse geben, aber eine Ausweitung zur Bezahlung der Kosten geht in Richtung Kollektivstrafe. Selbst dann, wenn man berücksichtigt, dass viele etwa bei einer geglückten Einkesselung behaupten, sie seien nur zufällig und als Zuschauer und nicht als Demonstrierende in die Kontrolle geraten.
Um eine Schwierigkeit des neuen Gesetzes zu schildern: Die Polizei bestimmt die Höhe der Kosten ihrer Einsätze alleine. Sie behauptet etwa, die Blockade der Klimaaktivist:innen im Oktober 2021 habe 300 000 Franken Polizeikosten verursacht. Diese Summe und die Verteilung auf Grundkosten und Ausserordentliche werden garantiert die Gerichte beschäftigen, wenn man Personen zur Kasse bittet, denen keine Straftat nachgewiesen werden kann. Je nach den Urteilen der Gerichte führt dieses neue Gesetz entweder zu vielen teuren Gerichtsfällen ohne grosse Auswirkungen oder bei harten Urteilen zu einer deutlichen Einschränkung der Demonstrationsfreiheit.
Krawalle bei Demonstrationen (aber auch bei Sportereignissen) sind ein Ärger und ein Grund zum polizeilichen Eingriff. Aber mit neuen Gesetzen, die mit grosser Wahrscheinlichkeit vor allem falsche Hoffnungen wecken, bewirtschaftet man zwar erfolgreich Probleme, aber führt sie zu keinen Lösungen. Hier gibt es wohl nur eines: Krawallant:innen müssen bei ihren Taten erwischt und rasch bestraft werden. Das ist mühsam, aber es führt kein Umweg daran vorbei. Was das neue Gesetz, wie Mario Fehr, der sich derzeit als Agitator gegen Palästinenser:innen gefällt, mit den Protesten in Basel und Bern in den letzten zwei Wochen zu tun haben soll, bleibt sein Geheimnis; Protest gegen Israel ist derzeit sehr nachvollziehbar und der Schutz von Synagogen nötig.
PR-Veranstaltung
Mit dem Postulat «Mehr Sicherheit im Kanton Zürich» betrieben Barbara Franzen (FDP) und andere eine Stunde lang PR für die Kantonspolizei und sich selber. Erstere zumindest hat es kaum nötig, da der Regierungsrat bereits beschloss, den Korpsbestand um 108 Stellen zu erhöhen und es dem Kantonsrat absolut freisteht, diese Stellen ordentlich beim Budget zu bewilligen. Die linke Ratsseite war dann noch so naiv, dieses Spiel mit schwer nachvollziehbaren Gegenargumenten mitzuspielen. So meinte etwa Lisa Letnansky (AL), man könne nicht einfach mehr Polizist:innen bewilligen, ohne mehr in Bildung oder Gesundheit zu investieren. Das ist etwa so nachvollziehbar, wie mehr Pflegefachleute nur dann zu bewilligen, wenn man gleichzeitig dafür sorgt, dass sich durch mehr Sicherheit weniger Personen verletzen. Im Kanton Zürich wächst die Bevölkerung, übernahm die Kantonspolizei neue Aufgaben und so liegt es auf der Hand, dass sie zusätzliches Personal benötigt. Dafür gibt es die Budgetdebatte und dazu ist es unnötig, den Beruf der Polizist:innen zu verherrlichen, wie dies Markus Schaaf (EVP) tat. Dass die Bürgerlichen die Erhöhung bei der Kantonspolizei saldoneutral wollen, ist zwar ein Grund, dies anzumerken, aber auch das mit Mass. Saldoneutral oder kostenneutral verwenden sie wie die Christen das Amen in der Kirche.
Die recht beachtlichen Ungereimtheiten bei der Sanierung des Stützpunktes Oberrieden der Seepolizei kam am Montag zu einem vorläufigen Ende. Regierungsrat Mario Fehr gab zu, dass bei diesem Umbau nicht alles ganz optimal gelaufen sei, dass nun aber alles gut laufe und 2029 Eröffnung sei. Die Kantonsrät:innen zeigten das in solchen Fällen übliche Verhalten: Sie drohten damit, beim nächsten Vorfall nicht mehr beide Augen zuzudrücken und Domenik Ledergerber (SVP) kündigte sogar einen Vorstoss zur Gebundenheit von Ausgaben an.
Zwei weitere Vorstösse wurden nach je einer längeren Diskussion beerdigt, obwohl die Probleme nicht gelöst sind. Bei der Sozialhilfe ist die Belastung für einige Gemeinden ohne eigenes Verschulden hoch, bei anderen ohne Verdienst tief. Aber ein durch alle Gemeinden finanzierter Fonds würde nichts daran ändern und mehr bezahlen will der Kanton nicht. Die SUVs sind zwar für eine Mehrheit eher überflüssig, aber von einer Änderung der Verkehrsabgaben verspricht sich eine Mehrheit mit gut nachvollziehbaren Gründen nichts.